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Paul Weller (live in Hamburg, 2017) © Falk Simon

Paul Weller begeistert in der nahezu ausverkauften Centralstation in Darmstadt seine Fans und bietet den gewohnt hochwertigen Querschnitt seiner über vierzigjährigen musikalischen Karriere mit Fokus auf dem neuen Album "A Kind Revolution".

Es ist hochsommerlich warm im Darmstädter Carree vor der Centralstation, wo sich Paul Wellers treue Fangemeinde vor dem Konzert versammelt. Ein faszinierendes Schauspiel aus in die Jahre gekommenen Mods, Anglophilen, Stilsicheren aber auch "Normalos".

Stil und Haltung zu Beginn

Ihr Held steht seit über 40 Jahren für unverwüstlichen Willen, seine Vision von Pop, Soul, Jazz und Rockmusik ständig neu zu erfinden - und zwar stets mit der Weller-eigenen unbeugsamen, aufrechten Haltung.

So tritt die kürzlich 59 Jahre alt gewordene Gallionsfigur der jüngeren britischen Musikgeschichte gut gelaunt, drahtig im blauen Pullunder unter großem Beifall auf die Bühne der nahezu ausverkauften Centralstation.

Selbstbewusst

Mit "I’m Where I Should Be“ startet Weller eher distinguiert in sein mehr als zweistündiges Set. Die Message des verhaltenen Songs vom vorletzten Album "Saturns Pattern" ist hier der Türöffner: "Ich bin genau dort, wo ich sein sollte."

Im Folgenden stellt Paul Weller konsequent neue Lieder der letzten beiden Alben neben seine unverwüstlichen Klassiker, mit denen er sich Solo, mit The Style Council und The Jam weltweit eine große Anhängerschaft erspielt hat.

Eine sanfte Revolution

Weller und Band präsentieren fünf Songs vom neuen Album „A Kind Revolution“, das von der Kritik als sein bestes seit "As Is Now“ gefeiert wird und bei dem er es endlich wieder schafft, seine traditionelle Songwriter-Kunst homogen mit modernen Soundscapes, Loops und Brüchen zu vereinen.

"Nova" klingt live schlüssiger als auf Platte, zischt und brodelt nervös und erinnert an David Bowie zu dessen "Scary Monsters"-Phase. "The Cranes Are Back" funktioniert mit Weller am Piano prächtig als intensiver Neuzeit-Gospel und mit "She Moves With The Fayre“ schafft es die Band dem harten Funk eines James Brown einen modernen Anstrich zu verleihen.

Für die Kenner

Alles sehr aufregend, wenngleich es dem Publikum eher aufmerksames Zuhören als kollektives Austicken abverlangt. "Woo Sé Mama" besitzt die Energie und den Drive Wellers früheren Platten, funktioniert live allerdings durch etliche Tempowechsel und seinen ständigen Wechsel zwischen E-Gitarre und Piano nicht ganz so gut wie in seiner Funktion als Opener der neuen Platte.

Gänsehautatmosphäre erzeugt "Long Long Road", das in der alten Weller-Tradition als Klavierballade die großen Emotionen transportiert, die sich viele Anhänger von ihm häufiger wünschen würden. Es ist großartig, wie seine Begleitmusiker, allen voran The Moons Frontman Andy Crofts und Schlagzeuger Steve Pilgrim, dieses Stück mit ihren Gesangsharmonien in andere Sphären tragen, The Hollies mit "The Long And Winding Road" verbinden und dabei Wellers immer noch extrem ausdrucksstarken Gesang begleiten.

Perfekte Begleitband

Neben dem alten Weggefährten Steve Cradock an der Gitarre, der den Protagonisten seit Jahrzehnten kongenial unterstützt und der lediglich beim Klassiker "You Do Something To Me" klangtechnisch eher suboptimal klingt, sind es Ben Godelier an den Percussions, Schlagzeuger Steve Pilgrim, ein Tourkeyboarder, und eben Andy Crofts am Bass, die eine ausgesprochen homogene Liveband bilden. Andy Crofts ist in seiner neuen Rolle als Bassist und Co-Sänger eine sehr große Bereicherung und räumt dem Modfather dadurch viel mehr Freiheiten ein.

Dieser selbst hält sich wie immer mit Ansagen bedeckt. Er findet Darmstadt und das Publikum toll, bedauert kurz und süffisant den Brexit und ist ansonsten voll auf Musik und Darbietung fokusiert. Ergraut und mit furchigem Gesicht hat Weller das Musikbusiness in vollen Zügen genossen, aber auch ausreichend Lehrgeld gezahlt, wenn Projekte und Platten nicht den gewünschten Anklang fanden.

Klassiker aus allen Schaffensphasen

Auch im Jahr 2017 verfügen die beiden Klassiker seines 1980er Jahre Projekts The Style Council über eine zeitlose Eleganz und sagen mehr über das Lebensgefühl dieser Dekade aus als viele andere oft zitierte Popsongs. "My Ever Changing Moods“ und "Have You Ever Had It Blue" strahlen hell im aktuellen Bandarrangement. Aus seinen stürmischen Anfangstagen hat Weller wieder einmal das knackig auf den Punkt gespielte, nach vorne drängende "Start" im Gepäck, das 1980 die Essenz seines Mod-Trios perfekt auf Platz 1 der britischen Charts brachte. Zur Überraschung vieler spielt Weller aus The Jam-Tagen auch im akustischen Zugabenblock noch das psychedelische "Mondays".

Auch "Saturns Pattern", seiner 2015er "Gemischtwarenplatte", räumt der Mann aus Woking mit fünf Stücken viel Raum ein. Es ist allerdings nicht zu leugnen, dass das Publikum die Hände dann oben hat, wenn Paul Weller seine bekanntesten Solosongs einstreut – egal, ob es sich um das zeitlose "Above The Clouds", das furiose "Into Tomorrow" vom unterschätzten Solodebüt (1992) oder den klassischen Zweienhalbminüter "Friday Street" von "Heavy Soul" handelt.

Der Großteil der Anwesenden liebt die Energie die Weller dabei transportiert und will ihn sehen, wie er bei "From The Floorboards Up" oder "Come On Let’s Go“ vom 2005er Album "As Is Now" buchstäblich den Fußboden aus den Angeln hebt, sich würdevoll und erhaben mit der Gitarre aufbaut und die Songs mit wütenden Zwischenrufen befeuert.

Akustische und elektrische Zugabenblöcke

Nach 90 Minuten kündigt Weller "lots of more songs" als Zugabe an und es folgen fünf akustische Stücke, bei der auch Drummer Pilgrim mit der Akustik-Gitarre mitwirken darf. Besonders das folkige "Wild Wood", das tiefenentspannte "Broken Stones", aber auch das entschleunigte "Out Of The Sinking" finden größte Zustimmung in der immer stickiger werdenden Halle.

Einen Moment scheint es, als ob Weller und Band den Spannungsbogen verlieren würden, als sie aus dem akustischen Teil mit "These City Streets" eher verhalten in den elektrischen Schlussteil überleiten. Mit "Hung Up" packt er dann allerdings eine seiner unwiderstehlichsten Singles aus dem Jahr 1994 aus und zelebriert nochmals, was ihn u.a. einst inspirierte. Der Song klingt wie von Vorbild Steve Marriott selbst geschrieben und zeigt, wie perfekt Weller innerhalb eines Songs zwischen zart und aggressiv wechseln kann.

"The Changingman" als Essenz seiner 90s-Solojahre beschließt in einer sehr euphorischen und kraftvollen Version das Konzert, und die Zuschauer werden damit glücklich in die warme Nacht entlassen. Sie wissen, dass ihr Idol noch funktioniert und als Modernist immer noch Aufstände entfachen kann.

Setlist

I'm Where I Should Be / Nova / Long Time / My Ever Changing Moods / Saturns Pattern / Long Long Road / Into Tomorrow / Have You Ever Had It Blue / Up in Suze's Room / From The Floorboards Up / She Moves With the Fayre / Above The Clouds / You Do Something To Me / Woo Sé Mama / The Cranes Are Back / White Sky / Friday Street / Porcelain Gods / Peacock Suit / Start! / Wild Wood / Monday /What Would He Say? / Broken Stones / Out Of The Sinking / These City Streets / Hung Up / Come on let’s go / The Changingman

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