Ein Vierteljahrhundert ist mittlerweile vergangen, seit Dream Theater mit "Images & Words", dem opus magnum ihrer Anfangsjahre, die Musikwelt im Sturm eroberten und trotz aller Komplexität ihrer Songs mit "Pull Me Under" sogar einen echten Hit landen konnten.

Da ein solcher Meilenstein natürlich gebührend gefeiert werden muss, touren die fünf New Yorker Progger derzeit europäische Arenen wie die Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle, um die Klangbilder und poetischen Worte ihrer alten Meisterstücke live so richtig in Szene zu setzen.

Düstere Exkursion durch die Nacht

Los geht es direkt mit den Headlinern. Dream Theater haben sich für die aktuelle Tour keine Vorband mitgebracht. Sie sind quasi ihr eigener Support. Das etwa einstündige "Warm-up" beginnt brachial mit "The Dark Eternal Night", mit dem das Quintett seine Reise durch neuere Werke einleitet.

Bei dem vertrackten Longtrack dürfen die vier Instrumentalisten dann auch gleich demonstrieren, warum ihnen ein Platz im Prog-Olymp sicher sein dürfte. Besonders hervor sticht hierbei Keyboarder Jordan Rudess, der mit einer Keytar in der Hand in bester Rockstarmanier über die Bühne springt.

Der kranke Mann von Düsseldorf

Sänger James LaBrie richtet sich ab und an auch mit einigen Sätzen an das Publikum und erklärt, dass er krank und deshalb stimmlich angeschlagen sei. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum Dream Theater die Setlist im ersten Teil der Show seit Beginn der Tour deutlich reduziert haben.

Es sei ihnen verziehen, bedeutet dies doch mehr Raum für Improvisationen. Unter den Stücken, die die Segel streichen mussten, war "The Spirit Carries On", das allerdings für deutlich mehr Furore gesorgt hätte als die Nummern aus der durchwachsenen Rockoper "The Astonishing".

Entspannter Tiefendruck

Ganz fehlen LaBrie die Worte hingegen nicht. So erzählt er, wie ihn Bassist John Myung einst bei seiner Audition vom Flughafen abholte. Das Reden überlässt der schweigsame Tieftöner lieber seinem Frontmann. Er lässt stattdessen die dicken Saiten seines Instrumentes für sich sprechen.

Die kommen so richtig in Bewegung, als Myung seinem Kindheitsidol Jaco Pastorious Tribut zollt und dessen "Portrait Of Tracy" als Bass-Solo mit in das Mammutprogramm der Band einfließen lässt. Dream Theater haben eben aus ihren Idolen nie einen Hehl gemacht und zelebrieren sie regelrecht.

Ein Traum in Metall

Weniger atmosphärisch, dafür sehr viel krachender und umjubelter geht es zur Sache, als die New Yorker um Gitarrist John Petrucci "As I Am" aus dem Hut zaubern und zur Freude der zahlreich versammelten Zuschauer obendrein noch Metallicas “Enter Sandman“ mit in das Stück einbauen.

Hierbei beweist die Truppe auch gleich ein gehöriges Maß an Selbstironie, wurde doch das dazugehörige Album "Train Of Thought" seinerzeit scherzhaft, aber nicht ganz zu Unrecht von Fans wie Kritikern gleichermaßen als "Dream Theater machen einen auf Metallica" bezeichnet.

Ende der falschen Vorstellung(en)

Mit "Breaking All Illusions" schließt der langweiligere Teil der Show. Diese Aussage ist natürlich Meckern auf hohem Niveau, wenn es hierbei um Stücke wie "The Bigger Picture" geht. Unter innovativen Gesichtspunkten waren ihre frühen Jahre aber die Glanzzeit der Progmetal-Hohepriester.

Als kleines Aufwärmprogramm für den eigentlichen Grund, warum die Mitsubishi Electric Halle derart gefüllt ist, taugt die erste Stunde aber allemal, aller Unkenrufe über die teils leicht fragwürdige Soundauswahl von Jordan Rudess in Songs wie dem epischen "Breaking All Illusions" zum Trotz.

Kleine Zeitreise in die frühen 1990er

Die ganze Tournee steht unter dem Motto “Images & Words & Beyond“. Zwei von der "Images & Words"-Besetzung sind inzwischen längst nicht mehr mit von der Partie. Der neue Drummer Mike Mangini und der schon lange etablierte Tastendrücker Jordan Rudess sind aus technischer Hinsicht zwar ein mehr als adäquater Ersatz für Mike Portnoy und Kevin Moore.

Wo das Fehlen der früheren Mitglieder jedoch weiterhin mehr als deutlich wird, ist in punkto Kompositionen und Arrangements. Gerade Urkeyboarder Moore hatte mit seinem Händchen für Sounds, Melodien und passende Worte großen Einfluss auf die atmosphärisch dichteren Frühwerke.

Auf der Überholspur

Mittlerweile werden gerade diese Komponenten bei Dream Theater schmerzlich vermisst, obwohl natürlich "Images & Words" live weiterhin über jeden Zweifel erhaben ist. Manchmal sind die Aktionen der neuen Mitglieder bei dem alten Material allerdings gefühlt ein wenig zu viel des Guten.

Im Vergleich zu seinem geradezu minimalistisch agierenden Vorvorgänger an den Tasten ist Rudess ein Flitzefinger feinster Güte. Hin und wieder scheint ihm dabei allerdings das Gespür für vornehme Zurückhaltung etwas abzugehen. Bei den Stücken aus der Moore-Ära wird dies nur allzu deutlich.

 

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Stimme abgegeben

Leichte Abstriche muss man auch beim Gesang machen. Der charmante wie charismatische LaBrie kommt beim Publikum selbstverständlich sehr gut an, muss sich aber bereits seit Jahren stellenweise doch arg quälen, obwohl das "Images & Words"-Material bereits einen Halbton tiefer gespielt wird.

Auch in dieser Hinsicht bemerkt man den Abgang von Mike Portnoy vor einigen Jahren mehr als man möchte. Petrucci muss mit freundlicher Unterstützung eines Harmonizers die betreffenden mehrstimmigen Passagen mittlerweile alleine auffüllen.

Ein Fest für die Sinne

Hat man sich allerdings mit diesen kleinen Kompromissen abgefunden, ist das, was Dream Theater live abliefern, aber weiterhin aller Ehren wert. Das Düsseldorfer Publikum feiert seine Helden dann auch nach jedem einzelnen Stück aus der Frühzeit der Bandgeschichte.

Zwischendrin versprüht LaBrie seinen Esprit, wenn er kurze Anekdoten aus der Entstehungsphase zum Besten gibt. So erfahren die Zuschauer beispielsweise, dass die die fünfköpfige Truppe am Ende der Studioaufnahmen einiges an Gewicht zugelegt haben muss.

Immer noch große Klasse

Von seinem Zauber hat "Images & Words" indessen bis heute nur wenig eingebüßt. Noch immer bekommt der geneigte Proghörer bei Werken wie "Pull Me Under" und "Take The Time" die volle Dosis hochkomplexer Härte und entspannender Melodien auf die geübten Ohren.

Natürlich werden auch exquisite Exkursionen in die Welt des Solierens und Improvisierens nicht vergessen. Speziell die Enden der Songs bekommen durch ein verlängertes Keyboardoutro bei "Another Day" und ein Gitarrensolo am Schluss von "Take The Time" neues Leben eingehaucht.

Es schlägt dreizehn

Neues gibt es auch aus "Metropolis" zu vermelden, das inzwischen in der Mitte als Solovehikel für Mike Mangini dient. Der Drummer bearbeitet seine Felle mit einer Härte und Aggressivität, dass es eine wahre Freude ist, und lässt exotisches Schlagwerk wie Rototoms ebenso wenig außen vor.

Der Koloss war schon immer das Highlight der gesamten Platte und sorgte nicht umsonst dafür, dass Dream Theater ihm einige Jahre später einen zweiten Teil in Form eines Konzeptalbums gönnten. Das folgende "Under A Glass Moon" steht dem Progmonolithen aber nur in wenig nach.

Die volle Bandbreite

Gänsehaut pur ist bei "Wait For Sleep" angesagt, bei dem Rudess im Vorspiel seine Qualitäten als Pianist unter Beweis stellen darf. Nach eigenem Bekunden ist die wunderschöne Moore-Komposition auch für Sänger LaBrie ein Schlüsselmoment auf dem "Images & Words"-Album.

Thematisch schließt sich der epische Closer der Platte, "Learning To Live", an das Klavierintermezzo an und greift dessen Thema gleich mehrfach auf. Live präsentiert es sich sehr viel ausgedehnter als auf der Scheibe. Am Ende liefern sich Petrucci und Rudess ein Duell von Guitar gegen Keytar.

Epischer Abschluss

Dream Theater besäßen aber wohl nicht ihren Status als Kultband, wenn sie nicht bei jeder Tour etwas Extravagantes aus dem Hut zaubern würden. In diesem Fall entstauben sie ein weiteres frühes Meisterwerk und bieten mit dem knapp 25-minütigen "A Change Of Seasons" eine gigantische Zugabe.

Die wilde Irrfahrt durch die vier Jahreszeiten wird genauso frenetisch bejubelt wie bereits zuvor das gesamte "Images & Words"-Album und zeigen, dass die ersten Alben auch in Fankreisen einen wesentlich höheren Stellenwert einnehmen dürften als die letzten Veröffentlichungen.

Weiterhin ein Spektakel

Nach beinahe drei Stunden Spielzeit verabschieden sich Dream Theater von der Düsseldorfer Bühne. Instrumental hat die Band ein wahres Feuerwerk abgeliefert und man muss sich manchmal schon wundern, wie sie es schaffen, die hochkomplexen Stücke derart auf den Punkt zu bringen.

Von kleineren Wermutstropfen abgesehen zementiert das New Yorker Quintett auch nach etwa dreißig Jahren Bestehen seinen Ruf als hervorragende Liveband. Solange sie sich dabei auf ihre Frühwerke konzentrieren, ist auch weiterhin ein Progfest erster Güte angesagt.

Setlist

The Dark Eternal Night / The Bigger Picture / Hell’s Kitchen / The Gift Of Music / Our New World / Portrait Of Tracy / As I Am (inklusive Enter Sandman) / Breaking All Illusions // Pull Me Under / Another Day / Take The Time / Surrounded / Metropolis Pt. 1: The Miracle & The Sleeper / Under A Glass Moon / Wait For Sleep / Learning To Live // A Change Of Seasons

 

 

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