Als einzig verbliebenes Gründungsmitglied von Marillion ist Steve Rothery seit mehr als drei Jahrzehnten aus dem Bereich der progressiven Rockmusik kaum mehr wegzudenken. Mit “The Ghosts Of Pripyat“ unter der Beteiligung solch illustrer Gäste wie Steve Hackett und Steven Wilson hat er es 2015 endlich geschafft, ein Soloalbum abseits seiner Stammformation auf den Markt zu bringen.

Das ist für den Gitarristen Grund genug, gleich zu Beginn des Jahres erst einmal seine zweite Truppe um sich zu scharen und auf eine kleine Tour zu gehen, auf der die Steve Rothery Band auch in Frankfurt Halt macht. Die momentanen Konzerte sind eine kleine, relativ intime Angelegenheit. Das zeigt sich bereits daran, dass der hintere Teil der Batschkapp verhängt bleibt.

Großer Beginn für das Geburtstagskind

Vor der Absperrung ist die Stimmung dafür sehr viel ausgelassener, als die Vorgruppe The Dave Foster Band die Bühne betritt. Auch bei ihrem Auftritt wird sehr schnell deutlich, dass Steve Rothery rein nichts daran zu liegen scheint, eine Megashow in puncto Inszenierung abzuliefern.

Sein Support besteht nämlich – bis auf die niederländische Sängerin Dinet Poortman und ihn selbst – allesamt aus Mitgliedern des eigentlichen Hauptacts. Stilistisch lehnt sich das Quintett aus Frontfrau, Keyboarder, Bassist, Schlagzeuger und dem namensgebenden Gitarristen, ebenfalls leicht an Rotherys diverse Projekte an.

Etwa vierzig Minuten lang arbeiten sie sich unter anderem durch Stücke von Fosters neuestem Solowerk “Dreamless“, bevor Rothery vorsorglich schon einmal die Bühne betritt, seiner rechten (Gitarren-)Hand zum Geburtstag gratuliert und ein Solo auf der Sechssaiter zum Besten gibt. Natürlich gibt es dazu noch ein obligatorisches Ständchen vom anwesenden Publikum. Schöner hätte Dave Foster sein Jubiläum wohl kaum verbringen können.

Die Geister, die ich rief

Nach der Pause, die dieses Mal in keiner Umbauphase mündet, betritt dann endlich der Headliner die Bühne der Batschkapp. Dinet Poortman darf sich ausruhen, und der Rest der Musiker aus dem ersten Teil arbeitet sich nun gemeinsam mit Steve Rothery durch einen Großteil von dessen Soloalbum “The Ghosts Of Pripyat“.

Der Opener “Morpheus“ mit seinem sphärischen Beginn könnte auch gut und gerne von David Gilmour stammen. Auf dem Album erhält Rothery bei diesem Stück Unterstützung von Genesis-Legende Steve Hackett. Live darf Dave Foster, seines Zeichens hauptberuflich Saitenhexer der walisischen Band Panic Room, demonstrieren, was er an dem Instrument so zu bieten hat – und das ist eine ganze Menge.

Traumhafte Instrumentals

Auf “The Ghosts Of Pripyat“ gibt es keinerlei Gesang, dafür umso mehr Gitarre. Hier darf sich Rothery ausleben, wie bei Marillion schon lange nicht mehr. Die Nummern des Albums kommen vom Innovationsfaktor her zwar nicht gerade einer Quadratur des Kreises gleich. Wunderschön und gleichzeitig alles andere als anspruchslos sind sie aber dennoch.

Das wahrscheinlich größte Highlight in diesem Teil der Show ist der Longtrack der Platte, und zwar das auf den Hemingway-Roman anspielende “Old Man Of The Sea“ mit seinen langen Soli und schönen Orgeleinlagen von Keyboarder Riccardo Romano. Die restlichen Stücke können jedoch ebenso beeindrucken, allen voran “Summer’s End“, das nach ruhigem Beginn gegen Ende so richtig Fahrt aufnimmt.

 

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Schöne Bescherung

Nach einer erneuten kurzen Pause folgt schließlich die Komponente, auf die das Publikum den ganzen Abend bereits sehnsüchtig gewartet hat. Rothery spielt den verspätet auftauchenden Weihnachtsmann und holt eine ganze Ladung alter Klassiker seiner Stammband aus dem Sack. Dabei greift er allerdings nicht nur zu den zu erwartenden Songs, sondern ganz tief die Trickkiste.

Den Anfang macht überraschenderweise “Cinderella Search“, ein Frühwerk, das seinerzeit nicht einmal den Weg auf die ersten Marillion-Longplayer geschafft hat, aber trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – große Resonanz erhält. Das ungleich bekanntere “Chelsea Monday“ wird ebenso begeistert in Empfang genommen.

Immer noch Neo-Prog

Die Frühwerke von Marillion sind zeitlos, und bei all seiner Innovativität während der Steve Hogarth-Ära seiner Stammband kann man Rothery dennoch als eine Art Traditionalist betrachten. Denn er ist der Stilrichtung des Neo-Prog (aus heutiger Sicht eine leicht antik anmutende Bezeichnung)  Zeit seines musikalischen Lebens treu geblieben. Seine Fans danken es ihm.

Die Frage, wer unter den Instrumentalisten wohl den Gesangspart bei den Marillion-Songs übernehmen würde, lässt sich mittlerweile mit einem klaren „niemand“ beantworten. Die Steve Rothery Band setzt auf Martin Jakubski, den Frontmann der Tribute-Band StillMarillion, und er kommt dem Timbre sowie der Intonation und Phrasierung schon recht nahe, während sich Geburtstagskind Foster die ein oder andere Verschnaufphase gönnen darf.

Spaß muss sein

Klassiker wie “Incubus“ und “Fugazi“ oder “White Russian“ wechseln sich mit Überraschendem wie “Three Boats Down From The Candy“ ab, allesamt von der sich in bestechender Form präsentierenden Band brillant umgesetzt. Die Rhythmusgruppe aus Drummer Leon Parr und Basser Yatim Halimi tickt wie ein Schweizer Uhrwerk – und die Zuschauer in der Halle sind fasziniert.

Rothery weiß um die Begeisterung seiner Fans. Gut aufgelegt scherzt er vor “White Russian“, dies sei das letzte Stück des Abends, bevor die Fans jubeln und er zusammen mit dem Rest seiner Band zurück auf die Bühne kommen werde. Auf Showeffekte legt der Altmeister wenig Wert. Präzise durchgetaktet sind die aktuellen Konzerte trotzdem.

Weniger ist mehr?

Auch die beiden regulär eingeplanten Zugaben, “Garden Party“ und der erste jemals veröffentlichte Marillion-Song “Market Square Heroes“, haben es in sich. Normalerweise würde sich die Steve Rothery Band daraufhin verabschieden. Doch zur Feier des Tages, dem Geburtstag von Dave Foster, gibt es noch einen oben drauf. Zusammen mit Dinet Poortman rocken sich die fünf Männer durch “Hollywood Nights“, dem Chef der Truppe nach eines der Lieblingsstücke des Geburtstagskindes.

Insgesamt gab es für das Publikum an diesem Abend gute drei Stunden Musik einer sich spielfreudig präsentierenden Band plus Anhang, und die anwesenden Zuschauer honorieren dies auch mit dem dementsprechenden Applaus. Der einzige Wehmutstropfen ist, dass bei den eisigen Temperaturen derzeit in Deutschland nicht mehr Leute den Weg in die Batschkapp gefunden haben. Die fünf Instrumentalisten und zwei Sänger hätten es nämlich verdient gehabt.

Setlist

Morpheus / Kendris / Old Man Of The Sea / White Pass / Summer’s End // Cinderella Search / Chelsea Monday / Incubus / Fugazi / Sugar Mice / Three Boats Down From The Candy / White Russian // Garden Party / Market Square Heroes / Hollywood Nights

 

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