Es war eine Weile ziemlich still geworden um Thomas Hübner, alias Clueso. Nach einer selbstverordneten Pause, in der er sich von seiner Band trennte und sein privates wie musikalisches Leben völlig neu geordnet hat, ist der Erfurter mit dem treffend betitelten Album „Neuanfang“ vor wenigen Monaten in die Öffentlichkeit zurückgekehrt – und gleich wieder auf Platz 1 der hiesigen Albumcharts eingestiegen.

Mit einer neuen fünfköpfigen Truppe, die er als seine Begleitgruppe um sich geschart hat, ist Clueso aktuell auf Clubtour durch unsere Lande. In solch einer intimen Atmosphäre konnte man den gefühlvollen Sänger in den letzten Jahren selten erleben. Der letzte Abend der momentanen Deutschlandreise in der Darmstädter Centralstation ist dann auch völlig ausverkauft. Die Halle platzt beinahe aus allen Nähten, als Clueso und seine gegenwärtigen Mitstreiter dort aufschlagen.

Eine Weltenbummlerin für den Neuanfang

Als Unterstützung für die derzeitige Tour hat sich der Erfurter die Neu-Berlinerin Sara Hartman mitgebracht. Während des Vorprogramms steht die zierliche US-Amerikanerin vollkommen alleine mit Gitarre in der Hand auf der Bühne, um ihre Songs zu präsentieren – zunächst mit elektrischer Sechssaiter, später mit einer akustischen Variante bewaffnet. Was die Sängerin und Songwriterin dort im Alleingang so von sich gibt, lässt sich auch durchaus hören.

Man muss die junge Frau aus den Hamptons in der Nähe von New York bewundern, zog sie doch als 18-jährige ganz alleine aus der beschaulichen Welt der Schönen und Reichen vor den Toren der Ostküstenmetropole in die große, weite Welt hinaus. In Berlin gelandet, hat sie ihre erste EP “Satellite“ mit dem Produzenten Tobias Kuhn veröffentlicht und ganz nebenbei mit Ellie Goulding getourt. Auch dem Darmstädter Publikum gefällt, was Hartman solo abzuliefern imstande ist.

Gut aufgelegter Neuanfang

Wie es sich für einen echten „Neuanfang“ gehört, beginnt Clueso dann nach der Umbaupause auch mit allerhand Dingen, die neu sind, wie dem Titelsong seines aktuellen Albums und dem von der gleichen Scheibe stammenden, im melancholischen Elektronikgewand gehaltenen „Neue Luft“. Noch ist das Licht schummrig, die Atmosphäre knistert aber dennoch bereits leicht, besonders als der Erfurter und seine Band mit „Mitnehm“ und „Beinah“ etwas ältere Stücke nachschieben.

Es herrscht relativ früh eine großartige Stimmung im vollgepackten Zuschauerraum. Das liegt auch daran, dass sich Clueso sehr gut aufgelegt präsentiert und zwischen praktisch jedem Stück kurze Anekdoten zum Besten gibt. So zitiert er etwa vor „Erinnerung“ aus “Hotel California“ von den Eagles oder liefert eine vorzügliche Imitation seines Mentors, Freundes und, wie er ihn nennt, „alten Narzissten“ Udo Lindenberg ab, der sich, wenn man Clueso glaubt, gar nicht mehr erde, sondern bloß wundere.

Ein echter Entertainer

Das Statement über den Altmeister des deutschen Pop dient als Überleitung zu einem weiteren aktuellen Stück, „Lass sie reden“. Mittlerweile hat das Publikum, und speziell die weiblichen Fans, die Betriebstemperatur vollständig erreicht. Unter den Zuschauern herrscht viel Bewegung, es wird getanzt und mitgesungen. Auch Clueso und seine neue fünfköpfige Band aus zwei Gitarristen, einer Bassistin, einem Drummer und einem Keyboarder feuert mittlerweile aus allen Rohren.

Der Erfurter versteht es, sein Darmstädter Publikum bei Stange zu halten. Er lobt die Centralstation als „supergeile Location“ und fragt, ob die Zuschauer die Telefonzelle, die „kleinste Disco der Welt“, vor der Tür kennen würden. Spätestens jetzt wird auch klar, warum Clueso gerade Sara Hartman als Vorprogramm für diese Tour ausgewählt hat. Er erzählt, wie er die quirlige Amerikanerin im Studio kennenlernte und sie spontan bat, auf seinem Album mitzuwirken. Sie unterstützt ihn dann auch bei einem ausgedehnten „Anderssein“ mit viel Energie und wehenden Locken.

Er kann auch anders

Die Fans in der Halle sind inzwischen vollkommen euphorisiert, insbesondere als Clueso auspackt, dass ihm so ziemlich jeder in seinem Bekanntenkreis davon abgeraten habe, Bruce Springsteen zu übersetzen, da der „Boss“ ja viel zu cool sei. Der Erfurter hat es trotzdem getan und legt mit „Es brennt wie Feuer“ seine eigene Interpretation des “Born In The U.S.A.“-Klassikers “I’m On Fire“ nach, bei dessen Refrain das Publikum artig klatscht und aus voller Kehle mitsingt.

Nach dieser ersten Überraschung auf der aktuellen Tour präsentieren Clueso und Band gleich die nächste. „Cello“, die frühe Großtat aus dem Schaffen Udo Lindenbergs, gibt es an diesem Abend nicht in dem klassischen Arrangement, in dem der Erfurter zusammen mit der lebenden Legende dem Stück vor einigen Jahren zu neuem Glanz verholfen hat. Stattdessen gibt es den Song in einer Reggae-Version, die zunächst seltsam wirkt, aber irgendwie doch funktioniert. Eigentlich hätte das Stück „E-Piano“ heißen müssen, denn hierbei darf sich der Keyboarder als Solist austoben.

 

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Facettenreich

Als Clueso dann zur Akustikgitarre greift, vergisst er, in sein Mikrofon zu sprechen – ob Absicht oder Fauxpas sei dahingestellt. Auf seine Frage, ob das Publikum ihn auch ohne verstehe, erhält er eine eindeutige Antwort und beginnt daraufhin kurz, komplett ohne Verstärkung loszulegen. Womit er sich während seiner Auszeit beschäftigt hat, lässt er seine Fans auch wissen. Im Publikum geht ein Schild für „Viva con agua“ nach oben. Clueso bewirbt daher die NGO, mit der er zwischenzeitlich zwecks einer besseren Trinkwasserversorgung in Äthiopien unterwegs war.

Thematisch dazu passend ist dann auch der nächste Song, “Love The People“, weil er nach Aussage des Erfurters aktueller denn je sei. Nach dem Reggaestück mit seiner ausgedehnter Gesangseinlage zwischen Clueso und seinen Zuschauern fordern die Fans „Achterbahn“, doch der Sänger lässt sich zunächst nicht darauf ein, sondern berichtet lieber von einem Anruf des Goethe-Instituts, das ihn als Deutschlehrer ins Ausland schicken wollte. In diesem Zusammenhang strandete er irgendwann 17 Stunden lang am Flughafen von Kuala Lumpur und schrieb das Stück „Mach’s gut“.

Viel Energie und Wissenswertes

Weiter geht die wilde Fahrt mit „Freidrehen“ und seinem energiegeladenen Finale, das wieder einmal auf das Publikum überschwappt und in großen Jubel mündet, den Clueso einfach nur „saugeil“ findet. Nach einem anschließenden “Happy birthday“ für einen der beiden Gitarristen darf Sara Hartman für „Wenn du liebst“ auf die Bühne zurückkehren. Dafür, dass sie noch nicht allzu lange in Deutschland lebt und die Sprache kaum beherrscht, meistert sie ihren Gesangspart in dem Duett mit Bravour.

Weiteres Wissenswertes aus dem Leben des Erfurters gibt es, als er auspackt, dass selbst seine Mutter ihn hin und wieder Clueso statt Thomas nenne und er dann immer erschrecke oder dass gelegentlich Personen in der Disco zu ihm kämen, um ihn zu fragen, ob es ihn nicht nerve, wenn die Leute ihn ansprächen. Dann wird endlich dem Wunsch des Publikums entsprochen und es gibt „Achterbahn“, das die Leute zum Tanzen bringt und riesigen Jubel zur Folge hat. Der weiterhin wie der nette Junge von nebenan aussehende Clueso bedankt sich artig.

Ausgedehntes Finale

Als erste Zugabe gibt es mehr vom „Neuanfang“, beginnend mit „Gordo“, einem Lied über den ersten Affen im Weltall, der allerdings durch einen technischen Fehler bei der Landung im Ozean ertrank, bevor Clueso ganz tief in die Mottenkiste greift und mit „Chicago“ seine ruhige, bereits zehn Jahre alte zweite Single auspackt, die gegen Ende in einem großen Mitsingfinale mit Band mündet. Im Anschluss bedankt sich der Erfurter an diesem letzten Abend der Tour für die tolle Zusammenarbeit mit seiner neuen Crew.

„Barfuß“ mündet an seinem ruhigen Ende in einem minutenlangen Gesangsintermezzo zwischen Clueso und seinem Publikum, woraufhin eine paradoxe Situation entsteht. Ein Teil der Zuschauer kann sich vor Jubel kaum halten, doch da es mittlerweile recht spät geworden ist, verlässt ein anderer Teil scharenweise den Saal gen Parkhaus und Bushaltestellen. Kein Wunder bei guten zweieinhalb weitgehend grandiosen Stunden Spielzeit.

Doch – wie Clueso selbst sagt – folgen er und seine Band weiterhin dem Motto „Kein Bock zu geh’n“ und demonstrieren dies mit einer dementsprechend ausgedehnten, jazzigen Version seiner ersten Single. Für Fans des Erfurters war sein „Neuanfang“ auf kleinen, intimeren Bühnen ein tolles Weihnachtsgeschenk. Mehr hätte man an diesem Abend auch wirklich nicht verlangen können. Clueso ist zurück – und wie.

Setlist

Neue Luft / Neuanfang / Mitnehm / Beinah / Erinnerung / Keinen Zentimeter / Lass sie reden / Anderssein (mit Sara Hartman) / Es brennt wie Feuer / Jeder lebt für sich / Cello / Viel gesehen / Love The People / Mach's gut / Freidrehen / Ich bin fürs Rollen / Wenn du liebst (mit Sara Hartman) / Achterbahn / Gewinner // Gordo / Chicago / Barfuß / Kein Bock zu geh'n / Sorgenfrei

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