Silly (live in Mannheim 2016) Fotostrecke starten

Silly (live in Mannheim 2016) © Rudi Brand

Viele Bands mutieren nach einer geraumen Weile oftmals zum Schatten ihrer selbst. Bei Silly besteht diese Gefahr nicht. Auch auf der Tour zu ihrem dritten Album mit Sängerin Anna Loos beweist die DDR-Rockinstitution im Mannheimer Capitol, wie gut sie noch im Schuss ist.

Zusammen mit den "Rock Legenden" Puhdys, City und Karat gehörten Silly mit ihrer vor zwanzig Jahren an Brustkrebs verstorbenen Frontfrau Tamara Danz noch vor der Wende zu den ganz großen Rockbands der DDR. Doch auch im vereinigten Gesamtdeutschland haben sie seit ihrer Wiederauferstehung mit der neuen Sängerin Anna Loos gut Fuß gefasst.

"Wutfänger", das dritte Album in der aktuellen Besetzung, war im Frühjahr gleichzeitig auch ihre dritte Top 5-Platte in Serie. Dass eine Tour folgen würde, die sie unter anderem ins Mannheimer Capitol führen würde, war dann eigentlich nur die logische Konsequenz.

Wo bleibt das Fieberthermometer?

Als Vorprogramm haben die Ostrock-Koryphäen die aus Dresden und Leipzig stammenden 108 Fahrenheit mitgebracht – oder zumindest einen Teil davon. Denn eigentlich besteht die Band live aus über einem Dutzend Musikern. Für die Silly-Tour haben sie sich selbst allerdings auf das Minimalste reduziert und erscheinen lediglich als Trio. Dafür präsentieren sie umso energischer und spielfreudiger Material aus ihrem neuen Album "Mein Herz", obwohl Sänger und Gitarrist Kai Niemann gesundheitlich angeschlagen ist und seine Stimme deshalb etwas kratzig wirkt.

Seiner guten Laune tut das geschwächte Immunsystem aber keinen Abbruch. Immer wieder liefern er und Banjo-Spieler Marco Pfennig nebst zweistimmigem Gesang während der Songs auch zwischen den Stücken humorvolle Intermezzi ab, die hin und wieder zu Lasten des weitgehend stoischen und nur gelegentlich mitträllernden Kontrabassisten Adrian Kehlbacher gehen. Nach etwa einer halben Stunde verabschieden sich die drei schließlich vom Mannheimer Publikum, das durch ihre countrylastigen deutschsprachigen Lieder bereits gut in Stimmung gebracht worden ist.

Kunterbunter Farbenreigen

Gegen Ende der Umbauphase ist das Capitol dann in lilafarbiges Licht gehüllt, während das Intro vom Band ertönt. Es folgt ein türkises Spotlight auf Keyboarder Ritchie Barton, der zunächst im Alleingang das erste Stück "Kampflos" vom neuen Album anstimmt. Nachdem Frontröhre Loos in selbigem Licht erstrahlt und im Lied angekommen ist, huschen weiße Strahler durch die Zuschauermenge. Silly setzen bereits zu Beginn des Konzerts mit ihrer farbenfrohen Lightshow ebenso wie durch die glasklare und transparente Abmischung erste Ausrufezeichen.

In diesem Sinne geht die Show auch weiter. Schon im Laufe der ersten Songs fahren die Ostrocklegenden sämtliche nur erdenklichen Farben auf, während sie Material von ihrer neuen Platte zum Besten geben. Außerdem kommen diverse Gimmicks zum Einsatz. So greift Anna Loos bei "Zwischen den Zeilen" mehrfach kurz zu einem Megafon, und als sie im Verlauf von "Die Anderen" das Mannheimer Publikum energisch dazu auffordert, ihr auszuhelfen, stimmen die Anwesenden lauthals in den Text des Refrains an.

Eine echte Attraktion

Überhaupt scheinen Silly ihren eigenen Fanclub mit ins Rhein-Neckar-Gebiet gebracht zu haben. In den vorderen Zuschauerreihen werden verschiedene Plakate hochgehalten. Zudem platzt der Saal fast aus allen Nähten. Sogar auf der Empore ist kaum noch Platz zu finden, sodass sich etliche Gäste gezwungen sehen, das Konzert vom Foyer aus zu beobachten. Der Zuspruch spricht für die Qualität und den Kultstatus der Berliner. So voll wie an diesem Abend dürften wohl die wenigsten das Capitol jemals erlebt haben.

Nach einer ersten Ansage ihrer Frontfrau geht die Band dann zu den gefeierten Klassikern aus ihrer Phase mit Ursängerin Tamara Danz über. Bei ihrem großen Hit aus DDR-Zeiten, "Bataillon d’Amour", erhält die Bühne durch die düstere, in blau und rot gehaltene Beleuchtung beinahe einen leichten Gothic-Anstrich. Bei diesem Stück darf sich der als Bassprofessor und Lehrbuchautor bekanntgewordene Jäcki Reznicek, genauso wie auf der von ihm geprägten Originalaufnahme, erstmals so richtig auszeichnen.

Weiterlesen im 2. Teil ›

Teil 1  Teil 2  

Teil 1  Teil 2  

Wachablösung

Dass gerade die Stücke aus der Frühphase der Band vielumjubelt sein würden, erstaunt nicht. Zu sehr war die Gruppe einst mit Tamara Danz verbunden, so dass sie sich nach ihrem Tod zunächst ein knappes Jahrzehnt zurückzog, bevor sie schließlich mit Loos am Mikrofon wieder richtig in Erscheinung trat. Auch wenn ihre Nachfolgerin vielleicht nicht ganz die gleiche stimmliche Power besitzt, macht sie ihre Sache dennoch sehr gut und ist als fester Bestandteil der "neuen" Silly kaum noch wegzudenken.

Die Rückkehr der Band auf die Bühnen dieses Landes erweist sich als eine gute Sache, demonstrieren sie doch im Laufe des Abends ein aufs andere Mal ihre musikalischen Fähigkeiten. Keyboarder Barton beispielsweise darf im ausgedehnten Klavierintro zu "Die Furcht der Fische" sein ganzes Können an den schwarzweißen Tasten aufbieten, ebenso wie Stammgitarrist Uwe Hassbecker während seines Solos die Chance erhält, sein Talent an den sechs Saiten ausgiebig zu zeigen.

In der Ruhe liegt die Kraft

Im Fokus des Abends steht aber ganz klar das Material von Sillys aktuellem Album "Wutfänger", einer Art Abrechnung mit den Demagogen und Kriegstreibern wie mit den Besserwissern der heutigen Zeit. Gleich zehn Titel von ihrer neuesten Scheibe präsentieren die Berliner. Nach "Das haben wir erlebt" spricht Loos davon, dass man in einer Welt, die derart aus den Fugen geraten sei, enger zusammenrücken müsse. Die Band befolgt dieses Motto dann unverzüglich selbst und geht zu einem intimeren Akustikset über.

Als die Sängerin schließlich kundgetan hat, wie schön sie es in Mannheim finde, fragt sie die Anwesenden, wer von ihnen denn mit seiner ersten großen Liebe gekommen sei. Es melden sich immerhin ein paar wenige Zuschauer, was die Frontfrau doch sichtlich überrascht. Geliebte Menschen gebe es nur mitsamt ihrer Schwächen, analysiert sie. Kaum hat sie ihre Ansprache beendet, geht sie jedoch sogleich zu "Deine Stärken", denn im Gesamtpaket scheinen die positiven Seiten hierbei zu überwiegen.

Hits und Kracher

Auf die vielumjubelte Partnerbewertung folgt ein stimmungsvoller, beinahe countrymäßiger Beginn des ersten großen Silly-Hits "Mont Klamott", bei dem Barton die höheren Gesangsparts noch oberhalb von Loos übernimmt. In der Mitte des Songs hallt schließlich die markante Textstelle "so grün" begleitet von einem Synthesizer in Dauerschleife durch das Capitol, die Bühne befindet sich in einem dunklen Blau, und die Band setzt, nun elektrisch verstärkt, zur sehr druckvoll wiedergegebenen zweiten Hälfte des Stückes an. Starker Jubel, Klatschen und Pfeifen ist die Konsequenz

In der Folge gibt es dann ein Solo für den von Rockhaus zur Unterstützung herangezogenen zweiten Livegitarristen Reini Petereit in "Schlohweißer Tag". Ein Highlight des Abends ist das rockige, fast schon brachiale "Willkommen in der Gemeinschaft" mit seinem bauchigen Bass während der Strophen. Dieses verwandelt sich im Laufe des Stückes in einen groovigen Reggae, zu dem Loos über die Bühne tanzt und die Band vorstellt. Als Hassbecker Loos vorgestellt hat, singt er per Talkbox "Wir sind so albern". Dann geht der Song genauso krachend zu Ende, wie er begonnen hat.

Gegen Ende ein Spektakel

Auch der Zugabenteil gestaltet sich ähnlich spektakulär. Nach minutenlangem frenetischen Jubel mit Gesängen und Geklatsche ist die Bühne erneut in lila gehüllt. Zum zweiten Mal ertönt ein Intro vom Band, dann stehen nur Hassbecker mit einer Lauoto, einem kretischen Saiteninstrument, in seinem Händen und Drummer Ronny Dehn vor dem Publikum. Schließlich betritt der Rest der Band, mit Trommeln bewaffnet, die Bühne und stimmt in das sehr rhythmische und perkussive "Vaterland" mit ein. Silly verstehen es vorzüglich, leise und laute Töne zu mischen.

Als sie sich zu guter Letzt von ihrem Mannheimer Publikum verabschieden, treten Band wie Publikum zufrieden ihre Reise an, sei es Richtung Hotel oder eigenem Zuhause. Die runderneuerten Ostrocker haben nichts von ihrem einstigen Talent verloren und dank der Frischzellenkur durch Anna Loos sowie den Live-Mitgliedern Dehn, Petereit und Hassbender-Sohn Daniel an Cello und dem zweitem Keyboard den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft. Dass Silly dort täglich auf die thematisierten "Wutfänger" stoßen, zeigt nur umso mehr, wie sehr sie weiterhin zum Zeitgeist passen.

Setlist

Kampflos / Zwischen den Zeilen / Die Anderen / Verlorene Kinder / Bataillon d’Amour / Die Furcht der Fische / Regenbogenmond / Das haben wir erlebt / Wutfänger / Ich sag nicht ja / Deine Stärken / Mont Klamott / Gestohlenes Glück / Frei / Schlohweißer Tag / Willkommen in der Gemeinschaft (inklusive Bandvorstellung) / Wo fang ich an // Vaterland / Alles rot // Atme

‹ Zum 1. Teil

Teil 1  Teil 2  

Alles zum Thema:

silly