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Jean Michel Jarre (live in Frankfurt am Main, 2016) © Mathias Utz

Mit einer gelungenen Mischung aus neuem Material und Klassikern beweist Jean Michel Jarre in der Festhalle Frankfurt, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Nur ein wenig länger hätte sein Konzert durchaus dauern dürfen.

Nachdem er sich einige Zeit lang recht rar gemacht hatte, kehrte Elektronikpionier Jean Michel Jarre im vergangenen Jahr mit seinem "Electronica"-Doppelschlag fulminant zurück. Welchen Stellenwert der Franzose in seiner Zunft genießt, demonstriert die Vielzahl verschiedener Künstler, mit denen Jarre bei seinem aktuellen Projekt zusammengearbeitet hat.

Neben zu erwartenden Kollaborateuren wie Tangerine Dream oder den Pet Shop Boys zählten dazu weltberühmte Musiker wie The Who-Mastermind Pete Townshend, der chinesische Starpianisten Lang Lang und sogar Edward Snowden. Auch die Zuschauerzahlen seiner ausgedehnten "Electronica"-Europatour sprechen für Jarres immer noch vorhandene Popularität.

Massenhypnose

Nach einem kleinen Aufwärmprogramm durch einen DJ ist die in blau gehaltene und mit sphärischer Hintergrundmusik beschallte Frankfurter Festhalle dann auch gut gefüllt. Als der Altmeister schließlich zu den sich auf den Videoleinwänden drehenden Würfeln von "The Heart Of Noise" die Bühne betritt, ist die Resonanz aus dem Publikum groß.

Der Jubel zieht noch an, als Jarre im Anschluss an "Automatic 2" nach vorne tritt und das Publikum auf Deutsch mit "Guten Abend, Frankfurt!" begrüßt. Mit dem hypnotisierenden Klassiker "Oxygène 2" versetzt er danach die Zuschauer regelrecht in Trance. Gebannt starren sie auf das Geschehen oder schließen komplett die Augen, um dem knackig, dynamisch und transparent aus den Boxen dröhnenden Klangkulissen zu folgen.

Update fürs 21. Jahrhundert

Mehrmals hatte der Franzose versucht, seinen klassischen Sound ins 21. Jahrhundert zu verfrachten. Nach etlichen teils missglückten Anläufen scheint es ihm mit "Electronica" endlich gelungen zu sein. Dazu passt auch, dass er seine frühen Großtaten im Zuge dieser Tournee runderneuert hat. "Oxygène 2" klingt sehr viel schlagkräftiger und moderner als das Original. Der mitgebrachte Trommler, der zu Jarres Rechten agiert, trägt seinen Teil dazu bei.

Der Franzose und seine beiden Mitstreiter konzentrieren sich aber weniger auf das Vergangene, sondern eher auf das Hier und Jetzt. Der Löwenanteil des Konzerts wird den Stücken von den beiden "Electronica"-Scheiben eingeräumt. So folgt dann auf den ersten Klassiker des Abends auch sogleich das ursprünglich mit Siriusmo aufgenommene "Circus".

Bekanntes und Unbekanntes

Jarre wäre aber nicht Jarre, würde er bei seinen Liveauftritten nicht immer wieder etwas Ausgefallenes präsentieren. Analog zu den damals bei den Chinakonzerten vorgestellten neuen Titeln, die auf keinem Studioalbum veröffentlicht wurden, gibt er auf der aktuellen Tour mit dem anschließenden "Web Spinner" einen (bislang) unveröffentlichten Song zum Besten.

Bei dem bis dato unbekannten Stück gibt es dann auch endlich die für Jarre so obligatorisch gewordenen Laser, mit denen er bei seinen Mammutshows bereits vor Jahrzehnten zu beeindrucken wusste. Die ständig stimmungsvolle Animationen präsentierenden LED-Leinwände ziehen sich wie eine Art Vorhang vor der Bühne zusammen und flackern auf.

Krachender Abgang

Erneut tritt der Franzose nach vorne und spricht kurz über Edward Snowden, den er in Moskau traf, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Das Ergebnis ist das fulminante, cyberspacemäßige "Exit", das sich in der Mitte stark verlangsamt, um dem Kollaborateur seinen verdienten Platz einzuräumen. Der, je nach Sichtweise, amerikanische Volksheld oder Verräter erscheint auf den sich wieder zusammenziehenden LED-Vorhängen, um seine Botschaft zu verkünden, bevor der Track wieder so richtig Fahrt aufnimmt.

Jarre und seine Mitmusiker gehen aus "Exit" gleich in den in grün gehaltenen, zweiten Klassiker des Abends, "Équinoxe 7“" über. Auch von diesem Stück gibt es in der Frankfurter Festhalle eine sehr moderne, krachende und dynamische Interpretation, an deren Ende der Altmeister sogar selbst zur Stromgitarre greift, um der Tagundnachtgleiche ein rockiges Finish zu verpassen.

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Danach wird es mit dem bei seinem Erscheinen schon recht kommerziellen, jedoch einprägsamen "Oxygène 8" zunächst wieder spacig. Bald aber erklingt der Titel von massiven Technobeats unterlegt, bevor die drei Mannen auf der Bühne ihm einen klaren Break verpassen und sämtliche Schlaginstrumente komplett herausnehmen, um am Ende wieder in den pumpenden Teil überzugehen. Das Ganze wirkt sehr stimmig. So sieht eine gelungene Runderneuerung aus.

Dabei springt der fast siebzigjährige Jean Michel Jarre wie ein junger Hüpfer hinter seinem Pult herum, das neben modernen Synthesizern auch feinstes modulares Vintage-Equipment beinhaltet, und klatscht ein aufs andere Mal in die Hände, um das Publikum anzufeuern. Diesen Ansporn hätte er sich allerdings wohl schenken können, denn die Zuschauer in der bestuhlten Festhalle sind an diesem Abend auch ohne seine Aufforderungen bestens aufgelegt.

Ein Moment der Nostalgie

Sein Alter kann der Franzose dann jedoch nicht mehr verleugnen, als er im Anschluss an das mit Tangerine Dream entstandene "Zero Gravity", das in Frankfurt im Above & Beyond-Remix präsentiert wird, über den Anfang 2015 verstorbenen Berliner Elektronikpionier Edgar Froese spricht. Die Zusammenarbeit der beiden war das letzte Stück, das der Tangerine Dream-Boss zu Lebzeiten aufgenommen hat. Ein wenig Nostalgie klingt bei der kurzen Ankündigung ebenso wie bei dem vergleichsweise ruhigen, aber stimmungsvollen Stück schon durch.

Im Anschluss gibt es dann wieder eine gelungene Mischung aus Altem und Neuem. "Souvenir Of China", einer dieser nie auf einem Studioalbum erschienenen Songs aus Jarres Repertoire, wartet mit tollen Laseranimationen in rot und gelb auf. Bei "Immortals" improvisiert der französische Altmeister schließlich auf einem iPad. Dabei kann das Publikum seine weiterhin vorhandene Fingerfertigkeit in grün und blau eingefärbt auf den LED-Leinwänden begutachten.

Alte elektronische Recken in der Neuzeit

Doch die beiden sphärischen Stücke waren nur die Ruhe vor dem Sturm. Einmal mehr tritt Jarre nach vorne und spricht über die Pet Shop Boys, mit denen zusammen er das nun folgende "Brick England" aufgenommen hat. Während er das Lied ankündigt, fordert er die Zuschauer erneut dazu auf, laut zu werden. Selbstredend wäre auch diese Ansage unnötig gewesen, hat jedoch ihren Grund. Das Stück wummert nämlich derart massiv aus den Lautsprechern, dass sich das Publikum schon anstrengen muss, um an dieser Stelle mitzuhalten.

Währenddessen tauchen die beiden britischen Zoohändler nicht nur stimmlich aus den Boxen, sondern auch als animierte Figuren auf den Leinwänden hinter Jarre auf. "Brick England" präsentiert sich somit gerade live als eines der Highlights aus Jarres aktuellem Schaffen. Das Solo, das der Franzose am vorderen Ende der Bühne gegen Ende des Stückes auf einer Keytar abliefert, tut sein Übriges.

Extravagantes und Obligatorisches

Das ausgefallene, mit Jeff Mills entstandene "The Architect" ist hingegen nichts für schwache Nerven, und speziell nicht für Epilektiker. Wie bereits bei "Exit" blitzt und flackert es allerorts, als Jarre und seine beiden Mitmusiker Claude Samard und Stephane Gervais ein exzentrisches und wenig eingängiges Stück der "Electronica"-Alben aufführt. Die Anwesenden in der Festhalle stören sich allerdings kaum daran, sondern bewundern vielmehr die erneut extravagante Lightshow.

Der Mitklatschmoment des Abends folgt dann mit dem obligatorischen "Oxygène 4, Jarres wahrscheinlich bekanntestem und größtem Hit von seinem ersten großen Album. Am Ende des über weite Strecken rot animierten, dann in lila und blau übergehenden Stückes kennt der Jubel dann keine Grenzen mehr. Tosender Applaus von den Rängen lässt die Festhalle einmal mehr beben.

Ausgefallene Mischung

Wie gut die aktuellen Stücke von Jean Michel Jarre mit seinem Frühwerk harmonieren, beweist das Experiment, die altbekannte Hitsingle "Équinoxe 4" mit "Glory" zu vermischen. Den Anfang macht der Klassiker, zu dem die Figuren des Albumcovers animiert über die Leinwände huschen, während wiederholt der markante Refrain des neuen Tracks mit M83 ertönt, und das Ganze schließlich auch in einer ziemlich gelungenen Fusion in "Glory" mündet.

Ähnliches versucht Jarre auch danach, als er erneut nach vorne tritt und auf einen großartigen, aber immer wieder schwierigen Moment bei seinen Konzerten verweist. Beim Titelsong des ersten "Electronica"-Albums, "The Time Machine", greift er zu einem eigenwilligen Instrument. Unter ohrenbetäubendem Lärm spielt der Franzose die Laser Harp, die er erstmals bei seinen wegweisenden Chinakonzerten in den frühen 1980ern verwendete und deren grüne Strahlen bis unter das Dach der Festhalle reichen.

Zurück in die Zukunft

Nachdem er ein paar Runden über die Bühne gelaufen ist und gefeiert worden ist, verabschiedet sich Jarre schließlich. Die Bühne hüllt sich zum wiederholten Male in ein bedeutungsschwangeres Blau, während das Publikum auf den Rängen minutenlang jubelt, pfeift, trampelt und nach mehr verlangt. Der Franzose tut ihnen schließlich den Gefallen. Es erscheint eine Animation von Vögeln, die sich Smartphones wie Kameras vor ihre Augen halten – und schon ist der Altmeister zurück auf der Bühne.

Weil sein frühes Meisterwerk "Oxygène" im Dezember sein vierzigjähriges Jubiläum feiert, kündigt er das Erscheinen des finalen Teils seiner Sauerstofftrilogie für eben genau diesen Tag an. Auf der "Electronica"-Tour möchte er den Fans allerdings schon einmal einen Vorgeschmack auf die neue Platte bieten. "Oxygène 17" ist eine überzeugende Uptempo-Nummer, die Jarres klassischen Sound in die Moderne verfrachtet, ohne altbacken oder zu anbiedernd zu wirken. Auch die sich drehenden Schädel und Laser, um die Klangkulissen visuell zu unterstützen, sind mehr als gelungen.

Darf’s noch etwas mehr sein?

Den Abschluss der Frankfurter Show bildet dann mit "Stardust" eine weitere Nummer von der ersten "Electronica", für die Jarre und seine Crew noch einmal alles auffahren, was sie bei dieser Tour so zu bieten haben. Die eingängige, mit Armin van Buuren entstandene Nummer wartet mit ähnlichen Würfelanimationen wie der Opener auf, allerdings in sehr viel mehr Farben, während die Laserstrahlen genauso wie die Synthesizergeräusche durch die Festhalle tanzen.

Als Jean Michel Jarre und seine beiden Mitmusiker sich nach etwa anderthalb Stunden schließlich endgültig von ihren Frankfurter Zuschauern verabschieden, verlässt wohl kaum einer der Anwesenden unzufrieden die Arena. Der Franzose beweist, dass er bei seinen Veröffentlichungen zu alter Stärke zurückgekehrt ist und live weiterhin in der ersten Liga spielt. Lediglich etwas länger hätte die Show zweifellos gehen dürfen. In dieser Form hätte man Jarre nämlich noch stundenlang zuhören können.

Setlist

The Heart Of Noise / Automatic 2 / Oxygène 2 / Circus / Web Spinner / Exit / Équinoxe 7 / Conquistator / Oxygène 8 / Zero Gravity (Above & Beyond-Remix) / Souvenir Of China / Immortals / Brick England / The Architect / Oxygène 4 / Équinoxe 4 / Glory / The Time Machine (mit Laser Harp) // Oxygène 17 / Stardust

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