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The Who (live in Oberhausen, 2016) © Peter H. Bauer

The Who begeistern bei ihrem vorläufig letzten Deutschlandkonzert in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart und bieten noch einmal in höchster Spiellaune die größten Meilensteine ihres Schaffens vor einem restlos begeisterten Publikum.

Die Rockgeschichtsbücher sind voll mit Anekdoten über eine Band, die noch aus einer Zeit stammt, in der meist jedes Bandmitglied eine individuelle Persönlichkeit und Aura innehatte. The Who, das sind Pete Townshend, Roger Daltrey, John Entwistle und Keith Moon. Eine Band mit 4 Gesichtern, die bis heute für kraftgeladene, hochexplosive Musik mit universellen Texten stehen – und die ganz nebenbei die moderne Rockmusik maßgeblich geprägt haben.

Das Schicksal ließ bekanntermaßen nur die beiden Alt-Streithähne Daltrey und Townshend am Leben, um das Erbe auch heute noch zu verwalten. Zwei Londoner der Jahrgänge 1944/45, die trotz gleichem Schulstart unterschiedlicher nicht sein könnten. Nach Jahrzehnten der Grabenkämpfe haben beide im Alter die nötige Milde entwickelt, um die Idee und den Geist von The Who auch im Jahr 2016 noch zu verkörpern.

Das Warten hat ein Ende

Es war ein langes, sehnsuchtsvolles Warten, ob The Who ihr halbes Jahrhundert auch auf deutschen Bühnenbrettern feiern würden. "The Long Goodbye" betitelte Roger Daltrey 2014 den Beginn dieser Jubiläumstournee, die dieses Jahr noch den schelmischen Zusatz "Back to The Who 51! Tour" erhielt. Ein langer, nicht endenwollender Abschied der beiden Protagonisten Pete Townshend und Roger Daltrey.

Wie bei den Stones auch, weiß jeder Altanhänger und auch Nachwuchsfan: Dies könnte die letzte Möglichkeit sein. Nach einem vielumjubelten und gefeierten Auftakt in Oberhausen bedienen The Who mit Stuttgart nun auch die südlichen Gefilde der Republik.

Getting in tune

Nachdem Slydigs mit ihrem stark an das Solowerk von Noel Gallagher erinnernden Rock das Stuttgarter Publikum angeschwitzt haben und in der Umbaupause Wissenswertes über frühere Who-Gigs im Südwesten zu bewundern ist, erscheint unvermittelt die nicht ganz ernst gemeinte Warnung: "Bitte Ruhe bewahren, jetzt kommt The Who" auf der Leinwand und natürlich tritt das genaue Gegenteil ein: Nach Ulm 2006 ist es das erste Konzert in Süddeutschland, und die nahezu ausverkaufte Schleyerhalle begrüßt die beiden überlebenden Gladiatoren mit tosendem Applaus.

Die Freude ist förmlich mit Händen zu greifen, als ein blendend gelaunter Pete Townshend zusammen mit Roger Daltrey die wichtigste aller Fragen an den Beginn des Konzertes stellt: "Who Are You". Dieses letzte Aufbäumen der Originalbesetzung aus dem Jahr 1978, das sich immer wieder mit urwüchsiger Kraft seinen Weg aus ruhigeren, fast jazzigen Passagen in urtypische Who-Gefilde bahnt, wird frenetisch gefeiert.

The 60s – die frühen Singles

Pete und Roger legen mit einem "60s-Block" nach, der durch das feine "The Kids Are Alright" mit hoher Zweitstimme von Townshend eingeleitet wird und dann mit "I Can See For Miles" und "My Generation" eindrucksvoll unter Beweis stellt, welche Power diese frühen Singles besaßen.

Schnell wird deutlich, dass auch Roger an diesem Abend nicht nur gut aufgelegt, sondern auch hervorragend bei Stimme ist. Im Outro von "My Generation" rappt er gar einige Zeilen aus dem 82er-Song "Cry If You Want".

From "Lifehouse to Who's next"

Der künstlerisch vielleicht fruchtbarsten Phase von Pete Townshend in den Jahren 1971/72, als seine Band mit den vier unterschiedlichen Charakteren in ihrem Zenit stand, wird an diesem Jubiläumsabend besonders viel Raum gewidmet.

"Bargain", "Behind Blue Eyes", "Relay" und "Join Together" sind Eckpfeiler von Townshends großer "Lifehouse"-Vision und allesamt Monolithen im 70er-Jahre-Schaffen der Band. Es fällt auf, dass Zak Starkey nach 20 Jahren Bandzugehörigkeit wirklich seinen eigenen Stil integrieren konnte, der Moon nie kopiert, aber Townshends Spiel kongenial in Szene setzt.

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Es tut gut, die beiden Protagonisten in Stuttgart mit so viel Spielfreude zu erleben. Gerade Roger Daltrey wirkt gelöst und selbstbewusst wie lange nicht mehr. Das Alter, der Tod der Kollegen und andere Schicksalsschläge haben ihn und Townshend sichtbar dichter aneinander gebunden.

Material aus der Hochzeit der Band

Man muss sich nichts mehr beweisen, integriert kein jüngeres Material mehr und besinnt sich auf die Kernphase 1965-82, die mit "You Better You Bet" und "Eminence Front" in Stuttgart (ihren "jüngsten" Hits) dankbar gefeiert wird. Besonders bei "Eminence Front", dem untypischsten Who-Stück an diesem Abend, wirkt Townshend extrem entschlossen, geht in den Leadvocals und den Gitarrenlicks voll auf. 

Allerdings kann man Pete Townshend den Vorwurf machen, dass er im Alter nur noch sporadisch Songs für seine Generation veröffentlicht hat – im Gegensatz zu Neil Young und Bob Dylan. Aus kreativer Sicht hat der begnadete Songwriter bereits 1982 das Thema The Who für erledigt erklärt, ohne danach wirklich ein geeignetes Vehikel für neue Ideen und Songs zu finden. Ein Jammer!

Quadrophenia

Live waren The Who hingegen häufiger zu erleben, aber in Deutschland haben sie sich einigermaßen rar gemacht. Pete gibt zu, dass die Band seit ihrer 1997er "Quadrophenia"-Tour keine echte Deutschlandtournee mehr unternommen hat und nimmt dies als Anlass zur Überleitung zu dem folgenden Konzert-Block, der die zweite große Rockoper der Band thematisiert. Los geht es mit einer wuchtigen Version von "5:15", das im Gegensatz zu den "Quadrophenia"-Shows, die sie vor drei Jahren vor allem in den USA gespielt haben, nicht in die 2000 in der Royal Albert Hall gefilmte Bass-Solo-Sequenz von John Entwistle mündet.

Dieser Videotrick war zwar eine nette Referenz an den 2002 verstorbenen Bassisten, aber an diesem Abend geht der Song sehr viel runder in eine von der Band gejammten Passage über. Es folgt eine schöne Version von "I’m One" – der erste von drei Tracks, die Pete Townshend an diesem Abend singt. Im Anschluss folgt eine imposante Version des instrumentalen "The Rock", das viele musikalische Motive aus Quadrophenia-Songs verwebt. Der Höhepunkt dieser Sequenz ist dann "Love Reign O’er Me", bei dem nicht nur das opulente Arrangement überzeugt, sondern auch Roger Daltrey mit einer Kraft die hohen Töne stemmt, die man ihm nicht mehr zugetraut hätte.

The Who im Dialog mit den Fans – in Wort und Bild

Die Videoprojektionen sind in Stuttgart bildgewaltig und ergänzen die Musik, überfrachten sie aber nicht. Egal ob Entwistle oder Moon, die Bilder der vermissten und geliebten Rhythmusgruppe sorgt bei vielen Altfans für Gänsehaut. Drei Keyboarder, Pino Palladino am Bass und Petes Bruder Simon bilden mit Drummer Zak Starkey das Rückgrat der neuen Who. Die Band verpackt den ganzen Abend geschickt in eine Zeitreise und holt das Publikum dort ab, wo es ungeduldig und mit großer Begeisterung wartet.

Die Stimmung schwankt zwischen hingebungsvollem Entzücken und Stolz, die beiden Altvorderen nochmal auf einer deutschen Bühne zu sehen. Townshend weiß, was das Publikum sehen will. Er beackert seine Gitarre, schlägt oft die Windmühle an und setzt sogar zum legendären Spagatsprung an. Er erinnert sich an sein Schuldeutsch, das er mit Roger büffeln musste, entschuldigt sich für die lange Abwesenheit und adelt abschließend gar seinen alten Weggefährten, dessen Stimme im Alter immer besser werde.

Tommy

"Amazing Journey" bildet den Auftakt zu einer Passage mit Songs aus "Tommy" und geht in "Sparks" über, das kraftvoll dargeboten wird und inspirierte Gitarrenparts von Pete enthält. Mit "Acid Queen" tritt Townshend ein drittes Mal an das Mikro und bietet eine überzeugende Performance des Songs, unterlegt mit tollen Videoanimationen.

"Pinball Wizard" wird begeistert gefeiert und auch das anschließende "See Me Feel Me/Listening To You" meistert Roger bravourös. Sollte seine Stimme so gut in Form bleiben, könnte das für kommendes Jahr angekündigte Aufführen von "Tommy" zu einem Vergnügen werden.

Furioses Finale

Die Maschine The Who feuert nun auf allen noch vorhandenen Zylindern. Der Publikumsliebling "Baba O'Riley" scheint immer noch vor lauter Kraft über die eigenen Füße zu stolpern und das unverwüstliche "Won't Get Fooled Again" wirkt mit seiner Vintage-Synthieschleife und den brachialen Gitarrenattacken, die wieder und wieder den Song befeuern, wie ein metaphorischer Drachenkampf, bei dem am Ende Pete Townshend "das Biest bändigt". Im Übermut reaktiviert Townshend auf dem Klimax gar seinen "Knierutscher" aus der Liveversion von dem Dokumentarfilm "The Kids Are Alright" – und das mit 71! 

Aber auch die großartigste Reise muss ein Ende nehmen und nach 140 Minuten geht die Band sichtlich gerührt von der großen Begeisterung von der Bühne und keiner in der Schleyerhalle möchte an diesem gelungenen Abend glauben, dass dies "der Abschied" war.

"Tommy Can You Hear Me" in 2017?

Setlist

Who Are You / The Kids Are Alright / I Can See For Miles / My Generation / Relay / Behind Blue Eyes / Bargain / Join Together / You Better You Bet / 5:15 / I'm One / The Rock / Love Reign O'er Me / Eminence Front / Amazing Journey / Sparks / The Acid Queen / Pinball Wizard / See Me, Feel Me / Baba O'Riley / Won't Get Fooled Again

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