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The Chemical Brothers (live in Gelsenkirchen, 2016) © Torsten Reitz

Bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert lassen The Chemical Brothers das Amphitheater Gelsenkirchen zu einer einzigen gigantischen Disco mit Sommerfeeling mutieren und präsentieren eine interessante Werkschau der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Es ist kaum zu glauben, dass The Chemical Brothers bereits seit über zwanzig Jahren unter diesem Namen firmieren. Seit ihrem Debütalbum "Exit Planet Dust" zählen die beiden Engländer zu den Größen der Elektro- und Dance-Szene.

Standardmäßiger Opener

Auch in Deutschland sind Tom Rowlands und Ed Simons keine Unbekannten. Als sie zu ihrem einzigen Deutschlandkonzert in diesem Jahr in Gelsenkirchen aufschlagen, ist das Amphitheater bei spätsommerlichen Temperaturen dann dementsprechend gut gefüllt.

Zahlreiche Zuschauer lassen allerdings zunächst auf sich warten, als mit James Holroyd der standardmäßige Aufwärmer der beiden chemischen Brüder auflegt, um das Publikum für den Hauptakt des Abends anzuheizen.

Männer hinter Pulten

Verdenken kann man es ihnen nicht, denn Holroyd verkriecht sich in der Ecke der Bühne und steht zu Beginn seines Sets erst einmal fast völlig im Dunkeln. Auch seine Musik entfaltet erst allmählich ihre Kraft. Weil Rowlands und Simons sich erst sehr viel später als erwartet blicken lassen, steht ihm dafür deutlich mehr Zeit zur Verfügung als erwartet.

Mit ungefähr zwanzigminütiger Verspätung betreten sie schließlich unter ohrenbetäubendem Jubel von den Rängen mit ihrem Klassiker "Hey Boy, Hey Girl" die Bühne. Von diesem Moment an mutiert das Amphitheater zu einer riesigen Disco mit extravaganter Lasershow, dank der man den beiden Engländern dann auch gleich verzeihen möchte, dass sie sich hinter ihrem Pult mit seiner Vielzahl an Reglern und Knöpfen verstecken.

Progressive Tanzmusik

Die groß angelegte Party geht in rasantem Tempo so weiter. Das Publikum feiert und tanzt völlig ausgelassen, während es von den Chemical Brothers mit einer Serie aus alten und neuen Hits wie "Sometimes I Feel So Deserted", "Chemical Beats", "Do It Again", "Go" und "Swoon" befeuert wird.

Wenn ihre Kollegen von The Prodigy musikalisch wie vom Auftreten her so etwas wie die Punks der britischen Elektroszene sind, dann lassen sich Rowlands und Simons guten Gewissens als die Jazzer oder Progger derselben beschreiben. Immer wieder vermischen sie einzelne Versatzstücke ihrer Werke mit den gespielten Stücken.

Elektronische Fusionsküche

Dadurch entstehen bei ihrem Auftritt in Gelsenkirchen allerhand interessante neue Kreationen. So verwandeln sich beispielsweise "Acid Children" und das seinerzeit mit Oasis-Mastermind Noel Gallagher aufgenommene "Setting Sun" zu einem originellen Medley, ebenso wie der "Surrender"-Hit "Out Of Control" mit "It Doesn’t Matter" verschmilzt.

Bei "Escaping Velocity" verbraten The Chemical Brothers dann eine ganze Menge neuer Sprachsamples, die nicht in der ursprünglichen Version zu finden sind, und bauen zudem diverse Live-Synthesizer-Einspielungen in den komplexen Longtrack ein, die sich in die Gehörgänge der tanzenden Gelsenkirchener Menge bohrt.

Angeborenes Echo

Soundmäßig macht das Amphitheater auch einiges her. Der aus den Boxen dröhnende Sound ist gleichermaßen fulminant wie transparent. Lediglich ein paar Dezibel weniger hätten es sein dürfen, aber dann wäre wohl die angestrebte Clubatmosphäre um einiges weniger authentisch gewesen.

Außerdem müssen die Chemical Brothers ja ihrem Ruf gerecht werden, ihrem aktuellen Albumtitel nach "Born In The Echoes“ zu sein. Da darf es dann ruhig ein bisschen lauter durch das Halbrund der Arena hallen. Der Begeisterung des Publikums schadet es jedenfalls nicht.

 

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Die doppelte Dosis

Rowlands und Simons fahren in Gelsenkirchen eine gigantische audiovisuelle Show auf. Es gibt nicht nur während der ersten Stücke und im Verlauf des Konzerts immer wieder Laserstrahlen, die über die Bühne und dann auch über das gesamte Rund huschen, sondern auch gleichermaßen stimmige Videoeinspielungen auf den Leinwänden hinter ihren Pulten.

Simons auf der Bühne zu sehen, ist sowieso eine willkommene Überraschung, hatte er doch vor nicht allzu langer Zeit angekündigt, sich vom Livebetrieb zurückzuziehen, um sich auf akademische Verpflichtungen zu konzentrieren. In Gelsenkirchen greift er dafür umso beherzter in die Tasten und lässt sich – im Gegensatz zu seinem Mitstreiter Rowlands – auch das ein oder andere Mal abseits des Pultes blicken.

Guter Karriereüberblick

Bei ihrem Auftritt in Gelsenkirchen greifen die beiden Engländer ganz tief in die Trickkiste und verlassen sich nicht nur auf ihre allseits bekannten Stücke. Natürlich dürfen die Hits wie "Star Guitar" auch im Amphitheater nicht fehlen, doch die Chemical Brothers haben so viel mehr zu bieten. Bei ihrem einzigen Deutschlandstopp präsentieren sie eine ausgewogene Werkschau ihres bisherigen Schaffens.

Von jedem ihrer bislang acht Studioalbum gibt es etwas zu hören, darunter auch solch eher weniger bekannte, sogenannte Deep Cuts wie "Got Glint?". Dazu präsentieren Simons und Rowlands auch einige Nummern à la "Acid Children" und "Don’t Think", die damals erst gar nicht auf irgendeiner regulären Platte aufgetaucht sind.

Moderne Kunst

Opulent wird es schließlich, als beim zu einem Medley mit "Under The Influence" und "The Test" umgestalteten "Don’t Think" zwei überdimensionale Roboter hinter den beiden Chemical Brothers auftauchen. Ihre Laseraugen feuern grelle Strahlen bis in die hinteren Reihen des Publikums ab. Gleichzeitig blenden die Displays im Bauchbereich weiterhin passende Animationen ein.

Ebenso schnell, wie sie gekommen waren, verschwinden diese Science-Fiction-Kreaturen jedoch auch wieder, während Rowlands und Simons zum Endspurt ansetzen. Ihr hierzulande größter Hit, "Galvanize" vom Album "Push The Button", erhält eine noch einmal größere Resonanz als sämtliche Stücke zuvor, und selbst die Tanzmuffel im Rund können ihre Füße plötzlich nicht mehr still halten.

Krönender Abschluss

Als die Chemical Brothers sich dann mit einem ausgefallenen Medley aus "King Of The Beats", "C.H.E.M.I.C.A.L." und den beiden Klassikern "Song To The Siren" und "Leave Home" sowie dem Kracher "Block Rockin‘ Beats" nach guten anderthalb Stunden von den Zuschauern verabschieden, dürsten die Massen auf den Rängen nach mehr und äußern diesen Wunsch auch lautstark.

Da das Amphitheater sich aber strikt an die Sperrstunde halten muss, gibt es außer einer in blau gehaltenen "Love is all"-Animation mit musikalischer Untermalung aber nichts mehr zu sehen oder zu hören. Das euphorische Publikum hätte jedenfalls noch einige Stunden so weitermachen können.

Setlist

Hey Boy, Hey Girl / Sometimes I Feel So Deserted / Chemical Beats / Do It Again (inklusive Get Yourself High und Direct Buki) / Go / Swoon / Star Guitar / EML Ritual / Acid Children / Setting Sun / Out Of Control / It Doesn’t Matter / Saturate / Elektrobank (“Who Is This?”) / I’ll See You There / Got Glint? / Escape Velocity / Don’t Think (inklusive Under The Influence und The Test) / Galvanize / King Of The Beats / C.H.E.M.I.C.A.L. / Song To The Siren / Leave Home / Block Rockin’ Beats

 

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