Seit Jahren bereits monatelang im Vorfeld ausverkauft, ist Rock am Ring das wohl größte und prestigeträchtigste Festival in Deutschland. Nach dem Umzug vom Nürburgring im vergangenen Jahr findet es aktuell zum zweiten Mal auf dem Flugplatz Mendig statt.

Erneut haben sich mehr als 90.000 wackere Männer und Frauen versammelt, die sich so leicht durch nichts unterkriegen lassen, um die einzigartige Atmosphäre rund um die Großveranstaltung einzusaugen. Schlechtes Wetter? Das hat die Rock am Ring-Gänger eigentlich noch nie von etwas abgehalten. Unter widrigsten Umständen und Witterungsbedingungen ist das Gelände am ersten Tag bereits nachmittags trotzdem prallgefüllt.

Ungebrochene Sympathie für den Benjamin

Die Freitags-Highlights beginnen mit Breaking Benjamin auf der Hauptbühne Volcano Stage. Zum ersten Mal in ihrer Karriere fast zwanzigjährigen Laufbahn stehen Frontmann Benjamin Burnley und die vier Mitstreiter seiner neuformierten Kapelle auf einer europäischen Bühne. Wie einst der legendäre, von Mr. T. gespielte B.A. Baracus vom "A-Team" leidet nämlich auch der Sänger aus Pennsylvania unter chronischer Flugangst.

Für Rock am Ring und sein Schwesterfestival Rock im Park hat er es sich aber nicht nehmen lassen, extra neun Tage lang mit dem Schiff den großen Teich zu überqueren, anstatt sich vom Rest der Band vor dem Flug außer Gefecht setzen zu lassen. Laut eigener Aussage geriet er dabei allerdings in einen Hurrikan, der den Kutter 48 Stunden lang zum Wanken brachte. Ob seine Entscheidung, lieber die sieben Meere als die Lüfte unsicher zu machen, so klug war, darf also bezweifelt werden.

Der strömende Regen, der zunächst auf den Flugplatz Mendig hinunterprasselt, kann die Massen daher kaum abhalten, sich Breaking Benjamin einmal aus nächster Nähe anzusehen. Mit ihrem US-amerikanischen Nr. 1-Album "Dark Before Dawn" im Gepäck beweisen Burnley und Co., dass sie sich ungeachtet diverser Besetzungswechsel musikalisch treu geblieben sind. Auch im Jahr 2016 wissen Breaking Benjamin mit ihrer Mischung aus Hard Rock, Alternative und fetten Refrains zu überzeugen.

(Un)gestörtes Vergnügen

Als sich dann Disturbed wenig später auf der Volcano Stage blicken lassen, treten endlich auch die ersten Sonnenstrahlen hinter der dichten Wolkendecke zum Vorschein. Zunächst nutzen die Metaller aus Chicago das in diesem Moment überraschend gute Wetter auch, um es mit altbekannten Hits wie "Ten Thousand Fists", "The Game", "Prayer" und neueren Nummern à la "The Vengeful One" ordentlich krachen zu lassen.

Später beweist das Quartett um Sänger David Draiman dann, dass es nicht nur harte, sondern ebenso gut auch sanfte Töne anschlagen kann. Mit dem Simon & Garfunkel-Cover "The Sound Of Silence" vom aktuellen Longplayer "Immortalized" geben sich Disturbed ungewohnt zahm, erhalten dafür aber vom Publikum eine umso größere Resonanz. Obwohl der Titel nicht aus ihrer Feder stammt, ist er dennoch der mittlerweile vielleicht größte Hit im Oeuvre des metallischen Vierers.

Der Höhepunkt ihres Sets ist aber vielleicht ein Medley aus vier weiteren Coverversionen, "“Closer" von Nine Inch Nails, "I Still Haven’t Found What I’m Looking For" von U2, "Baba O’Riley" von The Who und "Killing In The Name Of" von Rage Against The Machine. Auf den ersten Blick eine etwas verwirrende Zusammenstellung, funktioniert der Mix überraschend gut und bringt die Zuschauer in Stimmung. "Voices" und "Down With The Sickness" sowie ein Abschluss-Selfie beenden ein gelungenes Set.

Ein Schuss Extravaganz

Auf der Nachbarbühne Crater Stage beginnen derweil fast zeitgleich zum großen Disturbed-Finale Puscifer ihre etwa einstündige Performance. Durch die Beteiligung von Tool- und A Perfect Circle-Frontmann Maynard James Keenan kann die Gruppe eine gewisse stilistische Nähe zu dessen Hauptbands nicht verleugnen. Unter der Federführung des kreativen Sängers bietet die Formation die womöglich ausgefallenste Aufführung des gesamten ersten Festivaltages.

Neben den sechs teils maskierten Musikern gibt es an beiden Rändern ebenfalls kostümierte, aber recht knapp bekleidete Männer und Frauen zu sehen. Im Laufe der Show nutzen die beiden Parteien, Gold und Hellblau auf der einen, Schwarz-Rot auf der anderen Seite, den hinter dem Drumkit aufgebauten Boxring für ein halb gestelltes, halb echt wirkendes Wrestlingmatch, bei dem die Frauen ihren jeweiligen Mann zurückhalten müssen. Wie alles, was Keenan anfasst, irgendwie extravagant, aber nicht uninteressant.

Wolkenbruch statt "School Of Rock"

Eigentlich werden gegen Ende des Puscifer-Sets bereits Tenacious D auf der Volcano Stage erwartet. Als sich der Beginn ihrer Performance verzögert, nutzen die Kameraleute die Chance, das Publikum zu zeigen – woraufhin die im Bild sichtbaren Personen blank ziehen. Eine junge Frau im BH erhält zur Freude der übrigen Zuschauer gleich zweimal dieses Vergnügen. Beim dritten Versuch, sie auf den Videoleinwänden zum Entblößen zu überreden, winkt sie allerdings verlegen ab.

Mit ungefähr einer Viertelstunde Verspätung ertönt dann endlich das Tape Intro von Tenacious D. Zu sehen ist die Band jedoch nicht. Dafür zieht eine schwere Gewitterfront inklusive Regenschauer auf, die das gesamte Gelände erst so richtig im Schlamm versinken lässt. Schließlich sehen sich die Veranstalter genötigt, das gesamte Festival erst einmal zu unterbrechen, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Die krachenden Blitz- und Donnerschläge direkt über dem Areal geben ihnen Recht.

Erfolgreiche Evakuierung

Man solle sich bitte auf diese ernstzunehmende Gewitterfront einstellen und sich unterwegs von Zäunen und anderen metallischen Aufbauten fernhalten, tönt es in Dauerschleife aus den Lautsprechern. Dass angesichts dieser Umstände keine Panik ausbricht, ist eigentlich ein Wunder. Es ist eine logistische Meisterleistung von Rock am Ring-Schöpfer der Veranstalter, in Anbetracht der Umstände kurzfristig für so viel Sicherheit wie möglich zu sorgen.

Die Sicherheitsleute drängen die Zuschauer in den ersten Reihen umgehend weg von den Absperrungen und öffnen die Bauzäune, die ansonsten dazu dienen, die Gäste im Zaum zu halten. Ebenso gut funktioniert die Eskorte für die Fotografen, die eigentlich vor den Bühnen auf die Bands gewartet haben. Binnen vielleicht 15 Minuten gelingt es den Veranstaltern, sie mit Fahrzeugen wohlbehalten in die Halle des Medienzentrums zurückzubringen, die während des Gewitters fast völlig abgedunkelt und abgeschottet wird.

Beim Erklingen der Unwetterdurchsage suchen die Ottonormalbesucher so schnell es nur geht an allen möglichen Orten Unterschlupf. Da das Gelände großzügig angelegt ist, gibt es hierbei auch keinerlei Platzprobleme. Was bei den Auftritten der Bands schon gut funktioniert hat, gelingt umso besser in dieser Notsituation. Niemand muss befürchten, von den anstürmenden Massen überrannt zu werden. Angesichts der witterungsbedingten Weltuntergangsstimmung ähnelt das Gelände aber bald einem Schlachtfeld.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen fordert das Unwetter wegen eines Blitzeinschlags auf dem Gelände dennoch seine Opfer. Laut offizieller Pressemitteilung ist zunächst von mindestens acht Verletzten die Rede. Später wird die Anzahl auf 51 nach oben korrigiert, darunter 15 Schwerverletzte, die in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Die zahlreichen zerstörten Zelte und der seine Runden über dem Gelände drehende Polizeihubschrauber erzeugen in diesem Moment gleichwohl eine Atmosphäre, die leicht an ein Kriegsgebiet erinnert.

 

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Spaß muss sein

Als das Festival nach circa anderthalbstündiger Pause fortgesetzt werden kann, sind die vielen Besucher immer noch überraschend gut gelaunt. In der Videobotschaft von Tenacious D stimmt Jack Black kurzzeitig "Rainbow In The Dark" von Dio an, bevor die Band schließlich unter tosendem Applaus zu "Kickapoo" die Bühne betritt. Das zahlreich versammelte Publikum reagiert geradezu euphorisch auf die Comedyrocker aus Los Angeles.

Tenacious D nehmen sich selbst nicht allzu ernst, und das ist auch gut so. Einmal lässt sich Jack Black von einem Roadie Wasser über seinen Bart kippen, dann bricht plötzlich "Master Exploder" mittendrin ab und per Playback ertönt der Refrain von Milli Vanillis "Girl You Know It’s True". Bei "Beelzeboss" erscheint ein Mann im Teufelskostüm auf der Bühne und unterstützt Black und seinen Co-Star Kyle Gass. Den Song "The Metal" widmet die Band indirekt den Zuschauern für ihr Durchhaltevermögen.

Den wohl abstrusesten Moment ihres Auftritts bildet die deutsche Fassung des Videos "JB’s BJ", in dem Black aus Geldmangel als Straßenprostituierter arbeitet und schließlich Gass für 20 Euro einen Blowjob verpasst. Trotz der Begeisterung des Publikums und der durchaus vorhandenen stimmlichen Qualitäten von Jack Black passt es aber irgendwie zum Auftritt von Tenacious D, dass die wahren Highlights ihrer Performance komödiantisch und weniger musikalisch sind.

Vielleicht liegt es aber auch an der Naturverbundenheit der Besucher, dass die Kalifornier so gut ankommen. Inmitten all des Schlamms duftet es hin und wieder nach frischem Gras. Den Verzögerungen geschuldet müssen Tenacious D schließlich ihr Programm um ein Drittel auf ungefähr eine Stunde zusammenkürzen, so dass eigentlich obligatorische Stücke wie die Hommage "Dio" leider ausfallen müssen. Immerhin schafft Black es noch, Princes "When Doves Cry" als Tribut an das kürzlich verstorbene Genie anzustimmen.

Die (nicht so) Wilden Siebziger

Nach Einbruch der Dunkelheit werden die ohnehin schon sehr ansehnlichen Lightshows noch üppiger, so auch bei The 1975 auf der Crater Stage. Die vier Jungs aus Belfast präsentieren eine durchaus gefällige Mischung aus Pop mit einem gewissen Elektronik- und Disco-Einschlag. Dazu gibt es noch beleuchtete Hochhäuser hinter den Musikern sowie eine Bühne, die in nett anzusehende, etwas kühl und steril, aber zur Musik passende kalte Farben wie blau, lila und Türkis gehüllt wird.

Obwohl das nordirische Quartett mit seinen kristallklaren Sounds definitiv überzeugen kann, haben The 1975 das Pech, direkt gegen den Headliner des verregneten Freitagabends antreten zu dürfen. So können sie zwar etliche Zuschauer anlocken, die sich ihre Show vor der Bühne oder aus gebührendem Abstand betrachten. Die Massen wandern allerdings zur Volcano Stage ab, auf der zeitgleich die Hauptattraktion des ersten Rock am Ring-Tages in den Startlöchern steht.

Die Volcano Stage steht in Flammen

Als nominelle Headliner des Abends brennen Volbeat gleich von Beginn an im wahrsten Sinne des Wortes ein Feuerwerk ab. Bereits während des Openers, ihrer neuen Single "The Devil’s Bleeding Crown", feuern sie buchstäblich aus allen Rohren, bevor die Dänen direkt im Anschluss ein Medley aus ihren eigenen Songs "Heaven Nor Hell" und "A Warrior’s Call" sowie dem Dusty Springfield-Cover "I Only Wanna Be With You" mit einem dezenten Härteeinschlag zum Besten geben.

Volbeat zelebrieren sich an diesem Abend selbst. Wie Frontmann Michael Poulsen treffend anmerkt, ist das diesjährige Rock am Ring die Record Release-Party ihres neuen Albums "Seal The Deal & Let’s Boogie". Denn die Platte ist seit heute im Handel erhältlich. Standesgemäß feiert dann auch eine Handvoll Titel wie "Let It Burn", "For Evigt" oder "The Gates Of Babylon" von der Scheibe im Laufe ihres circa zweistündigen Sets vor versammelter Mannschaft seine Live-Premiere.

Zwischendurch animiert Poulsen immer wieder das Publikum, für ihn zu singen, beispielsweise bei Johnny Cashs "Ring Of Fire", das mithilfe der Zuschauer als Intro zu "Sad Man’s Tongue" fungiert. Doch die Fans sind nicht nur während dieser Einlagen gut aufgelegt, sondern genießen die Show von Volbeat von vorne bis hinten. Auch ohne die Unterstützung von Sarah Blackwood laden Stücke wie "The Lonesome Rider" mit seinem Rockabilly-Einflüssen geradezu zum Mitwippen ein.

Der 2013 eingestiegene, frühere Anthrax-Gitarrist Rob Caggiano hat der Band bei den letzten beiden Alben spürbar gut getan. Durch ihn sind Volbeat noch um einiges härter und thrashiger geworden. Nummern wie "Doc Holliday" sind ein Paradebeispiel dafür. In Kombination mit einer wirklich farbenfrohen Liveshow liefern die Dänen mit ihrem neuen Basser Kaspar Boye Larsen auf dem inzwischen einer Kraterlandschaft gleichenden Flugplatz Mendig jede Menge rohe Live-Energie.

Neben ihrem schön transparent abgemischten, weitgehend knallharten Sound setzen Volbeat auf spektakuläre Showeffekte. Während "The Hangman’s Body Count" tanzen zahlreiche Flammen auf der Volcano Stage herum und machen dem Namen der Bühne alle Ehre. Dazu darf sich Drummer Jon Larsen immer wieder mit jeder Menge Double Bass-Einlagen, etwa in "Hallelujah Goat" von "Guitar Gangsters & Cadillac Blood", so richtig austoben.

Sie lassen sich auch beim Finale nicht lumpen und zaubern immerhin stolze vier Zugaben aus dem Hut. Bei "Still Counting" wird es anfangs zunächst reggaelastig, entwickelt sich zwischenzeitlich aber zu einem echten Schädelspalter. Die Skandinavier beschließen den Abend letzten Endes so, wie sie ihn begonnen haben – brachial. Bei dem Lemmy Kilmister gewidmeten "The Mirror & The Ripper" geht es voll auf die Zwölf. Irgendwo dort oben gibt die verstorbene Motörhead-Legende ob dieses Finales sicherlich ein whiskeygetränktes, heiseres Lachen von sich.

Es geht immer weiter…

Zum Auftakt von Rock am Ring 2016 haben die Festivalbesucher einmal mehr demonstriert, wie zäh und regenfest sie doch sind. Über weite Strecken des Freitags waren sie trotz der widrigen Umstände bewundernswert gut gelaunt.

An dieser Stelle möchten wir allen Verletzten die besten Genesungswünsche aussprechen. Leider sehen die Wetterprognosen für den Rest des Wochenendes nicht unbedingt rosiger aus als zu Beginn. Vielleicht verbessern sich die Witterungsbedingungen ja doch noch ein wenig. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Setlist von Volbeat

The Devil’s Bleeding Crown / Heaven Nor Hell / A Warrior’s Call / I Only Wanna Be With You / Radio Girl / Sad Man’s Tongue / Let It Burn / Lola Montez / Hallelujah Goat / The Lonesome Rider / For Evigt / The Gates Of Babylon / Dead But Rising / 16 Dollars / The Hangman’s Body Count / Black Rose / Fallen / Doc Holliday // Still Counting / Seal The Deal / Pool Of Booze, Booze, Booza / The Mirror & The Ripper

 

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