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YES (live in Hamburg, 2016) © Falk Simon

Chris Squire ist tot, aber Yes geben ohne ihn noch eine ganze Menge Lebenszeichen von sich. Mit zwei kompletten Alben aus ihrer Hochphase plus so einigem mehr im Gepäck zeigt die Band in der Frankfurter Alten Oper, warum man sie so schnell noch nicht abschreiben sollte.

Als Band waren Yes seit jeher ein extrem fragiles Gebilde. Besetzungswechsel waren bei den Großmeistern des Prog stets an der Tagesordnung. Insofern ist es eigentlich wenig verwunderlich, wenn die Engländer einmal mehr ein neues Line-up vorstellen. Allerdings hätten vermutlich die wenigsten geglaubt, dass Yes auch nach dem Tod von Bass-Ass Chris Squire, dem einzigen auf jeder Veröffentlichung zu hörenden Bandmitglied, weitermachen würden.

Mit dem langjährigen Freund und Weggefährten Billy Sherwood glaubt man aber, den passenden Nachfolger für den legendären Tieftöner gefunden zu haben, und präsentiert nun hierzulande zwei Klassiker aus guten, alten Zeiten und mehr. Die aktuelle Tournee ohne Vorprogramm führt die momentane Besetzung um Gitarrist Steve Howe, Drummer Alan White, Keyboarder Geoff Downes und Sänger Jon Davison dabei auch in die Frankfurter Alte Oper.

Ehre, wem Ehre gebührt

Pünktlich wie bei einem eidgenössischen Chronometer tut sich etwas auf der Bühne. Völlig unabhängig von der jeweiligen Zusammensetzung hatten Yes Zeit ihrer Existenz ein grandioses Zeit- und Taktgefühl.

Bevor die fünfköpfige Gruppe jedoch selbst zu sehen ist, gibt es zunächst ein Videotribut an den insgeheimen Bandkopf Chris Squire, der im vergangenen Jahr an Leukämie verstarb. Musikalisch untermalt werden die Bilder von "Onward", einer Eigenkomposition des brillanten Bassisten vom "Tormato"-Album, die gleichzeitig als Tape-Intro fungiert.

Jede Menge Drama

Als eigentlichen Einstieg wählen Yes dann etwas, das es mit Goldkehlchen Jon Anderson am Mikrofon wohl niemals gegeben hätte. Die Prog-Altmeister lassen es sich nicht nehmen, die ohne den markanten Sänger aufgenommene Scheibe "Drama" aus dem Jahr 1980 in Gänze darzubieten. Es gibt wohl kaum eine andere Platte im Katalog der Band, die derart unterschätzt und umstritten ist, weil sie eine recht seltsame Entstehungsweise vorweisen kann.

Unzufrieden mit der Entwicklung der Band, verließen Anderson und der exzentrische Tastenmann Rick Wakeman seinerzeit Yes. Die verbliebenen Mitglieder schlugen zurück, heuerten die beiden Buggles-Mitglieder Geoff Downes und Trevor Horn an – und sangen plötzlich von Erlösern in maschineller Form oder Kameras statt über die Esoterik und das Hippietum andersonscher Prägung. Düsterer und pessimistischer als auf "Drama" klangen Yes wohl sonst nie.

Eine Brücke zur (Post-)Moderne

Auch in der heutigen Zeit hat das Album an Modernität und Relevanz wenig eingebüßt, sind die angesprochenen Themen wie Computer im 21. Jahrhundert doch allgegenwärtig. Insofern ist die Live-Aufführung nur folgerichtig. Gleich zu Beginn gibt es in der Alten Oper mit "Machine Messiah" den ersten Kracher, der es so richtig in sich hat. Die Proglegenden gehen mit dem womöglich härtesten Song ihrer langen Laufbahn etwa zehn kurzweilige Minuten lang direkt in die Vollen.

Mit dem knapp bemessenen, aber sehr gelungenen Intermezzo "White Car" liefern Geoff Downes und Jon Davison dann sofort die erste kleine Verschnaufpause für Musiker wie Zuschauer. Das ist auch bitternötig, denn Yes legen ohne große Reden zu schwingen nach und geben mit "Does It Really Happen?" sowie "Into The Lens", dem vielleicht besten Stück auf "Drama", weitere Highlights zum Besten.

Die Zeit vergeht wie im Fluge

Dramaturgisch ist der erste Teil des Programms wirklich für eine Bühnenaufführung ausgelegt. Ein kürzeres Zwischenspiel ist zwischen zwei längeren, wesentlich komplexer angelegten Stücken eingebettet. Das Konzept wird mit "Run Through The Light" und dem energiegeladenen "Tempus Fugit" fortgeführt und geht auf, obwohl die einzelnen Yes-Mitglieder während der ersten Hälfte streckenweise leider an Statuen erinnern und für nur wenig Bewegung auf der Bühne sorgen.

Ebenso trüben ganz leichte Soundprobleme in dieser Phase den Hörgenuss in dem akustisch an sich fantastischen Saal. Jedenfalls blickt der virtuose Sechssaiter Steve Howe des Öfteren zu seinem Gitarrentechniker und scheint nicht ganz zufrieden mit dem Klang zu sein. Interessant ist es jedoch allemal, was die Engländer anfangs zu bieten haben. Weder Davison noch Sherwood erwecken auch nur den geringsten Anschein, ein Fremdkörper innerhalb der Gruppe zu sein.

Respektsbekundungen und kleinere Missgeschicke

Nach dem vollständigen "Drama" legen Yes schließlich mit Stücken aus ihrer Frühzeit nach. Im ersten Moment erscheint “Time And A Word“ eine etwas seltsame Wahl, war doch keiner der Musiker, die an diesem Abend auf der Bühne stehen, damals an dem Song beteiligt. Später wird allerdings klar, warum die Band genau dieses Lied ausgesucht hat. Es dient als ein Tribut an den Urgitarristen Peter Banks, ein weiteres, in den letzten Jahren verblichenes früheres Mitglied.

Bei der ersten Ansage des Abends passiert Davison dann auch sofort ein kleines Malheur. Der Gurt an seiner Akustikklampfe zeigt keinerlei Interesse daran, das Instrument festzuhalten, so dass Yes das Stück gleich zweimal beginnen dürfen. Howe nimmt es mit Humor und merkt lediglich an, man könne ja genau an solchen Kleinigkeiten sehen, dass es sich hierbei um eine Liveshow handele. Das Publikum stört sich an dem doppelten Start keineswegs und schmunzelt mit den Musikern. "Siberian Khatru" vom Überalbum "Close To The Edge" beendet das erste Set standesgemäß.

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Eine homöopathische Dosis Pop

Nach einer zwanzigminütigen Pause melden sich Yes dann mit "Don‘t Kill The Whale" zurück, bevor sie sich mit ihrem obligatorischen Megahit "Owner Of A Lonely Heart" erneut in eine Phase der Bandgeschichte begeben, aus der kaum ein Mitglied übriggeblieben ist. Viel mehr Poppiges wird bei diesem Konzert allerdings nicht geboten, aber darauf legt sicherlich keiner der Anwesenden wert. Dass Yes keine allzu kommerzielle Gruppe sind, beweisen auch die leeren Sitzplätze, von denen es am heutigen Abend in der bestuhlten Alten Oper noch einige gibt.

Dabei fährt die Gruppe so einiges an Equipment auf, um den weitgehend sehr komplexen Stücken Herr zu werden. Im Laufe der Show darf Howe sein großes Repertoire an Saiteninstrumenten vorführen, das von Fender Telecasters und Stratocasters über eine Lap Steel bis hin zu mehreren Gibsons reicht, während sich Tastendrücker Downes hinter einer beeindruckenden Phalanx aus zehn Keyboards und Synthesizern plus drei Laptops zeitweise geradezu verschanzt.

Gar nicht so zerbrechlich

Danach folgt das zweite komplette Album des Abends, der Klassiker "Fragile". Schon beim Opener der Platte wird deutlich, dass Yes auf einmal eine neue Stufe der Intensität gefunden zu haben scheinen, die ihnen bislang in der Alten Oper gefehlt hat. Ab "Roundabout" geht die Band viel energischer zur Sache als noch im ersten Teil des Konzerts. Auch die Lightshow bestätigt dies. Nur Hobbyfotografen dürften derweil keine wirklich große Freude verspüren. Immer wieder gehen die Ordner herum und ermahnen die Zuschauer, bloß keine Bilder oder Videos zu machen.

Davison taut in der zweiten Hälfte ebenso auf wie der Rest seiner Bandmitglieder. Er besitzt vielleicht nicht die natürliche Bühnenpräsenz und das Charisma eines Altmeisters wie Jon Anderson, gesanglich liefert er aber absolut überzeugende Arbeit ab. Gleiches gilt für Howe, der anfangs etwas steif wirkte, dann jedoch richtig auftaut. Lediglich Billy Sherwood, der Neuling im aktuellen Gruppengefüge, und Geoff Downes wirken weitgehend auf ihre Instrumente konzentriert.

Abwechslung statt Monotonie

Die Highlights im zweiten Teil des Konzerts sind naturgemäß die hochkomplexen Longtracks wie "South Side Of The Sky", "Long Distance Runaround" und "Heart Of The Sunrise", die die aktuelle Yes-Besetzung auch mit aller gebotenen Energie und Dynamik vorträgt. Als Zuschauer darf man durchaus überrascht sein, mit welcher Leidenschaft die drei ergrauten Herren Howe, Downes und Alan White mit Unterstützung der vergleichsweise jungen Davison und Sherwood die Stücke darbieten.

Ein weiterer Höhepunkt ist die Chris Squire-Hommage "The Fish (Schindleria Praematurus)", bei dem die beiden "Nachwuchskräfte" wunderbar zusammen loslegen. Sherwood bedient den regulären Tieftöner, während Davison zu einem Piccolo Bass greift, um den Großen Saal der Alten Oper regelrecht vibrieren zu lassen. Zudem darf Howe bei dem wunderschönen Solospot "Mood For A Day" noch demonstrieren, wie gut er Akustikgitarren doch beherrscht.

(Fast) alles sitzt, aber keiner sitzt

Als sich Yes schließlich nach weit mehr als zwei Stunden mit "Starship Trooper“ von ihrem Frankfurter Publikum verabschieden, werden sie von den Zuschauern mit stehenden Ovationen frenetisch gefeiert. Es hält keinen Anwesenden mehr auf seinem Sitz. Puristen werden wahrscheinlich weiterhin bemängeln, dass eine Band ohne Wakeman und besonders Jon Anderson wenig mit den bekannten Yes zu tun hat.

In der Alten Oper lässt die aktuelle Besetzung der Gruppe jedoch keinen Zweifel daran, dass sie musikalisch immer noch so einiges zu bieten haben. Das Lineup aus Davison, Downes, Howe, Sherwood und White glänzt mit Spielfreude, die sich allerdings nicht immer in einem so richtig extrovertierten Auftreten äußert. Die momentanen Yes haben den Segen des verstorbenen Chris Squire und obendrein sichtlich Spaß an der ganzen Sache. In dieser Form dürfen sie auch gerne so weitermachen, aller häufig und wiederholt gehörten Unkenrufe zum Trotz.

Setlist

Machine Messiah / White Car / Does It Really Happen? / Into The Lens / Run Through The Light / Tempus Fugit / Time And A Word / Siberian Khatru // Don‘t Kill The Whale / Owner Of A Lonely Heart / Roundabout / Cahn And Brahms / We Have Heaven / South Side Of The Sky / Five Per Cent For Nothing / Long Distance Runaround / The Fish (Schindleria Praematurus) / Mood For A Day / Heart Of The Sunrise // Starship Trooper

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