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Naked von Dominique Dumais (2016) © Hans Jörg Michel

Mit der Uraufführung von "Naked" am Nationaltheater Mannheim beschloss Dominique Dumais ihre Trilogie, in der sie Beziehungen zwischen Tanz und Musik auslotete und die menschliche Bewegung an sich erforschte. Über dem Ballettabend lag eine große Wehmut: Es ist die letzte Choreographie der stellvertretenden Direktorin für das Kevin O’Day Ballett.

Wie ein Meer aus Wolken bauscht sich die weiß glänzende, weit bis nach hinten in den Bühnenraum hineinreichende Stoffbahn auf, die Zoulfia Choniiazowa hinter sich herzieht. Sie ist die Erzeugerin dieser Schaumkronen, die sie gleichzeitig zu bändigen sucht.

Unter diesem Stoffmeer verschwindet am Ende eine 80-minütigen Ballettabends das komplette Ensemble des Kevin O’Day Balletts. Zurück bleibt eine Spur aus schwarzen Trikots, die sie zuvor noch am Leibe trugen. Zurückgelassen liegen sie auf der Bühne und bilden ein schönes, wenn auch trauriges Muster.

Ein Schleier aus Wehmut

Optisch einnehmende und überaus ausdrucksstarke Tableaus zu inszenieren ist eines der großen Talente von Dominique Dumais, die mit der Uraufführung von "Naked" nicht nur ihre Trilogie zur Erforschung des Tanzes und der Gesetzmäßigkeiten der Anatomie beendet, die sie mit "R.A.W." (2012) und "Pure" (2014) begonnen hatte. "Naked" ist auch ihre letzte Choreographie am Nationaltheater Mannheim, mit der sie ihre 14-jährige Schaffenszeit als stellvertretende Intendatin des Kevin O‘Day Balletts beschließt.

Das nahende Ende legt sich wie ein wehmütiger Schleier über diesen Ballettabend. Unterstrichen wird dieses Gefühl, ja der Trauer durch die Musik von Julia Kent (bekannt u.a. als Cellistin bei Antony and the Johnsons). Die New Yorker Musikerin, die das Ensemble live auf der Bühne begleitet, nutzt für ihre Kompositionen neben einem Cello auch elektronische Klänge, arbeitet mit Loops und vorgefundenen Klängen. Ihre elegischen, vielschichtigen Musikstücke erzeugen durch ihren zyklischen Aufbau einen Sog, doch sind sie auch von einer Schwermut durchzogen, die zu diesem Abend passt.

Wagemutige Experimente

Dass Dominique Dumais eine mutige Choreographin ist, hat sie schon oft gezeigt und das beweist sie auch mit "Naked". Sie hat keine Scheu, hohe Ansprüche zu formulieren und sich diesen zu stellen. In Naked will sie der menschlichen Bewegung auf den Grund gehen, sie bloßlegen – "bis unter die Haut". Sie fragt beispielsweise, wo eine Bewegung ihren Anfang nimmt. So begibt sich Tänzer Jamal Rashann Callender beispielsweise auf die Suche und wir schauen ihm fasziniert dabei zu, wie er den Impuls einer Bewegung durch seinen Körper rollen lässt, von der Hand in die Schulter und zurück, Seitenwechsel und nach unten, in den Rumpf.

Eine andere Frage lautet: Wie weit lässt sich eine Bewegung reduzieren, gibt es so etwas wie eine authentische? Schaut man Julia Headley zu, fällt die Antwort positiv aus. Wie natürlich – man kann es nicht anders beschreiben und es ist ein absolutes Kompliment – sie sich innerhalb dieser Choreographie bewegt, ihren Arm hebt, sich dreht und beugt, ist wahrhaftig und ergreifend.

Aber auch Beziehungen zwischen Innen und Außen, Tanz und Musik, Mann und Frau sind Thema des Stückes, das sich gut an den vielen Paartänzen nachvollziehen lässt. Bewegend der Pas de Deux von Michael Bronczkowski und Hitomi Kuhara. Es ist ein Spiel der Gegensätze: Ihre kleine, weiße Hand verschwindet schutzsuchend in seiner dunklen starken. Mühelos wirbelt er sie wie einen Schal um seinen Körper, tritt sie verachtend wie einen räudigen Hund zur Seite oder wiegt sie beruhigend hin und her, als wäre sie ein Kind.

Bis tief ins Innere

Bei einem Titel wie "Naked" steht die Frage der Nacktheit der Tänzer noch vor Beginn des Stückes im Raum. Real gelöst wurde diese von Tatyana van Walsum, die schlichte, körperbetonte Trikots in Weiß, Rot, Schwarz und Hautfarben entworfen hat. Die Männer tanzen mit freiem Oberkörper, die Frauen mit bloßen Beinen. Zusammen ergänzen sie sich zu einem nackten und einem angezogenen Partner.

Den konzeptionellen Ansatz der Choreographie überträgt van Walsum auch auf das Bühnenbild, das ebenfalls klar und schlicht verschiedene Bühnenräume schafft, die in bewährt hochkarätiger Manier von Bonnie Beechers Lichtkunst in Szene gesetzt werden. Dabei arbeiten sich die Tänzer während des Stückes von der Vorbühne bis ganz tief nach hinten – eine Analogie zum Thema der Suche, die tief in die Materie eindringt.

Überhaupt die Tänzer: Dominique Dumais gibt ihnen auch dieses Mal die Gelegenheit, sich vollkommen einzubringen. Nicht umsonst sind alle unter "Choreographie" gelistet. Es sind namentlich: Michael Bronczkowski, Jamal Rashann Callender, Zoulfia Choniiazowa, Maggie Forgeron, Julia Headley, Veronika Kornová-Cardizzaro, Dávid Kristóf, Hitomi Kuhara, Tyrel Larson, Brian McNeal, Hugo Mercier, Katherina Nakui, Huy Tien Tran und Agata Zajac. Sie alle sind brillante Solisten mit einer individuellen Handschrift in ihrem Tanz.

Adieu, Au revoir, Auf Wiedersehen!

Unter diesen Voraussetzungen war klar, dass dieser Abend ein Publikumserfolg werden würde. Die Qualitäten von "Naked" stehen außer Frage. Warum aber fällt die Choreographie im Vergleich zu den beiden anderen Werken der Trilogie ab? "R.A.W." vermittelte schiere Lebenslust, geweckt von der unglaublichen Energie des Tanzes und der Musik von Thomas Siffling.

Pure überzeugte vor allem durch Spielfreude, die sich in der Interaktion und Improvisation der Musiker und Tänzer zeigte. Zwar finden sich auch in "Naked" Freude und Lust, doch ist der konzeptionelle Rahmen enger, der Zugang intellektueller. Darüber hinaus aber ist es die Bürde des nahenden Abschieds, die auf "Naked" lastet.

Wir werden Kevin O’Day und Dominque Dumais und dieses fantastische Ensemble vermissen. Adieu!

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