Wer sich im Vorfeld auch nur ein bisschen mit dem Lolla auseinander gesetzt hat, der wusste bereits, dass es sich bei diesem Festival nicht um irgendein stinknormales Festival handelt, sondern eher um eine Art Lebensgefühl, oder wie Gründer Perry Farrell es bei der wohl abgefahrensten Pressekonferenz der Welt auf den Punkt bringt: the vibe of Lollapalooza.

Nicht nur mit einem ziemlich bunt durchmischten Lineup warten die Organisatoren bei der Premiere ihres Festivals auf (die Libertines nach Deichkind und zeitgleich mit Macklemore & Ryan Lewis wird man auf anderen Festivals wohl vergeblich suchen), sondern auch mit einem ganzen Sammelsurium an Absurditäten.

Das etwas andere Festivalgelände

Das Lolla ist kein Campingfestival und wird es auch nie werden. Mit der Wahl des ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof und der Gestaltung des Geländes etablieren sie sich als Großstadtfestival, bei dem nicht in Gummistiefeln durch den Matsch gelatscht, sondern im Sonnenschein barfuß auf Beton getanzt wird, mit Blumenkranz im Haar und Glitzer im Gesicht.

Doch bevor man sich überhaupt der Musik widmen kann, muss erstmal das Festivalgelände unsicher gemacht werden. Und da gibt es unendlich viel zu entdecken. Da wäre zum einen die zentrale Würfel-Kunstinstallation, der grüne Kiez, die Streetfood-Ecke, Fashionpalooza, oder aber die Lolla Fun Fair, ein Königreich für alle Hipster und die, die das Verrückte lieben. Fehlt eigentlich nur noch ein Riesenrad um das Kirmes-Flair zu komplettieren. Wenn also mal gerade nicht die passende Band spielt, gibt es immer noch reichlich zu entdecken.

Der erste Tag: holpriger Start

Doch so liebevoll das Festival auch gestaltet ist, aller Anfang ist schwer. Das können die Besucher am ersten Tag hautnah erleben, denn hier gibt es gleich mehrere Baustellen. So funktionieren die Kameras an Mainstage 2 noch nicht richtig, die Schlangen an den Essenständen sind so lang, dass man ganze Bands verpassen muss, um nicht zu verhungern, und die Toilettensituation ist – pardon my language – wortwörtlich scheiße. Eine Stunde lang anstehen? Eher sub-optimal. Die Stimmung ist dementsprechent angekratzt.

Aber riesengroßes Lob an die Veranstalter: Am zweiten Tag ist davon nichts mehr zu merken. Wie sofort angekündigt sind nun mehr Dixis vorhanden und niemand muss mehr warten. Schnell reagiert, Problem behoben, Stimmung gerettet. Für die, die nur am ersten Tag da waren, ändert das zwar auch nichts mehr, aber man merkt, dass hinter dem Festival eine maximal engagierte Crew steckt.

Netter Start in den Tag

Musikalisch geht es am ersten Tag schon gut los. Everything Everything passen erstens mit ihrem Banner perfekt ins Lolla-Farbschema und legen zweitens einen soliden Warm-Up-Auftritt hin, auch wenn noch nicht ganz so viele Besucher da sind. Und James Bay und die Mighty Oaks haben wohl vorher gewettet, wer auf der Bühne sympathischer wirkt, denn beide Acts wirken auf der Bühne einfach nur ultragechillt und supernice.

James Bay bekommt Extra-Punkte für sein Ghostbusters-Shirt, Punktabzug gibt es jedoch in der B-Note. Sein Album ist nett, live ist er nett, aber so richtig zünden will das Ganze nicht. Faltenfrei gebügelter Pop, der die Zuschauer für den Moment glücklich macht, dem aber irgendwie das gewisse Etwas fehlt. Da er sich seinen Hit "Hold Back The River" bis zuletzt aufhebt, schafft er es aber die Zuschauer bis zur letzten Minute vor der Bühne zu behalten, bevor sie dann langsam zu den Mighty Oaks rüber driften.

Die durften wir schon oft erleben, und wir verleihen ihnen auch diesmal wieder das Prädikat besonders schön. Die machen nämlich nicht nur gute Musik, sondern bringen auch irgendwie immer gutes Wetter mit. Die Stimmung ist gut, die Sonne scheint, der Bart von Sänger Ian Hooper ist perfekt getrimmt, da gibt es nichts zu meckern.

Es wird lauter

Nach dem ruhigen Start geht es dann mit fetteren Beats weiter. Hot Chip und Parov Stelar Band bringen mit ihren Songs die schwitzende Menge zum tanzen, und auch Bastille haben ihr Publikum fest in der Hand. Mit ihren Songs "Flaws", "These Streets" oder ihren berühmt-berüchtigten Coverversionen "No Angels" und "Of The Night" heizen sie den Festivalgängern ein. Spätestens mit ihrem letzten Lied "Pompeii" schießt die gute Stimmung nach oben. Wenn man nicht gerade vorm Klo warten muss...

Mit Deichkind neigt sich der erste Tag langsam aber stetig dem Ende entgegen, doch wie gewohnt, kriegt man hier Abriss pur geboten. Der Vorhang fällt, es geht los mit "So 'ne Musik", Leuchtanzüge, übergroßes pinkes Gehirn auf dem Kopf, denn man muss ja groß denken, Remmidemmi, Penner ohne Grenzen – wer sich noch nicht beim Headliner einen Spot sichert kriegt hier vielleicht nichts neues geboten, aber eben den typischen Deichkind-Krawall, den wir so lieben. Und ein politisches Statement der Band darf auch nicht fehlen: #refugeeswelcome

Und sie sind doch da!

Die Gerüchteküche brodelte im Vorfeld, zwei Shows der Band in England unmittelbar vor dem Lolla hat die Band gecancelt, und dann die Erleichterung: Die Band ist tatsächlich in Originalbesetzung auf der Bühne, mit neuem Album, ungewohnter Professionalität aber gewohnter Attitüde, und lassen die Herzen der Libertines-Fans höher schlagen.

Während auf der Mainstage Macklemore & Ryan Lewis für Ekstase sorgen und mit ihrem Bass von der Seite nerven, und Fatboy Slim auf der Perrys Stage abgeht, wird bei den Libertines vor der Alternative Stage gepogt was das Zeug hält. Zwar ist der Rest des Publikums mindestens genauso, wenn nicht bewegungsarmer als Bassis John Hassall, aber Drummer Gary Powell haut so richtig auf den Putz, und Pete Doherty und Carl Barât wieder vereint am Mikro zu sehen, ist einfach nur großartig.

Breites Lächeln im Publikum

Zwar kommt der Auftritt der Band und die Reaktion des Publikums weniger ekstatisch und abgefahrener daher als in den "good old days", doch bei Songs wie "Time For Heroes", "Can't Stand Me Now", "Music When The Lights Go Out" oder "Death On The Stairs" sind all die fehlenden Jahre vergessen. Nach langem Warten zu Macklemores herüberschwappenden "Can't Hold Us" folgt eine Zugabe, bei "Don't Look Back Into The Sun" ist das Lächeln im Gesicht der Fans mittlerweile so breit, dass sie dem Joker alle Ehre machen.

Zum Schluss folgt eine lange Runde Applaus, die Band steht zusammen vorne auf der Bühne, und Pete lässt es sich nicht nehmen, doch noch mal ein Mikro umzuschmeißen. Die Libertines haben es tatsächlich zu ihrem Auftritt geschafft, und abgeliefert. Großartiges Kino, der Ärger vom Tag ist spätestens jetzt verraucht.

Der zweite Tag mit Belle & Sebastian, Sam Smith, den Beatsteaks, Muse – und viel weniger Problemen

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Der zweite Tag: Es gibt nichts mehr zu meckern!

Mist, heute klappt alles, die Generation "Ich kotze mich so gerne auf Facebook aus, weil ich sonst nichts zu tun habe" hat leider kein Arbeitsmaterial mehr. Keine Wartezeiten mehr am Klo, humane Wartezeiten beim Essen (das übrigens abartig gut ist), und die Musik ist auch top. Dann muss man sich wohl doch die Zeit mit Selfies machen vertreiben.

Wer ganz früh da ist, wird natürlich wie immer belohnt, denn Coasts aus England sollte man sich echt reinziehen, und auch die Gitarrenfraktion wird bei Wolf Alice und Brand New zufrieden gestellt. Wer dann doch mal Bock auf eine Runde Rap hat, und außerdem hören will, wie oft man tatsächlich das Wort Fuck in all seinen flektierten Formen in einem Gig unterbringen kann, der hat bei Run The Jewels die Chance dazu.

"Let's have a party"

Bevor Belle & Sebastian die wohl größte Party auf der Bühne feiern, geht es mit den Stereophonics und My Morning Jacket weiter. Letztere liefern eine solide Show, und sorgen für den ein oder anderen Headbanging-Moment (die haben aber auch alle viele Haare), doch die eigentliche Frage ist: Wo hat Leadsänger Jim James diese Jacke her? Sehr stylisch, das Herz der Fashionpalooza-Crowd blüht auf.

Und zerspringt dann in Millionen Scherben, denn die silberne Hose von Belle & Sebastian Frontman Stuart Murdoch war noch nicht mal in den 90ern schön. Die sollte er auch eigentlich nicht anziehen, aber seine Frau ist zum Glück in Schottland geblieben. Bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht den Live-Stream auf Arte geguckt hat...

Doch bei der Band merkt man, dass ihr Auftreten nicht wichtig ist, viel wichtiger ist die Musik, und vor allem der Spaß daran. Zum Schluss wird noch eine ganze Horde Zuhörer auf die Bühne geholt, die Stimmung könnte besser nicht sein, und der schottische Akzent des Sängers ist einfach zu schön.

Im Hintergrund: die Flüchtlingsfrage

Ernst wird es zwischendrin allerdings auch noch: Die Flüchtlingsfrage ist auch beim Festival ein Thema, wenn auch nur am Rande. An einigen Ständen findet man Flaggen mit dem Schriftzug Refugees Welcome, auf dem grünen Kiez hängen Erlebnisberichte von Flüchtlingen, doch bei so einem internationalen Festival, bei dem so viele Länder aufeinandertreffen und zusammen zu ihren Lieblingsbands abgehen, kann man sich schon gar nicht mehr vorstellen, dass es in der echten Welt immer noch so viel Fremdenhass gibt.

Das politische Statement jedoch, das man von Deichkind am Abend zuvor in Form ihrer Jogging-Anzug-Kollektion erwartet hat, kommt jetzt allerdings von unerwarteter Seite, denn die Schotten Belle & Sebastian nehmen sich einen Moment, um Deutschland zu loben, das im Gegensatz zu auf dem Gebiet eher Not-So-Great Britain eine Führungsrolle übernommen hat.

Berliner Jungs

Eins muss man ihnen lassen, auch wer die Band vielleicht nicht unbedingt mag, muss diesen Auftritt einfach lieben. Die Beatsteaks sind mit dem Fahrrad angereist. Es ist ja auch sozusagen ein Heimspiel. Sie kümmern sich einen Scheiß um ihre Appearance oder Fashion-Gedöns, und machen einfach nur geile Hau-Drauf-Mucke.

Da steht die Menge bis in die allerhintersten Winkel dicht gedrängt, Kinder und Familien bringen sich schnell bei Kidzapalooza in Sicherheit, das bis dato teilweise eher passive und bewegungsbegrenzte Publikum kennt jetzt kein Halten mehr. Mit "I Don't Care As Long As You Sing" grenzt sich die wohl lauteste Band des Lollas von dem sonst so poppigen Lineup ab, und sorgt für eine angenehme Abwechslung zwischendurch.

Herzschmerz at its finest

Ja, Sam Smith kann schon echt gut singen. Da sitzt jeder Ton, der Auftritt ist bis auf die letzte Kleinigkeit perfekt durchgeplant, nicht mal die Erkältung kann dem was anhaben. Doch seine Herzschmerz-Balladen ziehen die Stimmung jetzt doch irgendwie etwas runter. Aber auch das ist irgendwo nur Kalkül, denn bevor es doch zu ruhig wird, schmettert er sein Naughty Boy-Feature "Lalala" raus und hat so die Crowd fest in der Hand.

Noch eine Ladung Schnulze mit "Stay With Me", und fertig ist der Sam Smith Auftritt. Etwas zu perfekt fast, aber der Ausgleich dazu in Form von Seeed folgt sogleich, denn die machen dann wieder richtig Terz auf der Bühne, bevor zum Headliner abgefeiert wird.

Time Is Running Out

Das Ende ist in Sicht, doch nicht bevor Muse mit einem gewaltigen Auftritt für den perfekten Schluss sorgen. Mit einem Mix aus ihren besten und beliebtesten Songs und Tracks aus ihrem neuen Album "Drones" stehen sie auf der Bühne, die Menge geht noch einmal richtig ab. Bei "Plug In Baby", "Citizen Erased", "Psycho", "Supremacy" oder "Time Is Running Out" beweist Matt Bellamy, dass er zurecht einen Platz zwischen den besten Gitarristen der Welt hat. Songs wie "Resistance" in der Zugabe sorgen für beste Mitgröhl-Unterhaltung und mit ihrer Papier-Schnipsel-und-Schleifen-Kanone stellen sie sicher, das die Aufräum-Crew nachher genug zu tun hat. Und die Fans? Die feiern nur einfach hart.

Schmeiß noch ein paar riesige schwarze Luftballons bei "Reapers" rein und fertig ist die Performance. Gut, die Videoinstallation hätte jetzt nicht sein müssen, gerade die Leute, die nur über die Bildschirme an den Seiten und hinten schauen, hätten auf die Video-Schnipsel wohl verzichten können, aber im Großen und Ganzen legt die Band einen Auftritt hin, der jeden Muse-Fan total verstrahlt zurück lässt.

Und so kommt das erste Lolla bereits zum Ende: Mit einem Helene Fischer-Verschnitt, der an einem Ballon durch die Gegend schwebt und turnt und die Zuschauer in die Berliner Nacht entlässt, verabschiedet sich das Festival in die Pause, nächstes Jahr soll es weiter gehen. Am 10. und 11. September wird der Tempelhof wieder zur Manege des Wahnsinns, save the date, es lohnt sich!

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