Linkin Park (live beim Rock'n'Heim, 2015) Fotostrecke starten

Linkin Park (live beim Rock'n'Heim, 2015) © Achim Casper

Viel Kritik gab es nach der Ankündigung, dass die gerade erst neu etablierte Festivalreihe Rock'n'Heim in diesem Jahr nur noch auf der Ein-Tages-Sparflamme laufen würde. Wir haben uns ins Getümmel gestürzt und verraten euch, ob uns Rock'n'Heim 2015 wirklich geflasht hat.

Als Rock'n'Heim 2015 von einem Dreitages- auf ein Eintagesfestival zusammengekürzt, wurde, war die Verwunderung, die teilweise in Empörung umschlug, ziemlich groß. Nur ein einziger Festivaltag mit acht Acts und das auch noch an einem Sonntag? Kann dieses Konzept funktionieren? Die Antwort gab es am Wochenende.

Alles auf einem Blick

Die große Bühne im Fahrerlager – letztes Jahr noch die Evolution Stage – ist geblieben, alles andere fällt diesmal weg. Auch Camping ist dieses Jahr nicht möglich. Das gesamte Geschehen inklusive aller Fressbuden und Bierstände konzentriert sich rund um die Hauptbühne. Musikalische Alternativen gibt es nicht.

Das macht sich vor allem bei den Umbauphasen bemerkbar, die bis zu einer dreiviertel Stunde dauern können. Dennoch wirkt der gesamte Platz viel kompakter und übersichtlicher. Auch durch die gesunkene Besucherzahl auf letztlich rund 14.000 Festivalfans sind Gedrängel und lange Warteschlangen selten. Erst im vordersten Publikumsbereich wird es eng. Wer das Campen also nicht vermisst, kann die Verkleinerung auch als Vorteil begreifen.

Summer Paradise: Halestorm und Simple Plan

"It's never to early for a crazy rockshow!", schreit Halestorm-Frontfrau Lizzy Hale in die Menge. Der Auftritt der US-Hard-Rocker ist mindestens genauso heiß und schweißtreibend wie das Nachmittags-Wetter am Ring. Die Band startet mit "Love Bites" und liefert ein amtliches Rockbrett mit viel Gepose, diversen Gitarren- und Schlagzeugsoli und einer vor Energie strotzenden Frontfrau, die wahrscheinlich mehr Eier hat als manch männliches Pendant. Beeindruckend!

Dagegen sind Simple Plan aus Kanada fast schon handzahme Milchbubis. Aber den punkig-poppigen Melodien bei Hits wie "Jet Lag", "Your Love Is A Lie", "Jump" – wozu natürlich eifrig gesprungen wird – oder "Summer Paradise", bei dem ein paar Wasserbälle ins Publikum geworfen werden, können sich vor allem die weiblichen Festivalbesucher nicht entziehen. Ein neuer Song mit dem ausgeklügelten Titel "Boom" wird auch gespielt: "You still make my crazy little heart go boom", schallt es von der Bühne. Simple Plan bleiben sich eben treu.

Von offenherzig bis provokant: Flogging Molly und K.I.Z

Der sympathische Folk-Punk-Siebener Flogging Molly bringt ein Stück Irland nach Hockenheim und sorgt mit treibenden Rhythmen für Circle Pits und tanzende Menschen. "Deutschland, breakfast!", ruft Frontmann Dave King und verteilt eine Runde Guinness. "That's not a fucking Becks. It's a real drink". Der hat gesessen. Es ist die letzte Show für die betagte, aber bei weitem nicht müde Flogging Molly-Truppe vor ihrer Rückkehr in die Heimat. 

Zeit für das Kontrast-Programm – und das nicht nur genretechnisch. Bescheiden wie eh und je erscheinen K.I.Z nach dem Intro "Das Kannibalenlied" auf einer Erhöhung zwischen ihren eigenen Statuen und lassen mit drückenden Elektrosamples den Boden erzittern. "Ihr könnt gleich anfangen euch zu prügeln". Wer bei diesem provant-aggressiven Auftritt die Ironie der derben Texte nicht bemerkt, könnte sich relativ schnell ein falsches Bild von den Berlinern machen. Pardon, wir dürfen uns ja kein Bild von ihnen machen. Also besser vorher das Gehirn in den Urlaub schicken.

Kraftklub gegen den Regen

Pünktlich zur Umbauphase für Kraftklub ist es vorbei mit dem Summer Paradise. Dunkle Wolken breiten sich aus, strömender Regen folgt. Viele Besucher flüchten zu den überdachten Ständen und decken sich mit Regencapes ein. Der nervige Regen wird bis kurz vor dem Headliner Linkin Park  anhalten.

Die Kraftklub-Fans stört das keinen Meter. Sie feiern die Karl-Marx-Städter bei jedem Wetter, wahrscheinlich auch bei Schnee. Irgendwie ist das aber verständlich, denn Kraftklub sind mittlerweile die absoluten Festivalprofis. Frontmann Felix weiß genau, wie er die Menge anheizen kann und empfiehlt zu den treibenden Indie-Nummern Tanzen, Springen und die gegenseitige Körperwärme als Mittel gegen Regen – oder wahlweise eine Wall of death of slowmo.

Es ist eine typische Kraftklubshow mit den obligatorischen Ansagen, dem "Müll in die Luft-Schmeißen" bei "Randale" und dem Wettcrowdsurfen. Aber in Sachen Publikumskontakt und Interaktion toppt die Truppe an diesem Tag niemand.

Urlaubszeit

Derweil singt Farin Urlaub mit seinem Racing Team – wie passend auf einer Rennstrecke – von Sommer, Sonne, Strand und muss selbst lachen, wenn er in den dunklen Himmel schaut. "Macht mal alle die Hände hoch. Und jetzt dreht ihr euch einmal im Kreis. Ihr macht aber auch jeden Scheiss mit, oder?"

Selbst der trockene Humor vom Herrn Urlaub kann Petrus nicht besänftigen. Mittlerweile sind die Rock'n'Heimer auch schon so durchnässt, dass der Regen zur Nebensache wird. Bei Songs wie "Zehn" werden die Tropfen einfach wieder abgeschüttelt. Das Farin Urlaub Racing Team bleibt ein Riesenspaß für Groß und Klein. Der platinblonde Dauergrinser ist eben ein großartiger Entertainer.

Spektakulär und doch nicht überzeugend: Linkin Park

Nach einer Viertelstunde Verspätung beginnen Linkin Park eine Show, die kaum unpersönlicher hätte sein können. Natürlich sind die Visuals beeindruckend, der Sound brachial und das Set gespickt mit den Songs, die alle hören wollen, allen voran "In The End", "Faint", "What I've Done", "Burn It Down", dem Opener "Papercut", "Numb", "New Divide" und "One Step Closer".

Linkin Park sind genau dann am stärksten, wenn sie den Härtegrad hochdrehen und sich Chester die Seele aus dem Leib schreien kann. Dann bleibt dem Zuschauer wirklich die Spucke weg. Ein "Given Up" ist ein Paradebeispiel für die sich entfesselnde Energie. Dadurch wirken die seichteren Nummern – wie auf Platte auch – als reine Lückenfüller.

Immer dann, wenn der Weichspüler eingesetzt wird, verliert das Konzert an Spannung. Auch das kurze Fort Minor-Medley ist bei all den Rap-Skills von Mike Shinoda einfach Fehl am Platz. Viel zu sagen haben die Jungs leider auch nicht, außer den "We love you"-Phrasen. Schade, da wäre mehr gegangen.

Ein Festival wie das Wetter: durchwachsen

Hat uns Rock'n'Heim also geflasht dieses Jahr? Jein! Das Line-up konnte sich durchaus sehen lassen, durch die kompakte Struktur gewann man schnell den Überblick und das Fehlen von Gedrängel und längerem Anstehen war sehr angenehm.

Richtiges Festivalfeeling wollte dennoch nicht aufkommen. Rock'n'Heim 2015 fühlte sich wie ein langer, regnerischer, durch Umbaupausen unterbrochener Konzerttag an. Es wird nicht leicht, mehr Sympathisanten für dieses Ein-Tages-Konzept zu finden, da sich eine weite Anreise für viele Besucher nicht lohnt. Ein zweitägiges Festival hätte da viel bessere Argumente. Marek Lieberberg hat eine gründliche Analyse angekündigt. Bis zum Frühjahr 2016 wird feststehen, ob Rock'n'Heim eine Zukunft hat und wie sie aussieht.