Glück auf! Am letzten Maiwochenende ist Schalke grün, nicht blau und weiß. Das Revier rockt früh los, bereits um 13:15 Uhr spielt die Gelsenkirchener Band Any Given Day auf der kleinsten Bühne von Rock im Revier.

Schleppender Start

Auf der größten Bühne des Festivals, kreativerweise Big Stage genannt, tritt kurz danach Kirk Hammets ehemalige Band Exodus als erster Act auf, gefolgt von Hatebreed und Testament. Die Veltins-Arena ist zu diesem Zeitpunkt, sprich am späten Nachmittag, nicht mal zur Hälfte gefüllt. Auch als später Within Temptation Symphonic-Metal in guter Qualität zu Gehör bringen, ist es kaum voller. An den Niederländern kann es nicht liegen, denn sie liefern eine gute Show.

Um 18:30 Uhr sind dann Faith No More an der Reihe. Die Amerikaner haben offensichtlich noch beim Floristen vorbeigeschaut, denn die komplette Bühnenfront ist mit Blumen geschmückt. In den weißen Leinengewändern wirken die fünf Musiker ein wenig wie Hare Krishna-Jünger. Etwas entrückt sind sie, aber das Publikum freut sich trotzdem über Songs wie "Epic" und "Easy". Apropos Publikum: Ein Drittel der Halle ist noch leer.

Beim Headliner geht das Publikum steil

Als der Headliner des Tages auf der Bühne stehen, sind die Sitzplätze sehr gut gefüllt, allerdings ist im Innenraum noch genügend Platz, denn ein Viertel bleibt frei. Dass das bei Metallica passiert, verwundert. Die anwesenden Zuschauer gehen aber ordentlich mit – und haben Glück, denn die Setlist hält einige musikalische Schmankerl bereit, wie etwa Frayed Eyes of Sanity. James Hetfield hält also Wort, als er sagt: "Wir werden heute ein paar Songs spielen, die ihr seit längerer Zeit nicht gehört habt."

Der Frontmann ist im Übrigen ein Phänomen, denn er scheint einfach nicht zu altern. Die Resonanz des Publikums scheint sich auf Hetfield zu übertragen, denn er ist sichtbar gut gelaunt.

Helden des europäischen Sommers

Dafür hat er auch allen Grund. Der neue Song "Lords of Summer" handelt, laut Hetfield, von der Freude darüber, dass Metallica mit 50 Jahren immer noch als Headliner auf europäischen Festivals spielen. In den USA ist ihnen das nicht vergönnt.

Es gelingt ihm und Bandkollege Kirk Hammet sogar, das für englische Muttersprachler nicht ganz so leichte Wort "Gelsenkirchen" fehlerfrei auszusprechen. Und noch mehr: auch die Performance von "The Unforgiven II" glückt. "Hey, we didn’t fuck it up!", sagt Hetfield und wirkt dabei fast etwas verlegen.

Vorzeitiger Aufbruch im Publikum

Dass die Glückskinder, die direkt auf der Bühne zu Metallica headbangen dürfen, ein Dauergrinsen im Gesicht haben, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden.

Was aber erwähnenswert ist: Als Metallica sich nach zwei Stunden von den Fans verabschieden, ist der Innenraum halb leer. Die Gründe für die vorzeitige Abreise sind nicht klar. Vielleicht wollten die Zuschauer noch rechtzeitig zur Bahn oder auf den Parkplätzen nicht im Stau stehen.

Ein Festival ohne Festivalfeeling

Bevor die vier Kalifornier (beziehungsweise drei Kalifornier und ein Däne) das Publikum zum Bangen und Moshen brachten, war die Stimmung leicht unterkühlt, genauso wie das Wetter an diesem Tag. Da hat es auch sein Gutes, dass die Arena auf Schalke überdacht ist, zumal es abends regnet.

Es liegt aber nicht nur an der Überdachung, dass keine Festivalstimmung aufkommt. Schon allein aufgrund der Location hat man das Gefühl, man besuche ein Konzert mit mehreren Bands. Wenn es vorbei ist, geht es mit der Tram nach Hause. Bei allem Wohlwollen fällt es schwer, Rock im Revier als Festival zu bezeichnen. Würde sich das an den folgenden Tagen bessern?

Im zweiten Teil: Samstag, Sonntag und das Fazit.

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Am Samstag ist das Wetter definitiv besser als am Vortag. Das ermöglicht den Zuschauern, Babymetal im Trockenen anschauen. Die drei Japanerinnen spielen auf der Boom Stage, der zweitgrößten Bühne und der einzigen unter freiem Himmel. Sie sind durchschnittlich 15 Jahre alt und erfuhren erst von ihrem Management, dass sie Metal machen sollen.

Vorher kannten sie nach eigenen Angaben nicht mal das Wort. Stört aber keinen, die abgedrehte Mischung aus Metalriffs und Technobeats und ihre süße und charmante Art stößt zumindest auf Wohlwollen. Eine Metal-Girlband mit Tanz-Choreographien ist mal was anderes.

Ein wenig Festivalstimmung

The Hives spielen auf der Big Stage. Und es kommt in Ansätzen sogar die gelassene Partystimmung auf, die Festivals eigen ist. "Walk Idiot Walk" und "Go Right Ahead" sind ja auch ein guter Soundtrack dafür. Incubus spielen nach The Hives und verbreiten mit Songs wie "Are You In?" und "Drive" eine entspannte Stimmung, die mit Liedern "Megalomaniac" und "Nice To Know You“ etwas durchbrochen wird, was für Abwechslung sorgt.

Muse, die Headliner des Tages eröffnen um etwa 21 Uhr ihre Show mit dem Opener "Psycho", inklusive Drill Sergeant. Setlist und Video- und Lightshow lassen kaum Wünsche offen. Denen, die da waren, hat es definitiv gefallen. Im Laufe des Tages hielt sich das Wetter, so dass man es am zweiten Veranstaltungstag wagt, das Dach der Veltins-Arena aufzumachen. Im Inneren des Stadions war hingegen noch sehr viel Platz. Selbst bei Muse sind einige Ränge der Sitzplätze frei oder wurden erst gar nicht aufgemacht.

Der Regen-Sonntag

Am Sonntag dasselbe Bild. Der Unterschied: das Wetter. Es regnet fast den ganzen Tag. Auch wenn man zynischerweise bemerken könnte, dass Regen doch zu Festivals dazugehört: Der Hauch Festivalatmosphäre vom Vortag ist schon wieder verflogen.

Und der verregnete und kühle letzte Tag von Rock im Revier hält einige Änderungen bereit: Der Gig von Dr. Living Dead entfällt, und auf der Hauptbühne gibt es Verzögerungen, da der Aufbau für den Headliner des Tages wohl etwas aufwendiger war als erwartet.

Bevor es aber Zeit für selbigen ist, spielen Judas Priest. Rob Halford zeigt Einsatz und ist stimmlich meist auf der Höhe, aber die hohen Töne, wie etwa bei "Painkiller", bekommt der Metal God nicht mehr hin. Den Leuten gefällt es trotzdem, denn mit Abzügen ist es auch eine gute Show.

Züngelnde Zungen zum Abschluss

Der Headliner des Abends sind Kiss und sie spielen in einer halbleeren Veltins-Arena. Die Show der vier Amerikaner erfüllt die Erwartungen: Gefühlt alle paar Minuten explodiert ein Feuerwerk und sämtliche bekannten Songs sind in der Setlist. Zum großen Finale kommt nochmal alles zusammen:  Hits ("I Was Made For Loving You", "Rock'n'Roll all Night"), Feuerwerk, Funkenräder, Konfetti und Flammen, die aus dem Boden schießen.

Paul Stanley und Gene Simmons stehen auf ausfahrbaren Stegen und sind direkt über den Köpfen der Zuschauer. Wie an allen Tagen ist um etwa 23 Uhr Schicht im Schacht und das diesjährige Rock im Revier zu Ende. Eine Fortsetzung für 2016 ist geplant.

Durchwachsenes Fazit

Insgesamt 43.500 Besucher kamen nach Gelsenkirchen. Die Verantwortlichen zeigen sich trotz leerer Reihen und Ränge zufrieden. Fans ärgern sich auf Facebook unter anderem über die langen Wege zwischen den Bühnen und über einige Organisationspannen. Es gibt aber auch User, die sich positiv äußern und Verständnis für Fehler zeigen.

Metallica lieferten ordentlich ab und begeisterten am Freitag, an dem auch die meisten Leute kamen. Muse konnten sich über sehr gute Resonanz freuen. Kiss boten die Show, inklusive viel Pyro, die von ihnen erwartet wurde. Und trotz geringer Zuschauerzahlen war die Stimmung bei diesen Headlinern gut und das Publikum laut. Abzug gibt es für den Sound, der mitunter zu wünschen übrig ließ, da der Bass zu sehr dröhnte.

Publikum in fortgeschrittenem Alter

Festivalatmosphäre mochte gar nicht aufkommen. Dies lag zum einen an der Location, denn dass in einem Stadion (Big Stage) bzw. einer kleinen Mehrzweckhalle (Bang Stage) Festivalfeeling aufkommt, ist sehr unwahrscheinlich. Es lag aber auch daran, dass das typische Festivalpublikum Rock im Revier fernblieb. Stattdessen dominierten Besucher, die allem Anschein nach speziell für den Headliner gekommen waren.

Das Durchschnittsalter des Rock im Revier-Publikums war um einiges höher als auf den meisten großen Festivals üblich. Hier zeigte sich, dass das Line-up junge Zuschauer offensichtlich nicht ausreichend zu überzeugen vermochte. Auf allen Bühnen war vor Mitternacht Schluss – zu dieser Zeit geht andernorts oft nochmal richtig los auf und vor der Bühne.

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