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Tokio Hotel (live in Hamburg, 2015) © Falk Simon

Tokio Hotel laden zum intimen Clubkonzert in eine Hamburger Kirche und präsentierten eine fantastische Licht- und Lasershow bei schlechter Akustik. Sänger Bill Kaulitz' macht seine dünne Stimme durch souveräne Kostümwechsel wett.

Vorab Empörung und Verwirrung: 85 Euro kostete die günstigste Karte für das Konzert von Deutschlands ehemals größter Popband. Für ein Konzert in einer Kirche mit einer Kapazität von 400 Zuschauern? Weder Ort noch Preis der Rückkehr von Tokio Hotel erwiesen sich als Druckfehler.

Erst Club, dann Arena

Die Fans der Band, zu Zeiten des Debütalbums im Jahr 2005 noch Teenies, sind anno 2015 offenbar zu zahlungskräftigen Twens geworden und zahlten ohne Zögern sogar höhere Summen. 250 Euro kostete ein Meet&Greet mit Bill, Tom, Georg und Gustav, happige 1850 Euro die Möglichkeit, während eines Songs mit der Band auf der Bühne zu feiern.

Was die Location anging: Tokio Hotel spielen keinen Unplugged Gig. Es handelt sich lediglich um den ersten Teil der Tour namens "The Club Experience". Arenen werden folgen.

Mit Krone und Kutte

Punkt 20:30 Uhr verdunkelt sich der Kirchenraum, Laser wirbeln, Scheinwerfer blitzen, Projektoren projizieren auf einen transparenten Vorhang. Der Vorhang fällt, das Publikum kreischt, zu einem Kirmestechno-Intro treten die vier Magdeburger, alle mittlerweile Mitte 20, auf.

Sänger Bill Kaulitz mit Krone und goldener Kutte. Derer wird er sich kurz darauf entledigen, darunter ein schwarz-goldener Ganzkörperanzug, der sich so ähnlich auch in Michael Jacksons "Dangerous"-Tourgarderobe befunden haben könnte. Muss man tragen können – und Bill kann.

Die anderen Bandmitglieder tragen zunächst Mundtücher, was irgendwie bedrohlich, zumindest aber Western-Style sein soll, tatsächlich aber eher nach Pinneberger Vorstadtgang aussieht. Der Sänger wird noch mehrfach an diesem Abend sein Kostüm wechseln, und eigentlich steht ihm fast alles, ob Edelgangster-Look mit rotem Fellmantel, leuchtende Bauarbeiter-Schutzjacke oder weißes Jesus-Flattertuch.

Erfolg oder Misserfolg?

Fünf Jahre waren Tokio Hotel nicht in Hamburg. Noch länger ist die Veröffentlichung ihres dritten Albums "Humanoid" her. Dessen Nachfolger "Kings of Suburbia" erschien im letzten Herbst, wie immer zu mäßigen bis vernichtenden Kritiken. Journalisten weideten sich aber vor allem daran, dass das Album nicht an die erfolgreichen Nullerjahre anknüpfen konnte.

Dabei stand das Album zu Verkaufsbeginn in 19 Ländern gleichzeitig auf Platz eins der iTunes-Charts. Tokio Hotel sind nicht nur erwachsen, sie sind auch längst eine internationale Band geworden. Die Kaulitz-Zwillinge leben im celebrityreichen Los Angeles und singen nur noch auf Englisch.

Verhallter New-Wave-Elektro

In der nicht ausverkauften Kulturkirche Altona ist viel Platz hinterm Mischpult. Die Band haut eine Stadion-Hymne nach der anderen raus, und das in einem neugotischen Bau aus dem 19. Jahrhundert. "Vor 10 Jahren war die Musik nicht so gut", sagt eine Mittvierzigerin, die am Gitter lehnt. Darüber lässt sich streiten.

Der semi-akustische Pop des ersten Tokio-Hotel-Albums kokettierte mit wohldosierten Heavy-Rock-Elementen, dazu gab's typische Teenager-Problem-Texte. Schlecht gemacht war das keinesfalls, und obendrein hatte die Band einen provokant-androgynen Frontmann mit Charisma. Der leider nur über eine eher dünne Stimme verfügte.

Das zumindest hat sich im Jahr 2015 nicht geändert. Bills Organ kommt nur mit Computerunterstützung gegen den Soundmix aus donnerndem Schlagzeug, grellen Synthies und kurz aufblitzenden Metal-Gitarren an. Aus bravem Pop-Rock ist ein stark an Depeche Mode angelehnter New-Wave-Elektro geworden, dem die hallige Kirchenakustik nicht gut tut.

Kreischen, nicht klatschen

Den Fans ist es egal. Sie sind immer noch zum Großteil weiblich, unter 25 und in diffusem Gothic-Stil gekleidet. Ihr Kreischen zwischen den Songs ist eher gemäßigter Natur, fast so, als ob sie wüssten, dass es von ihnen erwartet wird. Geklatscht wird überhaupt nicht.

Natürlich sind alle textsicher, was für den schönsten Moment des Abends sorgt, als Bill auf Englisch "Rescue Me" anstimmt. Der Anhängerschaft ist dagegen die deutsche Version vom Debütalbum präsent, und so singt sie im Refrain lauthals "Komm und rette mich" zu Bills "Come and rescue me". Bis zum obligatorischen "Durch den Monsun" im Zugabenteil bleibt es der einzige deutsche Song, und der einzige mit akustischer Begleitung.

Star des Abends ist übrigens der Lichtdesigner. Rotierende Gegenlichtlampen, zuckende Laser, gleißendhelle Spots, die die Kirchendecke illuminieren – eine brillantere Show hat man selten gesehen. Das musikalische Fazit des Abends fällt weniger positiv aus. Beim nächsten Kirchenkonzert sollten die vier vielleicht die Akustikgitarren einpacken. Tokio Hotel Unplugged – gar keine so schlechte Vorstellung.

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