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Swans (live in Karlsruhe, 2014) © Johannes Rehorst

Noch härter, noch epischer und noch unbändiger als auf vorherigen Tourneen präsentierten sich die Swans im Karlsruher Jubez. Die Band um Michael Gira ist ebenso faszinierend wie unergründlich. Und dann ist da diese infernalische Lautstärke.

Die Swans live zu erleben, ist eines bei weitem nicht: Durchschnittskost. "Extrem laut und unglaublich laut" titelte Kollege Daniel Nagel nach dem letzten Konzertbesuch im Frankfurter Mousonturm und traf damit wortwörtlich den selbigen auf den Kopf.

Inzwischen ist eine Jahr vergangen, ein Jahr in dem sich bei den Swans einiges getan hat: Fast so, als ob man die fehlende Bandaktivität der frühen Zweitausender im Schnelldurchlauf wieder wettmachen wollte, haben Michael Gira und seine Mitstreiter nach dem 2012er Album The Seer nun im Frühjahr mit To Be Kind bereits das nächste Werk seit dem Comeback 2010 herausgebracht, und das galt es nun auch live vorzustellen.

Metalbands können einpacken

Was gleich geblieben ist, soviel sei gesagt, ist die infernalische Lautstärke, in der die Swans ihre Performance zelebrieren. Manowar? Motörhead? Alle Metal-Bands, die sich regelmäßig und plakativ ihre eigenen Dezibel-Rekorde auf T-Shirts drucken lassen, können da wohl einpacken. Die Swans indes müssen damit nicht renommieren. Sie sind eben einfach laut. Bereits am Eingang wird groß auf das, was kommt, hingewiesen: "A Swans show is a very LOUD show, use your earplugs all the time". Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Was sich auch nicht geändert hat, ist der rituelle Charakter der Konzerte: Gegen halb 10 betritt Percussionist Thor Harris die Bühne und beginnt schweigend, seine Gongs zu bearbeiten. Lange nachhallende Glockentöne eröffnen die Show, kurze Zeit später ergänzt durch die ersten Beats von Drummer Phil Puleo.

Unnahbares Energiebündel

Dauerkaugummikauend gesellt sich Kristof Hahn dazu und beginnt sein Werk an der Lap Steel Guitar. Der Berliner gehört ebenso wie die beiden vorgenannten seit 2010 fest zu den Schwänen und fügt sich durch seine stoische Art auch bestens ins Gesamtbild. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der die drei Musiker bereits eine massive Klangwand aufgebaut haben, ergänzen auch Chris Pravdica und Norman Westberg das Gesamtbild und – natürlich – Michael Gira.

Schon alleine, die Art, wie dieser die Szene betritt, offenbart, dass hier kein Musiker seinen Everyday-Job macht: Als ob er sich gerade aus irgendwelchen Fesseln befreit hätte, stürmt er die Bühne, weist noch kurz einen allzu forschen Fotografen mit dem gestreckten Mittelfinger und weit aufgerissenen Augen in die Schranken, greift dann zur Gitarre, um dann sofort einzusteigen in das massive Soundungetüm, das seine Kollegen gerade noch gebändigt bekommen. Ein Energiebündel, hoch konzentriert, manisch, mit geschlossenen Augen von einer Aura der Unnahbarkeit umgeben.

Extrem und extremer

Die Zeiten, in denen Swans-Songs noch einigermaßen Pop-Appeal zuzugestehen war, sind endgültig vorbei, wer den Sound der 90er erwartet hatte, war an dem Abend fehl am Platz. Stattdessen entfesselt die Band in den folgenden zweieinhalb (!) Stunden das Biest vollkommen: Es regieren tonnenschwere Akkorde, dröhnendes Feedback und beinahe schon mantraartige Riffwiederholungen. Die ohnehin schon ausufernden Songs der aktuellen Platte wirken live noch epischer, härter und vor allem noch viel energischer.

Im Vergleich zu dem Auftritt in Frankfurt wirkt das Set dieses Mal jedoch etwas zerfaserter, vielleicht liegt das an der Komplexität des neuen Materials, vielleicht auch an der Location. Gerade die Dynamik, das Wechselspiel zwischen extremer Lautstärke und Fragilität geht dabei leider oft verloren – stattdessen changiert das Spektrum eben zwischen extrem und noch extremer – sei’s drum.

Wie ein Schamane in Trance

Im Gegensatz zu früher gelingt es Giras Mitstreitern ab und an, sich aus der beinahe übermächtigen Präsenz des Frontmanns lösen, sei es Thor Harris, der neben aller Art von Percussionsinstrumenten sogar mit einer Posaune aufwartet, oder Pravdica, der allein schon für sein Durchhaltevermögen bei manchen Passagen zu bewundern ist – präzise und beinahe schon mit dem Sound einer Gitarre knallen die Bass-Riffs, oft über mehrere Minuten lang aus seinem Amp.

Mit zunehmender Dauer verschmelzen die fünf Menschen auf der Bühne zu einer Einheit, versuchen weiter die Schallmauer zu durchbrechen, um sich in eruptive musikgewordene Zornausbrüche ebenso zu versteigen wie in beinahe schon punkige Passagen. Und wenn Gira einmal singt, klingt seine Stimme mal klagend, mal wütend, mal in schamanenartig wirrer Trance.

Ein Konzert wie ein Monument

Nahezu autistisch steht er dabei auf der Bühne, die Augen geschlossen, die Hände ab und an in einer ekstatischen Geste gen Bühnendecke gereckt. Nur manchmal öffnen sich die Augen, und dann erscheint ein beinahe wölfisches Grinsen auf dem Gesicht. Ein Grinsen, das die Person Gira noch weniger einschätzbar macht. Hat er Spaß auf der Bühne? Ist das Show? Ist das Manie? Keine Ahnung, aber es ist beängstigend. Eben wie der Sound der Band.

Und als nach über zweieinhalb Stunden der letzte Ton verhallt ist, Gira "Lights up" in Richtung Mischpult brüllt und die Band vorstellt, bevor er sich mit einem charmanten "Liebä" verabschiedet, wird der eine oder andere froh gewesen sein, diese Show überlebt zu haben. Der Tinnitus wird sicherlich noch manchen als kleines Souvenir nach Hause begleitet haben.

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