Die Sterne (live in Heidelberg, 2014) Fotostrecke starten

Die Sterne (live in Heidelberg, 2014) © Robin Rei

Deutschlands Indie-Rock Veteranen aus Hamburg präsentieren im Heidelberger Karlstorbahnhof ihr neues Album und überzeugen mit neuen Ideen, Tanzmusik und alten Klassikern.

Als "Anheizer" gibt das Hamburger Agit-Duo Der Bürgermeister der Nacht, das auch auf der aktuellen Sterne-Platte mitwirkt, Vollgas in Sachen intellektueller Anforderung. Dies zeigt sich bereits in der lebensgroßen Aufstellfigur Lou Reeds an den Keyboards und dem Arthur Rimbaud-T-Shirt.

Mit Gesang, Gitarre und partiellen Keyboards bewaffnet zündet nicht jeder Song der hochmotivierten Labelgenossen der Sterne, aber die extra zur Tour fertiggestellte 7'' "Welt auf Bierschaum" mit Frank Spilker und Soundcloud-Goodies wie "Der neue Hubert Selby" finden große Resonanz im Publikum.

"Flucht in die Flucht" als Hauptthema

Gegen 21.45 Uhr beginnen Die Sterne ihr knapp zweistündiges, 21 Stücke umfassendes Set mit dem Titelsong ihres zehnten Studioalbums "Flucht in die Flucht". Der Karlstorbahnhof in Heidelberg ist zu diesem Zeitpunkt mit gut 200 Leuten halbvoll und die Reaktionen der ewigen Alt- und einiger Neufans noch recht verhalten. Man muss sich erst noch finden.

Aber bereits mit "Wiederschein" und vor allem dem Hamburger Schule™-Brecher "Universal Tellerwäscher" strahlen die meisten Gesichter und es gibt Bewegung im Auditorium. Von dort an tragen Die Sterne konsequent nahezu das komplette neue Album vor, immer wieder von etlichen Klassikern unterbrochen.

Bitterböser Zynismus

"Flucht in die Flucht" funktioniert live mit Aushilfs-Keyboarderin Dyan Valdes von The Blood Arm gut, denn es ist natürlich ein klassisches Sterne-Album – dieses Mal mit leicht psychedelischem Einschlag. Bei "Innenstadt Illusionen" bedient sich die Band gekonnt bei "Dreiklangdimensionen" der längst vergessenen Band Rheingold und Spilker trägt mit Sprechgesang, absichtlich müde und schwerfällig die Tücken und angeblichen Vorzüge der Innenstadt (wohl Hamburg) vor.

Hier steckt der bitterböse Zynismus natürlich im Detail: "Bezahlbare Wohnungen in den gängigen Viertel gesucht. Nach der Renovierung werden die Preise kaum merklich steigen. Was für eine Immobilienblase? Die Mehrheit will das so“. Besonders "Mach mich vom Acker", "Mein Sonnenschirm umspannt die Welt" und der Titelsong sind die Lieblinge in der Publikumsgunst.

Strictly Dancelfloor“ mit 24/7

Zum Unikum gerät Bassist Thomas Wenzels erste offizielle Lead-Vocal Einlage "Der Bär", zu dem sich der – im Vergleich zu Spilker – eher kleine Bassist, auf einen Stuhl stellt und in bester brummiger Achim Reichel-Tradition den bärbeißigen Blues vorträgt. Ein Highlight!  

Business as usual könnte man meinen: Eine Band im gesetzten Alter, die ihre Meriten im Deutsch-Pop längst verdient hat, promotet ihre neue Platte – wäre da nicht der extra eingebaute "24/7" Dance-Block, der mit drei Stücken nochmals die harte Tanzbodenerfahrung der letzten Studioplatte auf die Bühne bringt. Wie erwartet, funktionieren "Convenience Shop", "Deine Pläne" und "Gib mir die Kraft" live bestens zum hypnotisieren der Fanschaar, mit Spilker, losgelöst von der Gitarre und ungelenk, aber hingabevoll das Tanzbein schwingend. Die Menge schwooft mit.

Alte Schlachtrösser & das große Finale

Auch wenn Spilker immer wieder lakonisch das neue Album anpreist: "Ihr müsst da jetzt durch", ist nicht zu verkennen, dass weitere alte Schlachtrösser wie "Risikobiografie" (feat. Silver Machine von Hawkind) und vor allem "Die Interessanten" Nähe zu den Fans entstehen lässt und sie aus der Reserve lockt.

Nach "Wahr ist, was wahr" von "Irres Licht" und dem Evergreen und Crowd-Pleaser "Was hat dich bloß so ruiniert“ ist Schluss. Der erste Zugabeblock setzt dann weiterhin auf die neue Platte, wobei "Wo soll ich hingehen", inkl. Support vorgetragen, sehr schön psychedelisch zerdehnt wird und "Menschenverachtendverliebt" ist die Art von Bluesrocker, den Die Sterne gerne mal neben Ihre Popsongs stellen.

Als endgültiger Rausschmeißer funktioniert der immergrüne Funk-Workout "Fickt das System" aus den Früh-Neunziger Anfangstagen, der Wenzel und Spilker die Gelegenheit gibt, nach Herzenslust zu improvisieren. Das Publikum tritt danach glücklich und beseelt die Heimreise an oder ist beim heute schon obligatorischen Meet'n'Greet am Start. Die Sterne stehen auch nach 22 Bandjahren für deutsche Popmusik, mit Stil und textlichem Anspruch, jedoch nie mit erhobenem Zeigefinger, sondern immer der Selbstironie verpflichtet.

Setlist

Flucht in die Flucht | Wiederschein | Universal Tellerwäscher | Mach mich vom Acker | Hirnfick | Der Bär | 3 Akkorde | Convenience Shop | Deine Pläne | Gib mir die Kraft | Risikobiographie/Silver Machine | Die Interessanten | Innenstadt Illusionen | Winterschlaf | Ihr wollt mich töten | Mein Sonnenschirm umspannt die Welt | Wahr ist, was wahr ist | Was hat dich bloß so ruiniert || Menschenverachtentverliebt | Wo soll ich hingehen || Fickt das System

Alles zum Thema:

die sterne