© Christian Geier

Die Jazzszene in der Metropolregion wächst und gedeiht. Bester Beleg dafür: Die einheimischen Musiker haben inzwischen einen Stammplatz im erlesenen Programm von Enjoy Jazz und zeigen Jahr für Jahr, dass der "Jazz made in Rhein-Neckar" längst weltläufig geworden ist und sich bruchlos in die internationale Szene integriert.

Seit 16 Jahren leitet Rainer Kern das Enjoy Jazz Festival, versammelt Herbst um Herbst unterschiedlichste Musiker aus der ganzen Welt an den Spielstätten der Rhein-Neckar-Region, konzipiert Reihen, entdeckt Ungehörtes, bringt Disparates zusammen.

Etwas pathetisch ausgedrückt: Kern hat ein Herz so groß wie ganz Mannheim und Ludwigshafen zusammen – Traditionalisten und Avantgardisten, Free Jazzer und Hip-Hopper, Legenden und Newcomer haben darin ihren Platz. Von Anfang an galt dies auch für Künstler aus den lokalen Szenen. "Wir hatten immer schon viele Musiker aus der Region bei unserem Festival mit dabei, auch solche, die uns kontinuierlich von Anfang an begleitet haben", erklärt Rainer Kern. "Einen Automatismus gibt es aber nicht. Nicht der Herkunftsort ist entscheidend, sondern die Qualität."

Alexandra Lehmler: facettenreich

Das sollte man meinen. Zumal bei einem Festival, das sich als ein internationales versteht und sich einen Ruf weit über die Ländergrenzen hinaus erworben hat. Ein Blick in die Archive, vor allem aber ins diesjährige Programm, verblüfft einen dann aber doch: Man kann 2014 fast schon von einem regionalen Schwerpunkt sprechen. So ist etwa die Mannheimer Saxofonistin Alexandra Lehmler mit von der Partie, frisch gekürt zur Jazzpreisträgerin Baden-Württemberg. Lehmler, so die Jury, zeichne sich "durch die Farbigkeit ihres ausgereiften Spiels" aus.

Die Farbigkeit entsteht nicht zuletzt dadurch, dass Lehmler sowohl auf dem Sopran-, Bariton- wie dem Altsaxofon zu Hause ist und auf jedem der drei Instrumente äußerst facettenreich zu agieren versteht. Die Reife hat sie der Musikhochschule Mannheim zu verdanken, an der sie 2005 ihren Abschluss machte. Seither ist viel passiert: Weitere Studien schlossen sich an, Plattenaufnahmen mit ihrem Quartett und Quintett, eine rege Konzerttätigkeit. Jazz versteht Lehmler dabei durchaus als politische Musik – einige ihrer Titel evozieren Assoziationen, die den ästhetischen Rahmen weit überschreiten. Aber letztlich geht es um den Flow und den Groove – und den hat die Mittdreißigerin.

Freie Hand für Erwin Ditzner

Groove hat mit Sicherheit auch der "Altmeister" der hiesigen Szene: Erwin Ditzner. Seine Schlägel hatte er in den letzten 20 Jahren in so vielen Formationen im Spiel, dass man fürs Aufzählen eine Sonderseite bräuchte. Rainer Kern macht sich die Ditzner‘ sche Umtriebigkeit seit geraumer Weile zunutze: An einem Festivalabend darf sich der Schlagzeuger eine Band seiner Wahl zusammenstellen, um zu sehen, in welche abgedrehten musikalischen Umlaufbahnen man so abhebt.

Es ist ein Experiment: Absprachen werden vorab kaum getroffen, Proben gibt es schon zweimal nicht. Was passiert, passiert im Moment. Diesmal hat sich Ditzner seinen alten Weggefährten Sebastian Gramss am Bass und die Saxofonistin Ingrid Laubrock gewünscht.

Kirchenlieder mit Elektronik

Zu den regionalen Künstlern mit überregionaler Wirkung zählen des Weiteren der Trompeter Thomas Siffling und der Gitarrist Claus Boesser-Ferrari, seit Ewigkeiten treue Freunde des Festivals. Die beiden setzen 2014 ihre Zusammenarbeit fort. Vor Kurzem haben sie live vor ausgewähltem Publikum ihre neue Platte aufgenommen, und bei Enjoy Jazz gibt es die offizielle Premiere des neuen Sets: Volks- und Kirchenlieder aus fünf Jahrhunderten. "Wir präsentieren diese Lieder auf ganz eigene Weise", sagt Thomas Siffling, "in eigenwilliger Instrumentierung mit akustischer Gitarre und Trompete, gepaart mit elektronischen Erweiterungen und improvisatorischen Aspekten."

Eigenwillig ist das richtige Stichwort für die Vertonungen von Shakespeare-Sonetten, derer sich die Wahl-Heidelbergerin Caroll Vanwelden nun bereits zum zweiten Mal annimmt. Mit ihrer Band – Thomas Siffling ist hier wiederum mit von der Partie – spürt sie der Poesie der Gedichte mit zeitgenössischen musikalischen Mitteln nach. Die jahrhundertealten Texte werden so in die Gegenwart transponiert: Mit Vanwelden/Shakespeare hat sich ein kongeniales Songwriter-Paar gefunden.

Geballte Jazzkompetenz

Man sieht, die Jazzszene im Rhein-Neckar-Delta ist aufregend und wächst stetig. Eine Vielzahl von Musikern ist inzwischen hier beheimatet. Es gibt Labels, Musikhochschulen, Symposien, Festivals, die zu einer intensiveren Vernetzung beitragen, junge Talente fördern und Auftrittsmöglichkeiten bieten. So konnte durch Enjoy Jazz zum Beispiel eine große Bigband ins Leben gerufen werden, die sich aus Heidelberger, Mannheimer und Ludwigshafener Schülern zusammensetzt.

Seit 2012 ist die Vernetzung der Szene zudem in eine definierte Form gegossen: Damals gründeten Musiker und Aktivisten unter der Schirmherrschaft des Clustermanagements Musikwirtschaft Mannheim & Region die Jazz Alliance. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, "die geballte Jazzkompetenz" in Mannheim und der Region zu bündeln und zu präsentieren. Hinzu kam im vergangenen Jahr, auf Initiative von Enjoy Jazz, das Projekt "Enjoy Jazz – Export Office".

Zusammen mit der Jazz Alliance möchte das Festival eine Plattform zum Austausch für die in der Region beheimateten Musiker bieten – und zugleich Möglichkeiten aufzeigen, wie die lebendige Jazzszene über die Region hinaus wirken kann. Es tut sich also einiges. Neben den internationalen Stars, die Enjoy Jazz wieder im Programm hat, sind die regionalen Künstler massiv vertreten. Und das Tolle daran: Sie sind nicht beim Festival dabei, weil sie Local Heroes sind, sondern weil sie Größeres im Sinn haben, überall auftreten und gehört werden – und einfach gut sind.

Dieser Artikel ist dem Magazin "Die Festivals", einer gemeinsamem Broschüre der Festivalregion Rhein-Neckar entnommen. Das Magazin zu den Festivals und weitere Publikationen zur Metropolregion Rhein-Neckar können hier bestellt werden.

Enjoy Jazz 2014

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