© Ralf Mager

Ein kniffliges Bilderrätsel, leckere Kässpätzle und viel Input: Franziska Weber wirft einen persönlichen Blick auf die Kultur-Konferenz "Denkfest" in Bensheim, die sich der Kulturvision Rhein-Neckar widmete.

9.45 Uhr

Über einen grünen Rasenteppich betrete ich, Kulturmanagement-Studentin und Teilnehmerin des Nachwuchsjournalistenprogramms des Kulturbüros, das Bensheimer "AKG", Ort des Denkfests 2014. Es sieht genauso aus, wie ich mir ein Altes Kurfürstliches Gymnasium vorgestellt habe: wie Internate im Fernsehen. Passt zu dieser hübschen, kleinen Stadt.

Wir bleiben allerdings nicht im Altbau: Das Plenum befindet sich in der neuen, sporthallengroßen Hochglanzmensa, wo sich bereits zahlreiche Kulturschaffende und Mitdenker aus der Region zusammengefunden haben.

Schnell noch einen Kaffee, bevor es losgeht.

10.10 Uhr

"Und schwupp, schon sitzen wir", wie es der selbsternannte "Kulturpolitische Reporter" aus Wuppertal, Peter Grabowski, ausdrückt. Der Mann vom öffentlich-rechtlichen Hörfunk wird den "Nachdenktag" moderieren.

Grabowski erinnert sich ans gemeinsame Liedersingen seiner eigenen Schulzeit und dankt erst einmal "diesem guten Morgen" – allerdings ohne zu singen. Das will er den Anwesenden am frühen Morgen wohl lieber ersparen.

Die sollen nun auch gleich selbst aktiv werden. Grabowski dirigiert den murmelnden Denkfest-Chor, der nacheinander drei Kernbegriffe der Kulturvision Rhein-Neckar intoniert: Diversität, Kulturtourismus und Audience Development.

10.15 Uhr

Nun sind die obligatorischen Grußworte von Landrat Matthias Wilkes, Manfred Metzner, Sprecher des Netzwerks der Top-Festivals, und Kulturbüro-Leiter Thomas Kraus an der Reihe. Letzterer "kennt seine Pappenheimer" und bittet darum, die Kulturvision mit etwas Abstand von außen zu betrachten und eben nicht wie ein Familienbild von Onkel Hermann, auf dem man in erster Linie gut getroffen sein will.

10.40 Uhr

Grabowski stellt das Programm vor und jongliert dabei ziemlich oft mit Vokabular aus dem Schulalltag, das dem ein oder anderen so langsam auf die Nerven zu gehen scheint.

10.45 Uhr

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, betritt das Podium und beglückwünscht Bensheim erst einmal zu seinen schönen Schultoiletten. Auch der Zustand einer Schule, so meint er, gehöre letztendlich zur Kultur.

Wo er schon einmal dabei ist, gratuliert er gleich weiter: zum Programm des Denkfestes, zur Idee, das Denken zu feiern. Denn: Wer wage denn heutzutage noch Visionen? Angela Merkel jedenfalls nicht.

Das Freihandelsabkommen TTIP ist nach dem Grußwort von Manfred Metzner bereits zum zweiten Mal Thema am heutigen Tag. Zimmermann hat auf seinem Weg durch Bensheim vier Buchhandlungen entdeckt. Die könnten sich nicht halten, wenn TTIP käme, bedauert er. Eine Europäische Bürgerinitiative wolle ab dem 17. Oktober Unterschriften sammeln. Zimmermann ruft zur Mithilfe auf.

11.05 Uhr

Auf der Denkfest-Twitterwall, die es dieses Jahr zum ersten Mal gibt, erscheint zur Abwechslung mal ein kritischer Tweet: "ein müder O. Zimmermann"? Ich finde, es geht. Es gibt einige Grinser im Publikum, aber Zimmermann redet unbeeindruckt weiter – er kann die Twitterwall, die hinter seinem Rücken auf dem Podium steht, ja nicht sehen.

11.25 Uhr

Nach einer kurzen Pause, in der sich jeder von der Qualität der von Zimmermann so gelobten Jungen- und Mädchenklos überzeugen kann, geht es weiter.

Grabowski erklärt die Twitterwall, ermuntert zur Beteiligung und gibt das WLAN-Passwort preis. Darauf scheinen einige nur gewartet zu haben. Die Smartphones werden gezückt. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr.

11.30 Uhr

Jetzt erfahren wir also, was es mit dieser Kulturvision auf sich hat. Ich bin gespannt.

Weil der im Programm angekündigte Dr. Patrick S. Föhl krank im Bett liegt, übernimmt Alexandra Theobalt vom Kulturbüro den Kurzbericht zur bisherigen Arbeit. Mithilfe von Prezi, also Powerpoint in cool, erläutert sie Leitlinien und Themenfelder und weist am Ende darauf hin, dass die Kulturvision eben noch eine Baustelle sei.

11.45 Uhr

Es folgt das "Zirkeltraining für Kulturvisionäre": der von Graphic Recorder Matthias Schwert gestaltete Parcours zur Kulturvision Rhein-Neckar. Schwert hat die komplexen Zusammenhänge in sieben Grafiken festgehalten, die nun großformatig präsentiert werden. Bei Bedarf steht zusätzlich ein erklärender Experte zur Seite. Ich versuche erst einmal, mich alleine zurechtzufinden.

Weil wir ja nicht nur zuhören und hingucken, sondern auch mitdenken sollen, gibt es auch eine leere Leinwand für eigene Ideen, Anmerkungen oder Kritik. Ich habe dafür keine Zeit, denn der Graphic Recorder hat mir ein kniffliges Bilderrätsel gestellt: Irgendwo in dieser Grafik soll ein Xavier-Naidoo-Liedtext versteckt sein. Ich komme nicht drauf, aber die Dame neben mir kann helfen: "Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir zusammen." Na klar, 100 Punkte!

Auch ohne mein Zutun ist die leere Leinwand am Ende voll geworden. Es gibt viel Redebedarf und offene Fragen: Welche konkreten Strategien lassen sich aus der Vision entwickeln? Wie geht es jetzt weiter? Einer findet die Grafiken infantil und anstrengend. Andere freuen sich, weil sie die Herangehensweise spannend finden oder sogar selbst so arbeiten. Sehr verbreitet scheint der Wunsch nach einem ausformulierten Statement zu sein. Ein bisschen Geduld, bitte. Immerhin gibt es Merkzettel, damit man die Vision schön im Hinterkopf behält.

12.30 Uhr

Mittagessen im Freien. Die Kässpätzle sind eigentlich schwäbisch, aber trotzdem lecker, liegen allerdings schwer im Magen. An der einsetzenden Müdigkeit kann auch Kaffee diesmal nichts ändern.

Erkenntnisse in der Mittagspause: graphic recording ist nicht jedermanns Sache, der Moderator polarisiert, und was genau die Kulturvision ist, bleibt manchen ein Rätsel.

13.45 Uhr

Der Bensheimer Bürgermeister Thorsten Herrmann sagt kurz "Hallo", muss aber gleich wieder los – zur Feuerwehrübung.

14.00 Uhr

Die als "Verstärker" angekündigten Experten sind an der Reihe. Prof. Gernot Wolfram aus Berlin macht den Anfang und stellt erst einmal klar: "Eigentlich sind Sie die Experten, denn Sie arbeiten hier." Das Fazit seines Vortrags zum Thema Diversität: Man muss verbindende Themen identifizieren und Win-win-Kooperationen schaffen!

14.25 Uhr

"Wat soll dä Quatsch?" ist Hans-Helmut Schilds Einstiegsfrage für das Thema Kulturtourismus. Auch der Geschäftsführende Gesellschafter der Bonner projekt2508 Kultur- und Tourismusmarketing GmbH plädiert für Kooperationen, die für beide Parteien – in dem Fall Touristiker und Kulturschaffende – profitabel sind. Man solle sich aufs Wesentliche konzentrieren, meint er. Es bringe nichts, eine U-Bahn in New York mit Werbung zu bekleben. Solide sei manchmal eben besser als "hip".

14.45 Uhr

Prof. Dr. Klaus Siebenhaar von der FU Berlin beschäftigt sich mit Audience Development und sieht darin mehr als Kulturelle Bildung und Marketing. Zur Veranschaulichung hat er Beispiele aus aller Welt mitgebracht – von der Dresdner Bürgerbühne bis zum Times Square.

15.15 Uhr

Eigentlich reicht‘s für den Moment mit Input. Wo man hinsieht: müde Gesichter. Und Durst hab ich auch. Aber halt, nicht weglaufen! Es gibt noch eine Fragerunde.

16.00 Uhr

Ein Stück Kuchen auf die Hand, und los geht’s zum nächsten Programmpunkt. Thematisch passend gestaltete Pfeile im Graphic-Recording-Look weisen den Weg.

Bisher haben die Mitdenker gemurmelt, getwittert und Plakate bemalt. Jetzt darf – und soll – endlich diskutiert werden. In sieben Resonanzräumen finden moderierte Diskussionen zu den einzelnen Sparten (Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Film, Literatur, Museen und Schlösser, Musik) statt. Im siebten Zimmer, dem "weißen Raum", ist noch Platz für Ideen.

Ich bin im Physiksaal gelandet. Portraits von Marilyn Monroe und Charlie Chaplin lassen es schon vermuten: Hier geht’s um Film. Eine Dame beschwert sich, dass die Sitzreihen so eng sind. Ich bin von der Uni Schlimmeres gewohnt.

Wir beginnen mit einer Vorstellungsrunde. Man duzt sich. Ich hatte mich auf hitzige Diskussionen gefreut, aber es geht eher gemächlich zu.

17.35 Uhr

Grabowski hatte angekündigt, pünktlich um Viertel nach fünf anzufangen. Das schafft er nicht ganz. Ist aber nicht schlimm, weil die folgende Podiumsdiskussion sehr kurz ausfällt.

Dr. Yasmine Freigang aus Münster berichtet von der "Kulturagenda Westfalen-Lippe" und kann sogar schon konkrete Ergebnisse nennen. Ihr Rat an die Anwesenden: Nicht den Mut verlieren!

Thomas Kraus und Alexandra Theobalt stoßen dazu und sind sich einig: Die Kulturvision soll nicht in der Schublade liegen bleiben. Allerdings muss sie erst einmal durch die Gremien durch…

18.00 Uhr

Ein schöner und unerwartet pünktlicher Schluss: Thomas Kraus und Manfred Metzner bedanken sich beim Denkfest-Team und fallen sich in die Arme.

Ein langer Denkfest-Tag geht zu Ende – und unsere Schreibarbeit beginnt.

Franziska Weber hat teilgenommen am Nachwuchsjournalisten-Programm des Kulturbüros der Metropolregion Rhein-Neckar, das begleitend zum Denkfest stattgefunden hat. Dieser und weitere Artikel werden in einer schriftlichen Dokumentation veröffentlicht.