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Choreographische Werkstatt (Pressefoto, 2014) © Nationaltheater Mannheim

Mit Mut und Freude am Experimentieren machen sich die Ensemblemitglieder des Kevin O’Day Ballett Mannheim an die "Choreografische Werkstatt", die in diesem Jahr ihren 10. Geburtstag feiert. Unter dem Motto "Empty Space" präsentieren die Tänzer sieben Choreografien, die sich auf die tänzerische Bewegung an sich konzentrieren.

Kann man eine Ballettchoreografie ohne Musik machen – nur mit ein paar Tänzern und einer Bühne? Ja, tatsächlich: Man kann! Genauer gesagt: Luis Eduardo Sayago kann. Sein "A relaxing cup of café con leche" kommt mit vier Tänzern aus, die sieben Minuten lang den Raum erobern und dabei Energie generieren. Allein die Geräusche, die ihre Körper erzeugen, untermalen ihre Bewegungen akustisch.

"Leer" ist nicht gleich "leer"

Mutig und experimentierfreudig zeigen sich die sieben Choreografien von acht Tänzerinnen und Tänzern des Kevin O'Day Balletts in der aktuellen "Choreografischen Werkstatt", die am 24. Juli 2014 im Studio Werkhaus des Nationaltheaters Mannheim Uraufführung feierte. Als Choreographen beteiligt sind Zoulfia Choniiazowa / Davidson Jaconello, Maria Eugenia Fernandez, Julia Headley, David Kristof, Tyrel Larson, Katherina Nakui, Brian McNeal und Luis Eduardo Sayago.

Zum diesjährigen, zehnten Jubiläum steht der Abend erstmals unter einem gemeinsamen Motto: "Empty Space", inspiriert von dem Buch "Der leere Raum" (1968) des englischen Theaterregisseurs Peter Brook, dessen Vorträge und Schriften über modernes Theater bis heute viele Regisseure beeinflussen. Er schreibt: "Ein Mann geht durch einen Raum, während ein anderer zusieht" – mehr sei für eine Theaterhandlung nicht nötig. Sayago setzt dies direkt um – und begeistert das Publikum mit seiner reduzierten und dennoch humorvollen Choreografie, die überzeugend gesetanzt wird von Julia Headley, Katharaina Nakui, David Kristóf und Miguel González Muelas.

Musik braucht auch Maria Eugenie Fernández nicht: Sie lässt Tyrel Larson in "Rememmber how we forgot" zu dem gleichnamigen Gedicht von Shane Koyczan ein Solo tanzen. Man kann es freilich auch ganz anders machen, wie der Beitrag von Hitomi Kuhara zeigt, die ihr Stück "Sing a Song" selbst tanzt. Wie ein bunt gemusterter, zarter Vogel hüpft sie springlebendig und vor Energie strotzend zu den Klängen des Popsongs "Higher Ground" von Missy Elliot über die Bühne, bis sie sich im Gegenlicht der einsetzenden Discobeleuchtung zum Schatten verliert.

Ein Gedanke, zwei Tänzer

Julia Headley wiederum nimmt sich des Themas auf einer anderen Ebene an: Ein Gedanke, gedacht von zwei verschiedenen Menschen, erzeugt unterschiedliche Ergebnisse. Dafür findet sie in "One Thought, two Minds" schöne, passende Bewegungen. Und so tanzen Fernández und Julie Pecard oberflächlich betrachtet die gleichen, weichen Ausfallschritte und rudern synchron mit den Armen, als wären sie gebrochene Flügel – und doch bringen sie nicht das exakt Gleiche zum Ausdruck.

Dávid Kristóf indes treibt seine Tänzer (Jaconello und Muelas) in die Extreme. In seiner Choreografie "2" spielt er mit Gegensatzpaaren wie Licht und Dunkelheit, Sonne und Mond, schnell und langsam zu den elegischen Klaviertönen von Greg Haines ("With everything that breathes", "Spin"). Ein Duett entwickelt auch Katherina Nakui: Sie erforscht in "Two Ends" die Dynamik und Energie des Pas de Deux (getanzt von Kuhara und Larson).

Freiheit, Kontrolle – oder was?

Der Höhepunkt des Abends steht an seinem Ende: "Sync" von Zoulfia Choniiazowa und Davidson Jaconello. Fernández, Headley, Jaconello, Kristóf, McNeal und Sayago stehen im Dunkel. Spot auf Headley, die sich sehnsüchtig wie eine wachsende Pflanze dem Licht entgegenstreckt, während Sayago zum Geräusch einer fernen Detonation schlängelnd zusammenzuckt.

Die Musik (ebenfalls von Jaconello) verbreitet eine bedrohliche Atmosphäre und formiert sich phasenweise zu einem angriffslustigen Wespenschwarm. Mal laufen die sechs im Gleichschritt und heben gemeinsam die Hand zum Schwur, mal brechen Zwei aus und finden sich zum Paar zusammen.

Choniiazowa und Jaconello finden für das Ringen der Menschen um Freiheit und Kontrolle, zwischen sozialen Regeln einerseits und individuellen Wünschen andererseits, zwischen Angst und Macht überzeugende, unmittelbare Ausdrucksweisen und geradezu zwingende Bewegungen. Als Zuschauer gerät man in einen Bann, der erst mit dem Einsetzen der Dunkelheit aufgehoben wird.

Und die Bühne strahlt

Dass die leere Bühne ohne jegliches Bühnenbild und Requisiten auskommt und dabei keineswegs karg wirkt, ist maßgeblich der Beleuchtung von Damian Chmielarz, Ronny Bergmann und Björn Klaassen zu verdanken sowie dem raumfüllenden Sound von Erik Fillinger.

Ein Raum, Tänzer und Zuschauer genügen zwar zum "Theatermachen". Veredelt aber wird alles durch Ton und Licht, welches die einzelnen Beitrage zum Strahlen bringt.

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