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Ihre Texte sind düster und elegisch, ihr Sound dagegen explosiv und vorwärtstreibend. Das Musiker-Duo Phantogram überzeugte im Berliner Lido durch eine kontrastreiche Performance, zu der man tanzen oder sich verlieren konnte.

Ein Phantogramm ist im weitesten Sinne ein Trugbild. Eine optische Illusion, bei der ein zweidimensionales Bild durch seine anamorphotische Verzerrung dreidimensional erscheint. Dabei hängt es jedoch unmittelbar von der Perspektive und Position seines Betrachters ab.

Musik und Magie

Verändert dieser seinen Stand- und Blickpunkt, verschwindet der illusorische Effekt und das Bild bleibt flach. Bei Musik ist das anders. Zwar wird die Wahrnehmung der Klangtiefe ebenfalls durch die Position des Hörenden im Raum beeinflusst, doch die emotionale Erreichbarkeit unterliegt subjektiven Präferenzen, Stimmungen und der Bereitschaft zum Loslassen. Am Ende eines Konzerts hat folglich jeder etwas anderes gehört.

Phantogram ist trotz ihres irreführenden Namens keine Band, die sich auf die reine Suggestion von Tiefe verlässt. Aber sie beherrscht etwas, das mit den Begriffen Illusion und Täuschung eng verwandt ist: Das Erzeugen von Magie. Ihre Songs bestehen aus mehreren Soundlayern, die sorgfältig aufgeschichtet und abgetragen werden, sich in Dominanz und Regression immer wieder neu ordnen und somit einen Klangraum schaffen, der tatsächlich dreidimensional ist.

Knisternde Luft und schwarzer Regen

Stilistisch getragen wird der Sound von Sarah Barthel und Josh Carter durch Electropunk, Psychpop, Street Beat und Trip-Hop. Ungestüm, energetisch und doch in sich harmonierend prallen die einzelnen Songs ihres Auftritts im Berliner Lido aufeinander - so durchdringend und aus dem Vollen schöpfend, dass die Luft vor Euphorie zu knistern beginnt. Schon bei ihrem Auftaktsong "Nothing But Trouble" zerfällt die Melodie in unzählige Echos und bildet einen Effekt, den man vielleicht noch am ehesten mit dem Wort "airy" beschreiben könnte.

Derweil sind die Rollen der beiden Bandmitglieder von vornherein klar verteilt: Josh übernimmt den zurückhaltenden Part, vermeidet jegliche Kommunikation mit dem Publikum und überlässt den Großteil der Bühnenpräsenz seiner Kollegin. Die meiste Zeit ruhen alle Augenpaare auf Sarah, die sich elektrisiert dreht und windet, während ihr Haar wie schwarzer Regen vor und zurückpeitscht. Bemerkenswert bleibt dabei, dass ihre Stimme trotz ihrer physischen Verausgabung live sogar noch besser klingt.

Progression vs. Introspektion

Die Lyrics von Phantogram sind düster, schwermütig und bittersüß, ohne dabei in prätentiöse oder gar emoeske Larmoyanz abzugleiten. Ob "The Day You Died", "Don't Move" oder "Fall In Love" - sie alle handeln von Zurückweisung, emotionaler Ambivalenz oder sterbenden Gefühlen. Von Gedanken, die hier nun rein und unschuldig vorgetragen werden, befreit von ihrer immanenten Schwere, aber deshalb nicht minder ergreifend sind.

Der eigenwillige Mix aus progressiver Performance und introspektiven Texten spiegelt sich auch in den Reaktionen des Lido-Publikums. Immer wieder animieren Beat und Bass zur aktiven Bewegung, immer wieder verleiten leichtfüßige Melodien und melancholische Inhalte zur Paralyse und Trance. Einige Zuhörer schließen die Augen und wiegen verträumt ihren Kopf, einem unsichtbaren und hypnotischen Faden folgend, der zwischen Band und Publikum gesponnen scheint.

Das Ende der Magie

Bis Sarah und Josh nach "When I'm Small" ohne Vorwarnung die Bühne verlassen und das sorgsam geknüpfte Band unvermittelt abreißt. Ihre hellen Stimmen und dunklen Texte schweben noch für einen Augenblick in der Atmosphäre, verglühen dann jedoch allmählich und werden schließlich unter nervösem Trampeln und Füßescharren begraben. Phantogram kehren zurück, bedanken sich aufrichtig für die ihnen entgegengebrachte Anerkennung und spielen zwei letzte Songs.

Ermahnt durch die Flüchtigkeit der vorangegangenen Erfahrung gilt es nun, "Mouthful of Diamonds" und "Celebrating Nothing" festzuhalten und als magische Momente in die Nacht mitzunehmen. Draußen beugt sich der schwarze Himmel über eine Stadt, die mit künstlichem Licht gegen die Dunkelheit anzukämpfen versucht. Wer die Perspektive ändert und den Blick nach oben richtet, erkennt die Illusion.

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