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Die Uraufführung des Tanzstücks "Inseln" von Éric Trottier in Mannheim bietet eine faszinierende Dekonstruktion der Evolutionsgeschichte der Menschheit. Wenn da nur das Ende nicht wäre...

Eine karge Bühne, strukturiert von rund einem Dutzend Metallstäben, die senkrecht von der Decke zum Boden verlaufen. Spot an: Eine Frau (Michelle Cheung) tanzt, mit den Füßen fest im Boden verwurzelt, die immer gleichen Bewegungsfolgen, erst im Stakkato wie ein Roboter, später weicher.

Sie tanzt auf einer dreieckigen Insel aus Licht (Lichtdesign: Markus Becker). Drei Tänzer kriechen wie Würmer orientierungslos auf dem Boden um sie herum. "Das heutige Thema: Weiblichkeit – Fraulichkeit", intoniert eine Frauenstimme (Gisela Nohl) aus dem Off über einen pochenden Elektro-Rhythmus.

"Inseln" heißt das Tanzstück von Éric Trottier, das am 9. Mai 2014 im Theater Felina-Areal Mannheim uraufgeführt wurde. Trottier war viele Jahre Solist in der Ballettkompagnie am Nationaltheater unter Philippe Talard. 2011 hat er La Trottier Dance Company Mannheim gegründet.

Jeder auf seiner eigenen Insel

In androgyne, futuristisch anmutende Kostüme (von Melanie Riester) aus weißem und transparentem Plastik gehüllt tanzen neben Cheung Katharina Wiedenhofer, Lukáš Lepold und Tobias Weikamp die Evolutionsgeschichte der Menschheit.

Isoliert, in sich selbst gekehrt, tanzt jeder für sich auf einer Licht-Insel, während die anderen stolpernd, suchend und ziellos umher irren. Selbst beim Pas de Deux bleiben die Partner allein, tanzen synchron nebeneinander, ohne jede Kommunikation. Eine wirkliche Interaktion scheint nur in Form von Aggression möglich: Dann rempeln, schlagen, schupsen sich die Vier mal gewalttätig, mal balgend spaßig.

Getanzte Dekonstruktion

Unter allem liegt, bedrohlich lauernd, die minimalistische Musik von Jörg Ritzenhof, die oft bis auf das Rhythmusskelett reduziert ist. Mantrahaft wiederholt die Frauenstimme Satzfetzen: "Die Frau ist der irdische Beweis, dass Gott nicht existiert." Und: "Was ist ein Mensch? Was ist ein Mann? Was ist eine Frau?"

"Inseln" ist getanzte Dekonstruktion. Éric Trottier zitiert den Psychoanalytiker Jacques Lacan, den marxistischen Philosophen Alain Badiou und den Poststrukturalisten Slavoj Žižek. Er lässt seine vier virtuosen Tänzer die irrwitzigsten Bewegungen vollziehen. Sie fallen zu Boden, versuchen sich aufzurappeln, können kaum stehen auf ihren deformiert wirkenden Füßen. Der Mensch, er degeneriert hier mehr und mehr.

Fragen werden aufgeworfen

Dabei gelingt es Trottier mit seiner mutigen Choreografie, auf assoziative Weise Denkhorizonte in die verschiedensten Richtungen zu öffnen. "Als Choreograf bin ich nur dafür verantwortlich, Fragen zum Nachdenken zu stellen", erklärt er. Er habe, wie Lacan, eine Antwort, die die Frage formuliert.

Am Ende, nach gut einer Stunde voller faszinierendem Input für Auge und Gehirn, lässt der Choreograf Weikamp und Wiedenhofer mit E-Gitarre und Mikrofon den von ihm geschriebenen "Bird's Song" performen, in dem er noch einmal holzschnittartig in geraffter Form erklärt, wie das mit den Männern und den Frauen ist. Schade, dass Éric Trottier nicht auf die Ausdruckskraft des Tanzes und seiner bis dahin außergewöhnlichen Choreografie vertraut. Sie hat ein so plattes Ende weder nötig noch verdient.