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Uri Caine & Han Bennink (live in Heidelberg 2013) © Daniel Nagel

Der gemeinsame Auftritt des amerikanischen Pianisten Uri Caine und des niederländischen Schlagzeugers Han Bennink im Heidelberger Karlstorbahnhof sorgte für ein echtes Highlight bei Enjoy Jazz - und das obwohl die Paarung auf den ersten Blick ungewöhnlich anmutet.

Es ist das Aufeinandertreffen zweier sehr unterschiedlicher Musiker: Der amerikanische Pianist Uri Caine ist in vielen Genre zu Hause, hat sich aber vornehmlich einen Namen mit der Interpretation und Dekonstruktion klassischer Komponisten wie Gustav Mahler oder Richard Wagner gemacht hat. Sein Duettpartner ist der niederländische Schlagzeuger Han Bennink, einer der Granden des europäischen Free Jazz, der dessen Entwicklung seit den 1960er Jahren maßgeblich geprägt hat.

Aber so gegensätzlich wie man glauben könnte, ist die Paarung gar nicht, denn Caines Interesse an freier Musik ist gut bezeugt. Sein fokussiertes Auftreten unterscheidet sich dennoch sehr von Benninks anarchischem Schlagzeugspiel.

Chaotische Kreativität

Während Caine konzentriert auf die Tasten blickt und nur seinen Kopf erhebt, um Applaus für Bennink zu fordern, zieht Benninks wilder, ungezügelter Experimentiergeist naturgemäß die Blicke der Zuschauer auf sich.

Dafür sorgt nicht nur der harte, durchdringende Drumsound, der sogleich für sich beansprucht im Mittelpunkt zu stehen, sondern auch Benniks gewohnt chaotisch-kreative Herangehensweise. Es kann schon einmal vorkommen, dass ein Drumstick in hohem Bogen über Uri Caines Klavier fliegt und am Vorhang landet, der die Bühne begrenzt. Aber Bennik hat ausreichend Ersatz dabei.

Wie einst Rudi Carell

Bennink begnügt sich nicht mit konventionellem Schlagzeugspiel, er spielt auch auf einem Schlagzeugstock, den er in seinem Mund festhält, schlägt sein Drumkit im Stehen oder Vorübergehen, benutzt eine Rassel, oder den Boden als Spielfläche.

Dazu übernimmt Bennink die amüsanten Ansagen mit holländischem Akzent. Als ein Zuschauer aufsteht, um den Saal zu verlassen, fragt ihn Bennink: "Gehst Du?" und jeder (Bennink eingeschlossen) fühlt sich an Rudi Carell erinnert.

Exkursionen durch die Jazzgeschichte

Hinter seinem Klavier gibt Uri Caine ein weitaus konventionelleres Bild ab als der holländische Maniac. Der von seinem Gesicht tropfende Schweiß verrät allerdings, dass seine Musik nicht weniger fordernd ist. Caine vermag seine Töne in einem wilden Strom aus seinem Klavier herausfließen lassen oder perkussiv zu spielen, aber er sucht instinktiv die Nähe zu Melodien.

Es lohnt sich, Caines Musik in den Fokus zu nehmen, denn sie hält eine prächtige Vielfalt an Einfällen bereit. Caine begibt sich auf Exkursionen durch die Jazzgeschichte, streut Ragtime ein und verwendet  Motive der klassischen Musik. Bisweilen spielt er ein Fender Rhodes, das naturgemäß viel flächiger klingt, aber dennoch mit Benninks Schlagzeugspiel harmoniert.

Musik als Gemälde

Das ist sowieso der Schlüssel zum Erfolg des Abends: Obwohl Caine manchmal von Bennink übertönt zu werden droht, sorgt gerade diese Situation dafür, dass er sich mit vollem Einsatz behauptet und dadurch vielleicht zu Leistungen getrieben wird, die er in seiner sonstigen Musik nicht erbringen muss. Anders gesagt: vielleicht braucht Caine manchmal einen Antreiber, um nicht zu harmonisch oder gefällig zu werden. Bennink erfüllt diese Rolle meisterhaft.

"Es gibt in unserer Musik eigentlich keine Zugaben", sagt Bennink, "unsere Musik ist wie ein Gemälde". Wenn sie vorüber ist, dann ist eigentlich alles gesagt, könnte man ergänzen. Der Abend in Heidelberg war wild, ungezügelt, wirkte aber nie willkürlich oder ungeplant. Stattdessen dominierte die musikalische Leidenschaft zweier bemerkenswerter Musiker, die ein Gemälde von eindrucksvoller Kraft schufen. Das Publikum dankt es ihnen mit langanhaltendem Applaus.

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