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Melt!-Festival 2013 Impressionen © Robert Winter

Selbst der Sleepless-Floor dürfte mittlerweile verlassen sein und das Ferropolis-Gelände macht wieder mal einen Rückbau mit. Das Melt!-Festival 2013 hat seine Pforten seit gestern geschlossen und so langsam wird auch der letzte Besucher wieder in der Realität angekommen sein. Nachdem ihr bereits über die Highlights des Festivals lesen konntet, erfahrt ihr heute im Gespräch unserer beiden "embedded journalists", welchen subjektiven Eindruck sie vom Melt! 2013 hatten.

Sinus: Ok, Melt! 2013! Das war ja schon ganz schön heiß. Aber allemal besser als so eine Schlammschlacht wie 2008. Und ich bin immer wieder erstaunt, wie gut es sich doch zu manchem Akt auch im Hellen feiern lässt. Wobei ich ja ganz dankbar war, dass im Gegensatz zu Hurricane, Rock am Ring und Konsorten die ersten Gigs relativ spät am Abend starteten. Bei 30 Grad plus um 15 Uhr auf die ersten Highlights zu warten, das kann nicht gut fürs Gehirn sein.

Auf der anderen Seite kommt man eben auch nur schwer vor 6 Uhr morgens ins Zelt und hat entsprechend wenig Stunden auf der Schlafuhr, bevor der Planet das Schlafgemach in eine Bäckerstube verwandelt. Es sei denn, man gehört zur Upper Crust und kann sich eine Hotelsuite leisten, was?

Cosinus: Naja, "leisten" ist übertrieben, sagen wir es so: Manchmal muss man ein wenig Dekadenz leben. Und länger schlafen, ach was: Plane erst mal mal den ganzen Hin- und Rückweg zwischen Hotel und Gelände ein, die Weckfrau vom Hoteldienst und noch die Frühstückszeiten bis lediglich 13 Uhr - dann ist man vielleicht ausgeschlafen auf einem Festival wie dem Hurricane, aber beim Melt!, bei dem man erst gegen 9 Uhr ins Bett fällt – nein danke!

Aber klar, eine richtige Toilette, Dusche, Internetnutzung und ein reichhaltiges Frühstücksangebot, das könnte doch mal jedem Festivalbesucher als Service geboten werden. Ich bin jedenfalls dafür, dass ab sofort die Hotelübernachtung das neue Festivalcamping wird. Ich weiß, nun ziehe ich wahrscheinlich den ganzen Zorn der Campingjünger auf mich... Wie haben denn deine Nachbarn reagiert, als du ihnen von meinem dekadenten Lebenswandel erzählt hast? Oder haben die einfach 24 Stunden "sleepless" durchgefeiert?

Der Vergleich zu Früher

Sinus: Da gab es die seltsamsten Konstellationen. Die meisten folgten zwar dem normalen Festivalrhythmus, aber ein paar sind auch mal morgens um 7 Uhr aufgestanden, um sich ein Set auf dem Sleepless-Floor anzuschauen. Das war sowieso recht interessant, die verschiedenen Gruppen zu beobachten. Auch wenn insgesamt nicht an Glitzer und Verkleidungen gespart wurde und sowieso alles erlaubt war, um aufzufallen, gab es doch sehr unterschiedliche Besuchertypen.

Da waren natürlich die klassischen Indiefans, die bei Woodkid, Atoms For Peace, Daughter, Austra oder Babyshambles die entsprechenden Bühnen in ein wahres Besuchermeer verwandelten. Aber genauso vertreten war der dann doch sehr auffällig verschallerte Clubgänger, der beständig zwischen der Tanzhölle Sleepless-Floor und der Big Wheel Stage wechselte. Diesen "Drei Tage Wach"-Hit von vor ein paar Jahren hat sich der ein oder andere wohl doch zu sehr zu Herzen genommen.

Wobei ich, was das Line-Up angeht, dieses Jahr sowieso den Eindruck hatte, dass sich das Gleichgewicht sehr zugunsten von Techno und diesem The-XX-Beach-House-Enya-Seniorenheim-Pop verschoben hat. Mancher hat das ja gerne, aber ich fand es bei den vorherigen Ausgaben des Melt! immer recht reizvoll, dass auch mal was dabei war, was ein wenig aus der Reihe tanzte. Fucked Up 2010 zum Beispiel oder Dendemann im gleichen Jahr...

Feine Sahne Fischfilet

Cosinus: Aber skurrile Bands gab es doch auch dieses Jahr. Man musste nur genauer hinschauen. Wenn zum Beispiel Hans Unstern mit seinen unrhythmischen Gedicht-Texten nicht aus der Reihe fiel, wer dann? Oder hast du schon einmal eine Band erlebt, die sich Feine Sahne Fischfilet nennt? Und was ist mit Rummelsnuff, diesem comicartigen Popeye mit dem typischen Türsteher-Antlitz? Ich weiß nicht, ob man sich so eine Musik bzw. so einen Namen ohne Drogeneinfluss ausdenken kann.

Auf dem Gelände roch es sowieso sehr oft sehr, sehr süßlich. Mir soll mal jemand erzählen, man bleibt drei Tage ohne irgendwelche Aufputschmittel wach. Aber erstaunlicherweise soll Pete Doherty jetzt ja clean sein, er hat angeblich nur Wein getrunken. Ich hätte ja nicht gedacht, dass er pünktlich kommt und dann auch noch so ein netter Kerl auf der Bühne ist...

Nur diese ganzen Beutel, Rucksäcke und Taschen. Die hätten die Leute mal zuhause lassen oder wenigstens nicht damit tanzen sollen - haben einem ständig was ausgewischt. Die hätten besser an diesem Hipster-Cup-Wettbewerb teilnehmen und dort bleiben sollen. Weißt du, dass da Jutebeutel-Weitwurf stattfinden sollte? Wer sich so was ausdenkt...

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Fasching finden alle scheiße

Sinus: Ok, skurrile Sachen gab es schon, wobei für mich Hans Unstern oder Rummelsnuff eher unter Kleinkunst läuft, als unter Konzert im klassischen Sinne. Unstern gibt man sich ja eher wegen den Texten und dem Freakfaktor, was ja auch für Rummelsnuff gilt. Wobei das bei diesem Klischeematrosen wohl mehr an Sensations-Voyeurismus grenzt: Man kann nicht glauben, dass dieses Ding da auf der Bühne gerade wirklich passiert. Was das Publikum angeht, hab ich mich in der Tat auch öfter mal gefragt, was da los ist. Glitzer im Gesicht, Neon-Bodypaint, Federn im Haar, Kuscheltieranzüge, Borat-Badehosen und ein Elviskostüm, aber Fasching finden alle scheiße...

Vielleicht bahnt sich da das heidnische Erbe aus der jeweiligen Heimat seinen Weg vorbei an den selbst auferlegten Coolness-Schranken. Naja, bei so Feiergeschichten stand das Drumherum schon immer bald mehr im Mittelpunkt als die eigentlichen Konzerte. Bei ein paar Dingern ging es trotzdem heftig ab.

Siriusmo, Two Fingers und Flying Lotus haben die Massen schon hart zum Beben gebracht. Klar, Woodkid auch, was aber kein Wunder ist bei so einer minutiös durchgestylten Performance. Was hat dir denn den Boden unter den Füßen weggerissen? Jetzt mal von deinen heiß geliebten Babyshambles abgesehen.

Cosinus: Oja, Woodkid und Flying Lotus – die fand ich auch die Bombe. Wann hat man das letzte Mal Flying Lotus neben diesem ganzen Elektro so rappen gehört, wann ging der Bass so aufs Ohr? Vielleicht nur noch bei James Blake – wer kann vor allem aus solcher Entschleunigung so eine Begeisterung beim Publikum hervorrufen? Niemand! Oder Disclosure mit ihren vorproduzierten Soundschnipseln – da habe ich getanzt, als wäre ich in Ekstase und um mich herum auch gleich der ganze Mob vor der Bühne mit – meine Fresse, hat das Spaß gemacht.

Dagegen war ich von The Knife ja derbe enttäuscht. Playback und Cheerleader-Tänzer auf der Bühne, irgendwie passte da für mich nix zusammen, oder was denkst du dazu?

Ansonsten Atoms For Peace – diese Komplexität des Sounds und diese Triebkraft, die dieser Sound gemeinsam mit der fulminanten Light-Show und Fleas Affentanz entfaltet hat, hat für mich vor Glück aufschreien lassen. Nur: Thom Yorke, bitte schneide deinen Pferdeschwanz wieder ab – Danke! Aber wie ich hörte, hast du eine komplett andere Meinung von ihnen gehabt, oder?

Mäßig bis durchwachsen? Oder hat das Melt! einen Orden verdient?

Sinus: Naja, James Blake fand ich zum Einschlafen; Atoms For Peace ist auch nur die nächste Supergroup, die belanglos vor sich hin virtuosiert und Thoms Frisur interessiert mich noch weniger als Fleas Abgespacke. Bei The Knife geb ich Dir recht. Das war ne ganz miese Mischung aus Lord of the Dance und dem "Praise You"-Video von Fatboy Slim.

Otto von Schirach hat mich noch hart fertiggemacht, aber ansonsten fand ich das Melt! dieses Jahr mäßig bis durchwachsen. Es gab ein paar Highlights, aber ich hab mich auch viel gelangweilt. Wenn die Kulisse, das Wetter und der See nicht gewesen wären, hätte es eine One-Star-Review gegeben...

Cosinus: Ach was, One-Star-Review! Gegenüber anderen Kommerz-Festivals wie Rock am Ring oder Hurricane verdient das Melt! 2013 in Deutschland einen Orden. Klar, es hat nicht mehr diesen familiären Flair von früher und sicher hätte es dieses Jahr musikalisch noch ein bisschen mehr Abwechslung geben können, aber erstens lädt das Melt! nicht immer dieselben Bands ein, wie so manch ein anderes großes deutsches Festival.

Zweitens ist das Publikum für meinen Geschmack viel sympathischer und neben der Party mehr auf Musik und Tanzen fixiert.

Und drittens: Wo gibt es, um auf den Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen, bitte ein Festival, wo man durch die Running Order nicht schon mittags durch die Sonne gebraten wird und das Festival noch dazu drei Tage durchgängig läuft?

Sinus: Gut, mag sein, dass das Melt! schon ein paar Alleinstellungsmerkmale hat. Das Festival an sich will ich ja auch gar nicht kritisieren.

Mich haben eben nur sehr wenige der Konzerte vom Hocker gehauen, wobei die Schuld eher bei meinem Musikgeschmack zu suchen ist, denn bei den Bands oder dem Festival. Vielleicht lag es auch an meiner konstanten Nüchternheit, womit ich unter all den Individualisten wahrscheinlich das exotischste Gewächs war.

Hingehen lohnt sich schon, aber über ein bisschen mehr Farbe im Line-Up und ein bisschen weniger davon im Publikum würde ich mich nächstes Jahr schon freuen.

Und wie hat euch das Melt! 2013 gefallen?

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