Der Berlinale-Bär im Sony-Center am Potsdamer Platz. Fotostrecke starten

Der Berlinale-Bär im Sony-Center am Potsdamer Platz. © (c) Berlinale

Die Internationalen Filmfestspiele Berlin, besser bekannt als Berlinale, sind das größte Filmfestival der Welt. Jedes Jahr im Februar geht es aber nicht einzig um Stars und Sternchen oder Wettbewerbe und Preise. Ein geschäftiges Treiben findet abseits des roten Teppichs statt, wovon die Öffentlichkeit oft nur wenig mitbekommt.


Unser Autor Erdmann Lange ist Leiter und Programmgestalter der Mannheimer Filmkunsttheater Atlantis und Odeon. Für den europäischen Programmkinoverband CICAE war er mehrfach als Juror auf verschiedenen internationalen Filmfestivals tätig, u.a. in Hamburg, Sarajevo und Locarno.


Wenn Kamerateams, Pressefotografen und Kinofans derzeit Abend für Abend am roten Teppich vor dem Berlinale Palast am Potsdamer Platz in Berlin Aufstellung nehmen, dann ist es wieder soweit: Stars und Sternchen, Filmschaffende und solche, die es gerne werden möchten, werden auf ihrem Weg zu den Wettbewerbspremieren der 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin abgelichtet. Dies ist aber nur ein winziger, wenn auch sicher der publikumswirksamste Teil der Berlinale, des größten Filmfestival weltweit, was die Besucherzahlen angeht.

Mehr als ein kleiner goldener Bär

Denn der hauptsächlich wahrgenommene Wettbewerb, zu dem nationale und internationale Stars anreisen und in dem die berühmten goldenen und silbernen Bären vergeben werden, ist das Eine. Daneben aber gibt es eine große Zahl an Nebenreihen, in denen etwas abseitigere, oft aber durchaus mindestens ebenso interessante Filme oder Werke von Newcomern gezeigt werden.

Sei es das Kurzfilmfestival, die Branchenscreenings unter Ausschluss der allgemeinen Öffentlichkeit oder der gigantischen European Film Market "EFM", die Berlinale ist weit mehr als ein kleiner goldener Bär.

So bietet der "Co-Production Market" eine Plattform für alle, die fertige Filme oder auch nur Projektideen handeln wollen. Und auch wer Koproduktionspartner, Lizenznehmer, einen Verleih oder Fernsehsender sucht, kommt hierher.

Auch die Talks und Diskussionen zu allen möglichen filmrelevanten Themen bilden einen Schwerpunkt der Berlinale. Und schließlkich existiert eine umfangreiche Nachwuchsförderung, bei der junge Talente zum Festival eingeladen und dort von erfahrenen Mentoren gecoacht werden. Das Filmfestival war hier ein Vorreiter.

Vier oder fünf Filme am Tag

Wie bei jedem anderen Filmfestival darf man natürlich nicht den "sozialen" Aspekt des Festivals vergessen: So soll es Leute geben, die Jahr für Jahr die Berlinale besuchen, ohne je einen Film zu sehen. Dafür leeren sie aber jede Menge Gläser auf den zahlreichen offiziellen und inoffiziellen Empfängen und Partys, die immer schon ihren Teil zum "arm aber sexy"-Image Berlins beigetragen haben. Und das lange bevor der regierende Partylöwe Wowereit dieses Wort prägte.

Viele Fachbesucher kommen aber nicht hauptsächlich deswegen. Kinomacher und Programmgestalter wie unser Autor reisen nach Berlin, um für Filmkunstkinos Filme zu sichten oder eine Auswahl für das kommende Programm zu treffen. Sie kommen, um zu gewichten zwischen Sehenswertem und dem heimischen Kinopublikum eher nicht Zumutbarem. Und es muss abgewogen werden zwischen kommerziell Interessantem und künstlerisch Bedeutsamem.

Dabei ist nicht nur ein inhaltlicher, sondern auch räumlich-zeitlicher Spagat notwendig. Viele Bahn- oder Taxifahrten quer durch die Hauptstadt stehen an. Vier oder fünf Filme sieht man sich schon mal an pro Tag.

Dazu gehören aber dann nicht nur "Berlinale-Filme", sondern auch viele Werke, die von den Film-Verleihern im Rahmen von sogenannten "Tradeshows" gezeigt werden. Dabei geht es dann darum, den Kinomachern einen Eindruck zu bieten, was in den kommenden Monaten erscheinen wird.

weiterlesen: so sieht der typische Berlinale-Tag aus

Weiterlesen im 2. Teil ›

Teil 1  Teil 2  

Teil 1  Teil 2  

Ein typischer Berlinale-Tag

Ein typischer Berlinale-Tag kann daher früh morgens am Potsdamer Platz beginnen. Hier versucht man, Tickets für diejenigen öffentlichen Vorstellungen zu ergattern, die einen am meisten interessieren. Das kann aber durchaus nicht immer erfolgreich ausgehen.

Dann hetzt man mit seinem Kaffeebecher in den Berlinale-Palast zur ersten Pressevorstellung des Tages. Hier wird dann ein Vorab-Einblick in den Wettbewerbsfilm geboten, der abends an gleicher Stelle mit rotem Teppich und viel Bohei seine öffentliche Premiere haben wird. Per S-Bahn geht es anschließend zu den Kinos in den Hackeschen Höfen, wo Vorführungen von Filmen stattfinden, die alle demnächst in die deutschen Kinos kommen werden.

Darunter können durchaus Berlinale-Beiträge sein. Oft aber sind es auch völlig andere Werke, die vom Verleiher vorgestellt werden und über deren künstlerische Qualität, Marktchancen, Marketingkonzepte und Verleihstrategien man sich gemeinsam mit Kollegen ein Bild macht.

Kluge Verleiher hören danach auch gern die Meinungen von denen, die ihre Filme schließlich an den Mann und die Frau bringen müssen, den Kinomachern also. Dabei geht es dann um den gezeigten Film selbst, seinen angedachten deutschen Titel oder die Vermietungsstrategie. Ob die Verleiher diese Meinungen am Ende auch beherzigen, ist dann wieder eine andere Frage...

Abends wartet am typischen Berlinale-Tag noch der eine oder andere Film in geschichtsträchtigen Lichtspielhäusern wie dem Kino International an der Karl-Marx-Allee oder dem Delphi Filmpalast nahe dem Ku´damm. Aber auch die Multiplexe am Potsdamer Platz sind gut besucht.

Premierenparties für die Standhaften

Die dort gezeigten Filme kann man mal mehr, mal weniger genießen. Abschließend reicht es dann vielleicht noch für ein Bier mit Kollegen oder gar den Besuch einer Premierenparty für die ganz Standhaften. Für unseren Autor ist am Ende des Tages bzw. der Nacht dann wichtig und als Einschlaf-Ritual geradezu unabdingbar, zumindest in kurzen Stichworten schriftlich festzuhalten, was der Tag an Filmen und Eindrücken gebracht hat. 

Meist wird nach Ende des Festivalmarathons das Notierte schon auf der Heimfahrt im ICE noch einmal genau unter die Lupe genommen. Es wird sortiert und gewichtet, und das immer schon mit Bedacht. Welche Sonderveranstaltungen, Kooperationen mit regionalen Partnern, wirkungsvolle Events zu dem einen oder anderen Filmstart würden Spaß machen und Sinn ergeben?

Optimalerweise schlägt sich das Resultat dann in den folgenden Wochen und Monaten in einer hoffentlich stimmigen, spannenden und publikumswirksamen Programmgestaltung nieder. Die bildet dann auch hoffentlich einigermaßen das ab, was im Weltkino abseits der beliebigen Massenware aktuell vor sich geht.

Berlinale das ganze Jahr

So gesehen hat ein gutes Programmkino keinen geringeren Anspruch als den, das ganze Jahr über so etwas wie die Berlinale zu sein. Sehens- und bedenkenswerte Filme werden angeboten, die von gesellschaftlicher Relevanz sind. Nicht unwichtig ist auch die Ästhetik jenseits des Hollywood-Mainstreams.

Aber: Bei aller Kunstsinnigkeit und trotz des hohen qualitativen Anspruchs auch nicht an den Interessen des Publikums vorbei zu programmieren, ist dabei überlebenswichtig. 

Lust, privat ins Kino zu gehen hat man nach so viel Filmkunst-Input während der Berlinale dann zumindest in der Folgewoche nicht so richtig. Allzu lang hält das aber zum Glück nicht an, wenn man sich für bewegte Bilder begeistert und seinen Job mit Herzblut macht.

…und das Festivaljahr hat ja auch erst begonnen.

‹ Zum 1. Teil

Teil 1  Teil 2