Der Weg in die Grotte des Groove hat 46 Stufen. Die Räume des begehrtesten neuen Hamburger Clubs liegen tief unter der Erde. In den Bürgersteig am Anfang der Reeperbahn sind zwei riesige Betondeckel eingelassen und mit dem ikonischen "M“ verziert. Einmal hochgeklappt, verschlucken sie hunderte von Soulanhängern und spülen sie bis auf die Tanzfläche des Mojo Club.

Nichts soll von der Musik ablenken

Durch zwei erstaunlich massive Türen muss man noch, dann öffnet sich zur Linken der Saal: dunkel, beinahe höhlenartig, von unverputzten Betonwänden geprägt. Einzige Zierde: ein Mobile aus transparentem schwarzem Stoff. Von hier aus, dem ersten Rang, hat man einen guten Blick auf die Bühne, die groß genug für zwei Jazz-Quintette wäre, zu diesem Zeitpunkt der Samstagnacht aber nur eine Schar ständig wechselnder DJs beherbergt.

Eine weitere, gut versteckte Treppe hinab gelangt man auf den wogenden Dancefloor. Der Klang ist basslastig und warm, es gibt weder Leuchtreklamen noch grelle Lichtquellen, die Bars sind unauffällig in Nischen untergebracht. Nichts soll von der Musik ablenken.

Der Mojo Club ist eine Legende der Hamburger Nacht. Hier wurde, zumindest für Kontinentaleuropäer, der Begriff "Dancefloor Jazz" geprägt, ein Sound zwischen Soul, Funk, Jazz und einer Spur Elektronik. Weltstars wie Massive Attack oder Kruder & Dorfmeister hatten hier ihre ersten Deutschland-Auftritte.

Der Name "Mojo Club" wurde Synonym für tanzbare Retro-Sounds, ein Dancefloor Jazz-Sampler auf CD so erfolgreich, dass weitere 12 Ausgaben folgten. Auch "Chillout" war noch weitgehend unbekannt, bis Raphaël Marionneau es den Clubgängern Mitte der 90er Jahre mit seinem Café Abstrait beibrachte.

2003 war vorerst Schluss

Die längste Zeit residierte man in einer ehemaligen Bowlingbahn, bis das Gebäude Städteplanern wie Springer-Presse zu schmutzig für den aufstrebenden Standort Reeperbahn und seine explodierenden Mieten wurde und 2003 schließen musste. Doch der Mojo Club war längst zur weltweit bekannten Marke geworden, die die Hansestadt vortrefflich zu Zwecken der Imagepolierung nutzen konnte.

So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Neuauflage an gleicher Stelle eröffnete: ein lässiges Retro-Tanztheater für den eventrifizierten Kiez. Hamburg hat den Club an der prestigeträchtigen Adresse Reeperbahn 1 schmerzlich vermisst.

Vor allem für Livebands, die weder im winzigen Rahmen eines Jazzkellers noch in einer Halle für 1500 Zuschauer auftreten wollen, ist der Mojo Club erste Anlaufstelle. Im Bereich Soul/Funk/Jazz oftmals sogar die einzige.

Lange Schlange zur Wiedereröffnung

Gegen Mitternacht zieht sich die Schlange vor den Betondeckeln gefühlt einmal um die "Tanzenden Türme", dieses von Hadi Teherani verantwortete architektonische Armutszeugnis, in dessen Keller der Mojo Club von Anfang an eingeplant war. Die anstehenden Gäste nehmen’s trotz frostiger Temperaturen gelassen. Für wirklich gute Läden steht man in Hamburg selten an, da macht man für den Mojo gerne eine Ausnahme.

Es gibt hier keine Vorauswahl an der Tür, das Publikum ist mal jünger, mal älter, mal schicker, mal schlabberiger, und alle tanzen ausgelassen entspannt. Einige in Würde ergraute Veteranen sind darunter, die vermutlich schon bei der allerersten Eröffnung 1989 dabei waren.

Damals residierte der Club noch fernab der Sündenmeile im schicken Stadtteil Eppendorf – im Keller eines Schwimmbads. Längst ist der Anspruch der Mojo-Macher ein anderer: die räumliche Anmutung des Clubs erinnert an ein Theater. Und tatsächlich hat Mojo-Macher Leif Nüske verraten, dass ihm der Saal der Mailänder Scala als Inspiration diente.

Die vielen Rundungen, die Tanzfläche aus dunklem Holz und das gedämpfte Licht lassen beim Besucher gleich die Assoziation von "Zuhause" aufkommen. Der Mojo Club ist ein retrofuturistischer Mutterleib für die Seele der Tanzmusik.

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Als hätte es die dekadenlange Pause nie gegeben

Musikalisch ist es, als hätte es die dekadenlange Pause nie gegeben. A Love Supreme von John Coltrane, 2003 noch allerletzter Song, ist der erste Track auf der Eröffnungsparty. Rare Groove-Sounds aus Latin und Funkjazz folgen auf HipHop und Reggae.

Zwischendurch Überraschungsgäste: Alice Russell, britische Soulsängerin mit "Schon-jetzt-Legende"-Status im Alter von 37 Jahren, singt ihre Version von Seven Nation Army und der Hamburger Mojo-Veteran Sönke Düwer alias Ensemble du Verre trommelt live zu Laptop-Beats. Der wilde Stilmix ist der einzige Schwachpunkt des Abends: kaum hat man sich zu einem Sound eingegroovt, kommt schon der nächste DJ und wirft das ganze über den Haufen.

Der Ekstase tut das keinen Abbruch, die Tanzfläche ist auch morgens um 4 Uhr noch so voll wie die nahe liegenden Landungsbrücken am Hafengeburtstag.

Am Abend danach: Studnitzky und ADHD

Der darauf folgende Abend, es ist wärmer und nasser. Der Mojo Club ist zur Hälfte gefüllt, das erste richtige Livekonzert steht an (Fotogalerie). Auch ausgenüchtert und jenseits aller Party-Euphorie ist die Akustik des Clubs grandios.

Der Berliner Trompeter Sebastian Studnitzky versteht es, mit seinem Lounge-Jazz auf hohem Niveau zu langweilen, während das isländische Quartett ADHD die Besucher schnell aus der Sonntagabendslethargie reißt. Die bärtigen Isländer sehen aus wie Geographie-Lehrer, entsprechen aber so gar nicht dem gern beschworenen Klischee nordischer Melancholiker. Sie loten auf atemberaubende Weise die Grenzen von Jazz und Rock neu aus – ohne dabei in das oft von Muckertum geprägte Genre Jazzrock abzugleiten.

Die Mojo-Macher haben noch viel vor mit dem Club. Am Wochenende legen DJs auf, dazwischen immer wieder Konzerte. Als nächstes kommt mit Downbeat-Pionier Richard Dorfmeister ein alter Bekannter, am 23. Februar ist der französische Pop-Chansonnier Benjamin Biolay zu Gast. Ende März stellt der populäre New Yorker Sänger Adam Green sein neues Projekt an der Reeperbahn 1 vor.

Im Mojo Club Büro landen so viele Anfragen spielwilliger Bands, sie könnten wohl an sieben Tagen in der Woche Liveacts aufbieten. Der Mutterleib der Retro-Sounds, er wird noch viele lange Nächte die Tanzhungrigen aufnehmen.

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