Der gemeinsame Auftritt von Yusef Lateef und Archie Shepp ist Höhepunkt und Abschluss zugleich des diesjährigen Enjoy-Jazz-Festivals in der Metropolregion Rhein-Neckar. Das wie immer bei solchen Anlässen in lichtem Glanz erstrahlende Feierabendhaus in Ludwigshafen liefert den Ort für das Aufeinandertreffen nicht zweier, sondern fünf legendärer Musiker für ein Konzert, das es so noch niemals gab und aller Wahrscheinlichkeit auch niemals mehr geben wird.

Fünf legendäre Musiker

Fünf Musiker? Ja, denn neben Shepp und Lateef als Headlinern umfasst die eigens für diesen Anlass zusammengestellte Band auch Pianist Mulgrew Miller, Bassist Reggie Workman und Schlagzeuger Hamid Drake. Miller, Workman und Drake agieren ausgezeichnet als verlässliche, unaufdringliche Band, die dem Tenor- und Sopran-Saxophonisten Shepp und dem hauptsächlich Flöten spielenden Yuseef nicht nur eine solide, sondern eine inspirierende Basis liefert.

Die Band spielt Kompositionen von Lateef, Shepp und einige Standards. Lateefs Stücke sind sperrig und teilweise sehr abstrakt. Sie führen die Instrumentalisten in verschiedene, manchmal sogar widerstrebende Richtungen. Wer aufgrund eines Titels wie Listen With Your Heart mit einer herzerwärmenden Ballade rechnet, musste erleben, wie schwer diese Komposition (und der sehr ähnliche Opener) auf einer emotionalen Ebene zu erschließen war.

Shepps Kompositionen

Die von Shepp dominierten Stücke hingegen sind lebendig, vorwärtstreibend und weitaus flüssiger. Stärker als in der Vergangenheit setzt er sich mit dem musikalischen Erbe der Afro-Amerikaner in Form von Blues und Spirituals auseinander. Er beschwört deren afrikanische Wurzeln und das Erlebnis der Sklaverei, das ihm noch durch seine Großmutter vermittelt wurde (Mama Rose).

Darüber hinaus widmet Kompositionen seinen Töchtern (Un Petite Surprise Pour Mademoiselle, U-jaama) und spielt einen Song über einen in jugendlichem Alter in einer Straßenschlägerei getöteten Cousin (Steam). Shepp verbindet damit das Persönliche mit dem Politischen und versucht, von der persönlichen Betroffenheit zu abstrahieren, anders als Lateef, dessen Musik introspektiver erscheint.

Erhöhte Konzentration nach der Unterbrechung

Shepps Saxophon-Ton ist immer noch klar und kräftig, sein Spiel schlüssig und konsequent, aber seine Gesangsversuche hinterlassen einen eher zwiespältigen Eindruck.

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Kein besonders guter Sänger

Shepp ist wirklich kein besonders guter Sänger und zersingt Klassiker wie Don't Get Around Much Anymore. Wie wunderbar aber gerade die Balladen sein können, zeigt eine sehr intensive Interpretation von In A Sentimental Mood ohne Gesang.

Kurz danach sorgt ein Stromausfall auf der Bühne für eine längere Unterbrechung des Konzerts. Anstatt aber die Konzentration der Musiker zu beeinträchtigen, scheint die Pause die Band regelrecht zu beflügeln.

Der bis dahin gelegentlich ein wenig unbeteiligt wirkende Lateef übernimmt eine stärkere Rolle, spielt längere, strukturiertere Soli und singt sogar in Brother Hold Your Lying. Das tut mit erstaunlicher Leidenschaft und weitaus besserem Erfolg als Shepp, der diesem Stück mit etwas albern wirkenden "Revolution!"-Rufen einen etwas unglücklichen Abschluss bereitet.

Lebendig und abwechslungsreich

Insbesondere bei der Zugabe zeigt sich, dass sich Lateef und Shepp musikalisch nicht immer einig sind. Die Interpretation von Yesterdays ist eigentlich schon vorbei, als Shepp "das letzte Wort haben muss" (wie sich ein Besucher ausdrückt) und das eigentlich schon beendete Stück nochmal aufgreift. Es ist der Routine der Musiker zu danken, dass diese unerwartete Kehrtwendung nicht im Fiasko endet.

Solche kleineren Differenzen stehen aber einem beeindruckenden, ja beglückenden Konzerterlebnis nicht im Wege. Es beschränkt sich keineswegs auf die riesige Freude, diese legendären Musiker auf der Bühne zu erleben.

Stattdessen ist der Konzertabend unterhaltsam, lebendig und aufgrund der unterschiedlichen musikalischen Stile der Protagonisten auch erstaunlich abwechlsungsreich. Kein Wunder, dass die euphorischen Zuschauer sich von ihren Sitzen erheben, um die sichtlich gerührten Musiker zu feiern, die ihnen dieses einmalige Erlebnis bereitet haben.

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