Vijay Iyer spricht es unverblümt an. Der Titel der Konferenz "Lost In Diversity" ist leicht neben der Spur, denn das bedeutet eigentlich: "Verloren in der Vielfalt". Wer aber ist hier verloren, fragt Iyer: Er selbst? Der Jazz? Was ist eigentlich Jazz? Und wer will seine Musik freiwillig als Jazz bezeichnen?

Die überraschende Antwort: kaum jemand. Jedenfalls keiner der anwesenden amerikanischen Musiker: Vijay Iyer, Archie Shepp und Yusef Lateef. Alexander von Schlippenbach, einer der Pioniere des europäischen Free Jazz hat noch die wenigsten Hemmungen, sich zu dieser universell verbreiteten, aber offensichtlich ungeliebten Bezeichnung zu bekennen. Iyer, Shepp und Lateef lehnen es rundheraus ab.

Lateef: im Glauben würdevoll

Archie Shepp und Yusef Lateef – es ist eine Sensation, dass beide überhaupt an diesem Symposium teilnehmen, denn Lateef wurde am 9. Oktober 1920 in Chattanooga, Tennessee als William Emanuel Huddleston geboren. Im Alter von 92 Jahren wirkt der früh zum Islam konvertierte Musiker trotz seines Alters nicht gebrechlich, sondern würdevoll und erhaben.

Er trägt ein weites, fließendes Gewand, seine Frau ein Kopftuch. Aus Rücksicht auf seinen Glauben wird beim anschließenden Empfang kein Alkohol ausgeschenkt.

Lateef nennt seine Musik nicht Jazz, sondern "autophysio-psychic music". Das bedeutet Musik, die aus seinem die aus seiner physischen, geistigen, spirituellen und intellektuellen Personlichkeit entsteht. Er könnte auch sagen, dass er das Recht hat, seine Musik so zu nennen, wie er es will. Aber wie sollen andere sie nennen?

Shepp: Die Angst vor der Enteignung

"Black improvised music" oder "black classical music" sind Bezeichnungen, die diese Musiker lieber hören, denn immerhin wird Jazz auf diese Weise den kulturellen Errungenschaften afro-amerikanischer Kultur zugeordnet.

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Und das ist Shepp außerordentlich wichtig. Seine Sichtweise ist von der Furcht der Marginalisierung, ja der Enteignung der Afro-Amerikaner durch Weiße geprägt – und dem unbedingten Willen sie zu verhindern. 

Archie Shepp, der sich als Schüler von Yusef Lateef bezeichnet, wurde 1937 in Fort Lauderdale geboren und lebt heute mit seiner Lebensgefährtin Monette Berthomier in Paris.

Trotz dieser engen Verbindung zu Europa erklärt er, dass er lange Jahre Schwierigkeiten hatte, für europäische Zuschauer zu spielen, sich nicht so wohlfühlte wie vor amerikanischem Publikum, egal ob es aus Schwarzen oder Weißen bestand.

Zwei Überlebende

Man sollte Shepp diese offene Distanz nicht übelnehmen. Shepp und Lateef haben so viel geleistet in ihrem Leben, so viel durchlitten, so viel erlebt, dass es eine reine Freude ist, die beiden Musiker bei guter Gesundheit und klarem Verstand zu erleben.

Ihre Voträge vermitteln keine spektakulären Erkenntnisse, aber das wäre wohl etwas viel verlangt. Sie sind zu tief von einer Zeit tiefer Entrechtung geprägt, als dass sie jetzt im fortgeschrittenen Alter diese Eindrücke einfach hinter sich lassen könnten.

Im Anschluss an die Vorträge beantwortet Shepp zahlreiche Fragen aus dem Publikum, während Lateef schweigend daneben sitzt und würdevoll aussieht.

Was die beiden musikalisch zu sagen haben, werden Interessierte bei ihrem Konzert am 10. November im Ludwigshafener BASF-Feierabendhaus erleben.

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