Die Silfra-Spalte ist ein großer wassergefüllter Graben in Island, der durch das Auseinanderdriften der nordamerikanischen und der eurasischen Kontinentalplatte entstanden ist. Bis zu 63m tief ist die Spalte mit glasklarem Wasser angefüllt, das aus dem 50 km entfernten Langjökull, dem größten isländischen Gletscher, über Jahrzehnte durch poröses Vulkangestein wandert. Während dieser Zeit wird das Wasser bis aufs Letzte gefiltert und macht die Spalte so zum perfekten Tauchgebiet.

Hier war auch die amerikanische Violinistin Hilary Hahn tauchen, was am Ende der Zusammenarbeit mit dem deutschen Pianisten Hauschka seinen Titel gab. Das Album Silfra entstand nach zweijährigem Hin- und Her, Kennenlernen und Zusammenarbeiten in wenigen Tagen auf Island durch reine Improvisation. Es erschien im Frühjahr bei der Deutschen Grammophon, Hilary Hahns Hauslabel, und setzt damit eine experimentelle Linie fort, die das altehrwürdige Label mit Tori Amos begonnen hat.

Improvisation statt Bach

Ihr zweites und wohl auch letztes Deutschlandkonzert dieses Jahr gaben Hahn und Hauschka im Pfalzbau in Ludwigshafen. Sie stellten dort Silfra – wenn auch nur indirekt – vor. Denn es wäre übertrieben zu sagen, dass die beiden mit dem Album auf Tournee sind: vom Werk selbst wurde nichts direkt gespielt. Die Songs des Albums waren an diesem Abend, wie bereits auf allen ihren vorherigen Konzerten, maximal Grundlage einer knapp einstündigen Improvisation. Diese aber wusste zu überzeugen.

Dabei war das im Vorfeld schlecht abzusehen, denn Stimmen aus den USA, wo Hahn und Hauschka zuvor mehrmals aufgetreten waren, spalteten sich. Vor allem Fans von Hilary Hahn konnten das Konzept hinter dem Werk und besonders hinter den Live-Auftritten nicht verstehen. Dies ging sogar soweit, dass ein etwas aufgebrachter Fan mitten in einem Konzert des Duos von ihr verlangte, dass sie doch bitte ein Bach-Stück spielen solle, was Hahn aber ablehnte.

Hilary Hahn wilderte bereits in fremden Genres

Die Zusammenarbeit zwischen dem Experimentalmusiker Volker Bertelmann alias Hauschka, der John Cages Methode des präparierten Klaviers benutzt, und der gefeierten Violinisten Hahn, die unter Klassik-Freunden vergöttert wird, verlangte da viele Nerven von den eingefleischten Fans. Wer aber Hahns Werdegang bis dahin verfolgte hatte, musste die Zusammenarbeit mit Hauschka als einzig logische Konsequenz begreifen.

Hahn hatte bereits zuvor in fremden Genres gewildert und mit einigen Folk-Musikern und den Texanern von ...Trail of Dead kollaboriert (im sehr schönen, aber mit 1:26 Minute kurzen Song To Russia My Homeland spielt sie die Violine). Damals war sie aber noch ihren Wurzeln treu geblieben und verblieb in ihrem klassischen Kosmos.

Erst die Arbeit mit Hauschka brachte sie ab vom klassischen Spiel – sogar sehr weit…

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In einem Interview sprach Hahn davon, dass sie zu Beginn ihre Violine präparieren wollte, ähnlich wie beim präparierten Klavier ihres Konterparts. Das stellte sich aber schnell als Irrweg heraus, denn das Instrument klang einfach schrecklich. So ging Hahn dazu über verschiedene Spieltechniken zu nutzen. Aber auch Hauschka musste auf Hahn zugehen. Im Interview mit der taz sprach er davon, dass er sich gefühlt habe, als "ginge er über ein Minenfeld", weil er kein gelerner Musiker wie Hilary Hahn sei.

Hahn sorgte im Pfalzbau für die Erdung des Auftritts. Denn selbst ohne große Kenntnisse vom Violinenspiel (wie beim Autor dieser Zeilen) und trotz der ungewohnten Spielweise konnte man spüren, dass ihrem Spiel ein gewisser Zauber innewohnt. Auch ihr Auftreten stand im Gegensatz zum Auftreten Hauschkas.

Hahn sorgte für Erdung, Hauschka für Unterhaltung

Hahn hielt sich zurück, bedankte sich nur einmal kurz aber herzlich beim Publikum und ließ ansonsten ihr Instrument reden. Den Rest übernahm Hauschka, der eine kurze Einführung in die Entstehung und Hintergedanken zum Werk gab und auch sonst eher für die Unterhaltung sorgte.

Das geschah vor allem über sein präpariertes Klavier, das Hauschka – sehr planvoll, selten zufällig – mit verschiedenen Gegenständen anfüllte, um den Klang des Instruments zu verfremden. Ob es nun Tischtennisbälle waren (die teilweise im Klavier hin und her sprangen), Metallketten, Holzstäbe oder einfach nur Klebeband: zwischen jedem Lied sorgte allein seine Kleben, Stecken oder Klemmen am Klavier für Erheiterung im Publikum.

Über die Arbeit am Klavier und ihre Bedeutung

Bounce Bounce ist ein gutes Beispiel für einen Großteil des Konzerts im Pfalzbau. Der fast schon schlagzeugartige basslastige Klang von Hauschkas Klavier paart sich in dem Stück aus Silfra mit Hahns Staccato-Spiel.

Hauschkas Arbeit wirkte faszinierend und gab dem ganzen Auftritt eine zusätzliche Dimension, die sich allein über das Hören der Platte niemals so nachvollziehen ließe. Aber das optische Element war natürlich nicht der Hauptgrund, sondern ganz klar der Klang. Und wie sich dieser immer wieder verfremdete und in neue Dimensionen vorstieß, nur weil an einer Saite etwas Klebeband mehr hing, ließ die Zuhörer immer wieder erstaunen.

Da klang das Klavier plötzlich wie ein Schlagzeug, dann wie ein fernöstliches Saiteninstrument oder ein altes Keyboard. Aber auch elektronisch anmutende Klänge oder Anlehnungen an ein Cembalo konnte Hauschka problemlos umsetzen. Gepaart mit der Akustik im Saal des Pfalzbaus, in dem das Scheppern des Klaviers wunderschön zurückhallte, und Hahns virtuosem Spiel entstand eine besondere Atmosphäre, die Rufe nach Bach gar nicht erst aufkommen ließ.

Der Dank gilt nicht nur dem Publikum

Ganz im Gegenteil, das Publikum erarbeitete sich durch ausdauerndes Klatschen zwei Zugaben, von denen die erste sogar fast als normales Stück durchging, weil Hahn hier zum ersten Mal über volle Distanz an diesem Abend eine ganze Melodie spielte. Verlangt hätte danach zwar wohl kaum jemand, schön war es dennoch.

In ihrer kurzen Ansprache hatte Hilary Hahn dem Publikum zuvor dafür gedankt, dass es ein Teil dieses einzigarten Auftritts ist. Den Dank konnte man dem Duo nur zurückgeben.

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