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Massive Attack (live in Berlin, 2018) © Manuel Berger

Ohne neues Material, dafür mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch, machen Massive Attack Station in der Zitadelle Berlin. Ihre inspirierte Show beweist, dass ihre Musik auch 2018 noch immer frisch und relevant klingt - ob sie nun Trip-Hop heißt oder nicht.

Erst 2016 beehrten Massive Attack Deutschland im Rahmen der Tour zu ihrer letzten EP "Ritual Spirit". 2018 sind sie erneut für zwei Dates in Deutschland unterwegs – ohne neue Veröffentlichung, aber die ausverkauften Konzerte zeigen, dass das den Fans der legendären Gruppe wohl auch gar nicht so wichtig ist.

Softstart

In Scharen strömen die Fans in die Zitadelle nach Berlin-Spandau, Alt und Jung hält sich im Publikum annähernd die Waage. Eröffnet wird der Abend von dem Soul-Sänger Azekel, dem es mit seinem gefälligen, souligen R'n'B jedoch nicht so recht gelingt, das Publikum zu binden.

Auch die schottische Alternative Hip-Hop-Gruppe Young Fathers schafft es nicht vollständig, die Menge zu begeistern. Zwar animiert deren aggressive Kombination aus treibenden Beats und mehrstimmigem, abwechslungsreichem Gesang den ein oder anderen zum Tanzen, doch so richtig will auch hier der Funke nicht überspringen.

Mit Wumms

Massive Attack hingegen gelingt es schon mit den ersten Tönen des Openers, "Hymn of the Big Wheel" von ihrem Debut-Album "Blue Lines", das Publikum anzustacheln. Was auffällt, ist der deutlich aggressivere Sound, den die Band live an den Tag legt.

Die live von zwei Drummern gespielten Beats sorgen für viel mehr Druck, als das bei den Studioversionen der Fall ist. Auch die im Mix deutlich prominenteren Synthesizer und die mal staubtrockene, mal bis zum Anschlag verzerrte Gitarre wandeln den träumerischen Vibe vieler Songs in eine unmittelbare, körperliche Stimmung.

Einzig die von zahlreichen, wechselnden Sängern (u.a. Azekel und den Young Fathers) übernommenen Vocal-Parts transportieren, auch über den so wütend klingenden Instrumentals, ein wenig noch die harmonische Stimmung der Originale. 

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Die Aggression, die Massive Attack in ihren Stücken vermitteln, wird nicht zuletzt auch durch die spektakulären Visuals verstärkt, die hinter der Gruppe projiziert werden. So erscheinen hier immer wieder Schlagzeilen, die reißerisch Themen wie die Flüchtlingskrise, den Brexit oder Donald Trump aufgreifen und mit Boulevard-Berichterstattung über die aktuelle WM oder Promi-Skandale in Kontrast gesetzt werden.

Dazu gesellen sich ineinander verschwimmende Nationalflaggen und Logos großer Unternehmen, Foto- und Video-Dokumente von Flüchtlingen und direkt an das Publikum gerichtete Fragen ("Was ist der Sinn des Lebens?"), alles perfekt zur Musik synchronisiert.

So löblich das politische Bewusstsein auch sein mag, das Massive Attack an den Tag legen, so plakativ und aufdringlich sind die kritischen Botschaften teilweise. Es stellt sich außerdem die Frage, wie viele der komplett in der Musik versunkenen Fans diese Botschaften auch als solche wahrnehmen – und nicht nur als mit der hereinbrechenden Dunkelheit immer wirkungsvollere Lichtshow.

Isoliert

Die im Hintergrund der Bühne gigantisch wirkenden Visuals, gepaart mit der Lichtshow und den wohl ständig laufenden Nebelmaschinen, lassen die einzelnen Musiker von Massive Attack stellenweise komplett in diesem Spektakel verschwinden – umso mehr, als die Gruppe auch fast gar nicht mit dem Publikum interagiert. Störend wirkt das allerdings nicht.

Die Gruppe bietet an diesem Sommerabend einen breit gefächerten Auszug aus ihrer Diskographie, von "Blue Lines" über "Mezzanine" bis zu "Ritual Spirit", wodurch die zeitlose Klasse der Songs aufs Neue bestätigt wird. Im von der flackernden Lichtshow erhellten Halbdunkel der Zitadelle entsteht so ein einmaliges wie eindringliches Erlebnis.

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