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Peter Doherty (live in Frankfurt, 2017) © Leonard Kötters

In einer Zeit, in der Konzerte minutiös getaktet sind, bietet Peter Doherty in der Batschkapp Frankfurt das Gegenteil: Massive Verspätung, ein bizarrer Anruf, fliegende Bierbecher, eine chaotische Band und ein Konzert am Rande der Eskalation.

Am Ende sind wohl alle Beteiligten froh, dass die komplette Eskalation beim Konzert von Peter Doherty in der Frankfurter Batschkapp ausbleibt. Es gibt einen Moment kurz nach Mitternacht, an dem die Lage außer Kontrolle zu geraten droht.

Ein aus dem Publikum geworfener Bierbecher verfehlt Peter Doherty knapp am Kopf, halb aggressiv, halb spöttisch geht er erst verbal auf Konfrontationskurs, dann tritt er einen anderen Bierbecher mit voller Wucht ins Publikum, aus dem weitere Becher auf die Bühne fliegen. Wer weiß, wie es ausgegangen wäre, wenn die Beteiligten mehr Munition gehabt hätten oder nicht erschöpft gewesen wären von einem langen Abend des Wartens.

Musik gegen das Warten

Von Beginn an stehen die Zeichen nicht gut. Als der Einlass beginnt, will niemand die Frage beantworten, ob Peter Doherty schon in der Halle ist. Entsprechend schleppend beginnt der Abend mit einem Auftritt des jungen irischen Sängers Sion Hill.

Der gutaussehende junge Mann ist adrett gekleidet und verfügt über eine gute Stimme. Allein die Songs bleiben blass und auch die Interaktion mit dem zu diesem Zeitpunkt noch reichlich anwesenden Publikum gelingt nur in Ansätzen.

Auge in Auge mit dem Publikum

Nach einer langen Pause steht irgendwann nach halb zehn ein weiterer junger Mann auf der Bühne. Sein Name ist Jack Jones, er ist Gitarrist in Peter Dohertys Band und spielt in einer Band namens Trampolene. Er versucht die unruhigen Zuschauer mit einer Mischung aus Songs und Spoken Word-Performances zu unterhalten.

Das Publikum ist dankbar, dass etwas passiert, aber auch genervt, dass von Peter Doherty weiterhin nichts zu sehen ist. Rufe nach "Pete" werden laut, Unmut macht sich breit, ein Zuschauer nennt Jones' Gedichte "rubbish".

Jones pariert das mit typisch britischem Humor. Er beschließt, Peter Doherty von der Bühne aus auf dem Handy anzurufen – und der geht tatsächlich ans Telefon! Viel von dem Gespräch ist nicht zu verstehen, nur das Wort "schnell". Grund für ein wenig Hoffnung. 

Eine unmögliche Situation

Am Ende erhält Jones viel Applaus, weniger für seine Performance, sondern für seinen Mut, sich dem Publikum in einem Moment zu stellen, als dieses eigentlich gar nicht gewillt ist, jemanden anderes zu sehen als Peter Doherty.

Die nächste Umbaupause wirkt endlos. Viele im Publikum resignieren, verlassen die Halle, um nach Hause zu gehen. Bierbecher fliegen auf die Bühne, einer trifft einen Verstärker, der sich lautstark äußert. Das Publikum johlt. Andere liefern sich Diskussionen mit den Verantwortlichen. Alle sind sich einig: "Das geht nicht!" Aber was soll geschehen? Nur eine Person kann an der verfahrenen Situation etwas ändern. Dann um kurz nach elf die Nachricht: Peter Doherty ist da. Es soll gleich losgehen.

Die Wut sucht sich ein Ventil

Als Peter Doherty dann die Bühne betritt, sieht er aus wie jemand, der zu viel Tomatensaft mit Schuss getrunken hat. Vielleicht als versöhnende Geste an die verbliebenen Zuschauer beginnt er mit "Fuck Forever". Dann wirft er einen Mikrofonständer ins Publikum, der zum Glück niemanden verletzt. Stattdessen gelingt es ihm tatsächlich, einen Teil der Fans auf seine Seite zu ziehen. Es bildet sich ein Moshpit vor der Bühne. Klar, die Aggression nach stundenlangem Warten muss raus.

Andere entladen ihre Wut über den Abend, indem sie Bierbecher auf die Bühne werfen. Doherty fängt einen gekonnt aus der Luft – die Reflexe funktionieren noch. Weniger gut funktioniert seine chaotische Band, in der niemand den Eindruck macht, als wisse er, was er tun soll. Für einen unfreiwillig lustigen Moment sorgt Jack Jones, als er sein T-Shirt auszieht – und nach ein paar Songs wieder an. Das ist symptomatisch für einen Abend voller verpasster Einsätze.

Nicht heute, nicht hier

Zu viel Alkohol, zu wenig Rock'n'Roll – das ist das Problem des Konzerts. Das Solomaterial von Pete Doherty eignet sich nicht dafür, eine wilde Party zu feiern, viele Songs sind eher langsam und ruhig. Nach vier Songs und einer guten Version von "Albion" ist die Luft raus.

Es gibt genialische Momente, die andeuten, dass Doherty unter anderen Umständen ein brillantes Konzert hätte spielen können. Ein anderer Pete, mit anderer Band und anderen Songs. Vielleicht mit den Libertines, vielleicht mit den Babyshambles, aber nicht heute, nicht hier.

Wie soll es weitergehen?

Fast jedes Konzert in der heutigen Zeit ist von Anfang bis Ende durchgeplant. Selbst jungen Bands wird hochprofessionelles Auftreten abverlangt. Peter Doherty liefert dazu das unberechenbare, chaotische Gegenprogramm. Man könnte meinen, ein solcher Abend am Rande des Abgrunds sei eine willkommene Abwechslung vom Gewohnten.

Nur wenn man mitten im Geschehen ist, wirkt das alles gar nicht mehr so lustig. Ein Blick in die Gesichter derjenigen, die ausgeharrt haben oder ausharren mussten, verrät es: Der Abend hat Spuren hinterlassen. Wird Peter Doherty irgendwann realisieren, dass es so nicht weitergehen kann?

Setlist

Fuck Forever / The Steam / All at Sea / Albion / I Don't Love Anyone (But You're Not Just Anyone) / Kolly Kibber / The Whole World Is Our Playground / Oily Boker / The Travelling Tinker / Down for the Outing / Last of the English Roses / You're My Waterloo / Flags of the Old Regime / Killamangiro / Hell to Pay at the Gates of Heaven / Ride Into the Sun

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