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Little Steven im Hard Rock Cafe in Berlin (2019) © Britta Pedersen

Steven van Zandt ist Gitarrist in Bruce Springsteens E Street Band, aber auch ein erfolgreicher Solokünstler – und seit Jahrzehnten politisch engagiert. Wir sprachen mit ihm über Kreativität, Musikbusiness und warum sein neues Soloalbum nicht politisch ist.

Steven Van Zandt alias Little Steven befindet sich derzeit mit seinem brandneuen Soloalbum "Summer of Sorcery" auf Tour. Wir trafen den legendären Gitarristen im Hard Rock Cafe Berlin, wo er am Vorabend der Show im Berliner Huxleys ein DJ-Set zum Besten gab.

regioactive.de: Letztes Jahr hast Du Dich in einem Interview beklagt, wie sehr es dich frustriert, dich ständig um die Business-Seite kümmern zu müssen, anstatt einfach nur kreativ sein zu können. Hast du inzwischen eine Balance zwischen beiden Aspekten des Musikschaffens gefunden?

Steven Van Zandt: Nein, nicht wirklich. Für mich wäre es ausgeglichen, wenn meine Arbeit aus 5% Business und 95% kreativer Arbeit bestehen würde (lacht). Momentan ist es das Gegenteil, ich habe fast keine Zeit, um etwas Kreatives zu machen.

regioactive.de: Du hast dennoch ein Soloalbum veröffentlicht. Wie ist das zustandegekommen?

Steven Van Zandt: Das ist genau das, was ich meine: Es ist immer ein Kampf, ein Projekt erfolgreich abzuschließen. Ich hatte großes Glück mit meinem Plattenvertrag, weil der Geschäftsführer meines Labels Wicked Cool Records ein Fan ist. Ich habe angedeutet, dass ich darüber nachdenke, wieder ins Musikbusiness zurückzukommen und er sagte nur: "Ja, mach das! Was willst du haben?" Ich antwortete: "Ich sag dir die Wahrheit. Was ich wirklich will, ist ein physisches Produkt." Ich bin sehr traditionell, ich will Vinyl, ich will CDs, überall, auf der ganzen Welt. Das war es also, was ich bekommen habe. Das Label unterstützt mich wirklich gut. Wir drehten immer weiter auf. "Soulfire" erschien vor genau zwei Jahren und das dazugehörige Live-Projekt war groß – genauer gesagt Doppel-Blu Ray, eine DVD...

regioactive.de: Ja, eine Dreifach-CD.

Steven Van Zandt: Und dann noch eine Vinyl-Box mit sieben LPs, insgesamt vier Stunden Musik. Durch die Tour und die Arbeit an meiner eigenen Musik habe ich dann auf ganz natürliche Weise meine Ressourcen mobilisiert. Ich habe nicht versucht, die Kreativität zu erzwingen, sie ist einfach zu mir gekommen – und das ist großartig. Für mich ist das ein richtig großer künstlerischer Durchbruch. Es ist das erste Album, das ich gemacht habe, das nicht autobiografisch oder politisch ist.

regioactive.de: Redest du über "Soulfire" oder das neue Album "Summer of Sorcery"?

Steven Van Zandt: "Soulfire" repräsentierte den Übergang zum neuen Album. Ich habe "Soulfire" veröffentlicht, weil ich noch nicht bereit war, Songs für ein ganzes Album zu schreiben, Daher habe ich ein Album mit Covern von Liedern herausgebracht, die ich für andere Leute geschrieben habe. Das hat uns ermöglicht wieder auf Tour zu gehen, denn wir hatten eine Show, die ein bisschen meiner ganzen Lebensgeschichte und der Geschichte des Rock’n’Rolls gleicht. Das ist ja auch fast dieselbe Sache (lacht).

regioactive.de: Was gab es zuerst (lacht)?

Steven Van Zandt: Ich bin nicht so alt wie der Rock’n’Roll, aber es ist einigermaßen knapp. Jedenfalls war das eine sehr prägende Tour. Ich habe all meine Songs regelrecht aufgesogen und zudem haben wir dem Album live natürlich auch Elemente hinzugefügt. Als es dann an das neue Album ging, wollte ich kein autobiografisches Album mehr machen, weil ich schon genug über mich selbst gesagt habe.

regioactive.de: Du hast vorhin gesagt, das neue Album sei nicht politisch – warum eigentlich nicht?

Steven Van Zandt: In den 1980er Jahren musstest du wirklich über Politik reden, weil es sonst niemand gemacht hat. Monatelang sprach niemand über die Regierung, monatelang dachte niemand an sie. Jetzt dauert es keine fünf Minuten, oder? Damals hoffte ich zu zeigen, welche schlimmen Dinge die Regierung wirklich tat, zum Beispiel in Südafrika, aber auch an vielen anderen Orten. Heute gibt es keinen Grund mehr, etwas zu erklären, alles liegt offen zu Tage, rund um die Uhr.

regioactive.de: Und jetzt?

Steven Van Zandt: Jetzt besteht meine Aufgabe im absoluten Gegenteil. Ich ermögliche den Leuten, der Welt für die Dauer des Albums oder der Live-Show zu entkommen. Die Band ist wirklich so gut, sie bringt dich für zwei Stunden an einen ganz anderen Ort. Danach fühlst dich gestärkt: Ich nenne das spirituelle Nahrung, deine Batterien werden wieder aufgeladen. Wir befinden uns überall auf der Welt an solch einem dunkeln Ort, man muss ihr von Zeit zu Zeit entfliehen, sonst ist es komplett deprimierend. 

regioactive.de: Glaubst du, dass heutzutage politische Songs im Allgemeinen weniger einflussreich sind als sie früher waren? Wenn ja, warum?

Steven Van Zandt: Heute sind wir gesellschaftlich in viel stärkerer Weise gespalten. Es ist nicht so, dass jeder die gleiche Musik hört, daher können politische Songs nicht genauso effektiv sein wie früher. Aber es gibt eine wachsende Umweltbewegung, die sehr groß werden könnte. Ich weiß nicht, was genau passieren wird. Ich denke aber, dass wir auf eine Massenbewegung zur Rettung der Umwelt hinauslaufen.

regioactive.de: Du bist in diesem Punkt sehr optimistisch.

Steven Van Zandt: Ich bin gegenüber der Generation der Millenials sehr, sehr optimistisch, ich halte die Umweltbewegung für eine sehr positive Entwicklung und eine der wenigen positiven Dinge im Augenblick. Unsere Zivilisation geht auf eine Dunkelheit zu, die wir noch nie gesehen haben. Das ist auch der Grund, warum das Album sehr positiv und optimistisch ist. Im Großen und Ganzen zelebriert das Album den Sommer und die romantische Vorstellung des Lebens selbst. So kann ich am meisten bewegen, indem ich versuche, den Menschen ein bisschen Hoffnung in einer sehr dunklen Zeit zu machen.

regioactive.de: Glaubst du, dass heutige Rock’n’Roll-Musiker auf ähnliche Weise erfolgreich werden können, wie du es geworden bist?

Steven Van Zandt: Nein, nein, das funktioniert schon deshalb nicht, weil die Infrastruktur dafür nicht mehr existiert. Für uns war es schon schwierig, aber es gab eine Infrastruktur: Im Radio lief Rock’n’Roll, im Fernsehen lief Rock’n’Roll. Plattenfirmen unterstützten Tourneen finanziell, kannst du dir das vorstellen? Die haben dir 500.000 $ für eine Tournee gegeben. Wirklich. Wir haben das alles für selbstverständlich gehalten.

regioactive.de: Tatsächlich?

Steven Van Zandt: Ja, wir haben 250.000 $ erhalten, um ein Album zu machen, und das war noch nicht mal besonders viel. Heute produzieren Musiker für diese Menge Geld zehn oder sogar mehr Alben. Jedenfalls gibt es diese Infrastruktur nicht mehr, die Clubs funktionieren nicht mehr wie damals, es gibt keine Unterstützung des Radios oder Fernsehens – nichts. Mich wundert es, dass Musiker in Rock’n’Roll-Bands heute immer noch ihren Lebensunterhalt verdienen, deshalb will ich sie noch stärker unterstützen. In meiner Radio-Show und meinem ganzen Radio-Netzwerk spielen wir jede Woche neue Musik. Wir haben die Bands gezählt, die wir bislang gespielt haben, und in 17 Jahren haben wir mehr als 1000 neue Bands vorgestellt.

regioactive.de: Du hast mal gesagt, dass für dich als Gitarrist das Songwriting eines Musikers der wichtigste Bestandteil des ganzen Prozesses ist. Glaubst du, dass Musiker einen zu hohen Wert darauf legen, ihre Technik zu verbessern, anstatt sich auf das Songwriting zu konzentrieren?

Steven Van Zandt: Das ist weder richtig noch falsch, es ist ganz dir überlassen. Die Frage ist nur, ob du wirklich etwas machen kannst, was sonst noch niemand gehört hat. Ich habe bis 1970 alles gehört, was ich ich hören musste. Wirst du ernsthaft besser als Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jeff Beck oder Jimmy Page damals waren?

regioactive.de: Obwohl danach noch sehr guter Speed-Metal gekommen ist.

Steven Van Zandt: Verschiedene Dinge sind noch gekommen, die Van-Halen-Schule zum Beispiel, aber für mich ist sogar dieser Stil im Kontext eines Liedes am nützlichsten. Wie in dem Van Halen-Solo in "Jump" oder in "Beat It" von Michael Jackson.

regioactive.de: Funktionieren Soli im Kontext eines Songs besser?

Steven Van Zandt: Ich bin davon überzeugt, dass musikalisches Können so am besten eingesetzt werden kann. Ein zehnminütiges Solo interessiert mich nicht, weil ich es sowieso schon davor gehört habe. Der einzige, der mein Interesse für die Gitarre aufrechterhalten kann ist Jeff Beck, der für mich immer noch der Beste ist. Aber insgesamt kommt es auf die Lieder an, das musikalische Können sollte dem Lied dienen.

regioactive.de: Mit der nächsten Frage gehen wir noch weiter in der Zeit zurück. Als du der E-Street Band beigetreten bist war es ziemlich klar, dass "Born to Run" Springsteens Zukunft entscheiden würde. Wie bist du und die ganze Band mit dieser Art Druck und Erwartung umgegangen? Hast du es überhaupt als Druck empfunden?

Steven Van Zandt: Ich war ja gar nicht so richtig in der Band, also war es mir egal (lacht). Er hatte sieben Shows für eine Tour gebucht, ohne dass er wirklich wusste, wie die Platte ankommen würde. Das Lied "Born to Run" ist ein paar Monate davor herausgekommen und wurde in einigen Städten wie New York, Philadelphia oder Cleveland im Radio gespielt, aber es war kein Hit, wie die Leute heute glauben. Er hat mich also nur gebeten, bei diesen sieben Auftritten zu spielen.

regioactive.de: Und was ist dann passiert?

Steven Van Zandt: Ich war bereit die Stadt zu verlassen, weil ich nicht nur Bandmitglied bei den Jukes war, sondern sie auch gemanagt habe. Ich war der Bandleader, der an allen Songs gearbeitet hat und mit den Club-Besitzern gestritten hat. Ich habe gesagt: "Ich bin für ein paar Wochen weg". Und dann ist es einfach immer weiter gegangen. Ganz plötzlich ist Springsteen durchgestartet. Ursprünglich bin ich also für sieben Shows gegangen und für sieben Jahre geblieben.

regioactive.de: Du bist mit Bruce Springsteen schon ewig befreundet.

Steven Van Zandt: Länger als es uns lieb ist (lacht).

regioactive.de: Wie habt ihr diese Freundschaft mit all den beruflichen und persönlichen Hochs und Tiefs, die ihr bewältigen musstet, am Leben gehalten?

Steven Van Zandt: Wir haben uns sofort gut verstanden, weil wir die beiden Einzigen waren, für die Rock’n’Roll eine Religion war. Wir hatten beide keinen Plan B im Leben – das hatten wir gemeinsam. Für uns war Rock'n'Roll ein Lebensstil und das hat uns all die Jahre zusammengehalten.

regioactive.de: Vielen Dank für das Gespräch!

Little Steven live 2019

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