Fabian Burstein (Pressefoto 2016)

Fabian Burstein (Pressefoto 2016) © Stadt Ludwigshafen

Nach seiner Kündigung im Jahr 2015 als Leiter des Jugendkulturzentrums Forum hat es Fabian Burstein inzwischen nach Ludwigshafen verschlagen. Wir sprachen mit ihm über seine neue Aufgabe.

regioactive.de: Wie ging es für dich nach deiner Kündigung beim Kulturzentrum Forum in Mannheim 2015 weiter?

Fabian Burstein: Ich war in Lorsch als künstlerischer Leiter bei Matchbox, dem Festival der Metropolregion, und für das BASF-Kulturmanagement tätig. Im Frühjahr erschien mein neuer Roman "Rosa Glas". Am 1. Mai bin ich offiziell als Leiter des Kulturbüros der Stadt Ludwigshafen angetreten.

regioactive.de: Du hast demnach eine Doppelfunktion inne als Leiter des Kulturbüros und Chef des Kulturzentrums dasHaus?

Fabian Burstein: Nein. Die Rolle als Chef des Kulturzentrums gibt es in dieser Form nicht mehr, es gibt nur noch eine Gesamtleitung. Das Kulturzentrums dasHaus ist in das Kulturbüro gewandert und funktioniert dort als eines der Geschäftsfelder wie auch der Kultursommer oder das Internationale Straßentheaterfestival. Es geht darum, eine Durchlässigkeit in unserer Organisation zu schaffen.

regioactive.de: Wie bist du an diesen Job gekommen?

Fabian Burstein: Ganz klassisch. Ich habe gesehen, dass die Stelle ausgeschrieben ist und habe ob der sehr sinnvollen Zusammenlegung von Kulturbüro und Kulturzentrum dasHaus beschlossen, mich um diese Stelle zu bemühen, weil ich gemerkt habe, dass das für mich ein richtiger Schritt sein könnte.

regioactive.de: Du hast schon im letzten Interview angedeutet, dass du hier in der Gegend bleiben möchtest. Was zeichnet die Region für dich aus?

Fabian Burstein: In meiner Wahrnehmung ist es ein Ort, an dem man sehr unkompliziert Projekte verwirklichen kann. Das steht manchmal im Widerspruch zu dem, was die Leute hier über ihre eigene Region sagen. Ich finde es sehr gut, dass man unseren Plänen mit einer grundsätzlichen Offenheit begegnet. Es ist auch bemerkenswert, dass die Metropolregion gemessen an der Einwohnerzahl und der Größe ihrer Städte eine überproportionale Bedeutung hat. Das trifft auch auf Ludwigshafen zu, obwohl die kulturelle Bedeutung der Stadt oft negiert wird. Das sehe ich radikal anders.

regioactive.de: Wie genau siehst du die Bedeutung von Ludwigshafen in diesem Zusammenhang?

Fabian Burstein: Ich glaube, dass Ludwigshafen die Stadt ist, die am stärksten bei sich ist und über eine sehr realistische Selbsteinschätzung verfügt, auf der sie aufbauen will. Ludwigshafen ist nicht so schön wie Heidelberg oder so schick wie Mannheim, verfügt aber über eine Verdichtung von bedeutenden Kulturinstitutionen. Wir haben die Staatsphilharmonie, das Theater im Pfalzbau, dazu das Wilhelm-Hack-Museum, das einige der bedeutendsten zeitgenössischen Ausstellungen in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat. Das Internationale Straßentheaterfestival ist in seiner Exzellenz einzigartig in Süddeutschland. Mit dem BASF Kulturmanagement haben wir zudem einen Kulturakteur aus der Privatwirtschaft in der Stadt, der viel mehr ist als nur Sponsor. Nach einer bewussten Entscheidung unseres Dezernats sind nun sämtliche Aspekte der Kulturförderung in einer Organisationseinheit, dem Kulturbüro, gebündelt, was definitiv ein Alleinstellungsmerkmal ist.

regioactive.de: Welche konkreten Vorteile hat das?

Fabian Burstein: Man kann den Lebensrhythmus eines Publikums ganzheitlich wahrnehmen. Ich sehe den Zuschauer in all seinen Facetten und kann strategisch handeln, um etwas für ihn zu tun. Das Gleiche gilt für die Künstlerseite und die vielen Initiativen.

regioactive.de: Ludwigshafen vermittelt den Eindruck, ein wenig im Schatten von Mannheim zu stehen. Auch Leute, die im Kulturbusiness tätig sind, äußern sich so. Hast du das ebenfalls wahrgenommen?

Fabian Burstein: Ja, und das erstaunt mich. Ich gehe oft durch die Stadt und merke, dass an manchen Stellen das Selbstbewusstsein fehlt. Das ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit als Kulturbüro. Ludwigshafen ist nicht der "kleine Nachbar". Wir haben eine charismatische Identität, vergleichbar mit Städten wie Rotterdam oder Glasgow, die authentische, organisch gewachsene, Kulturmetropolen sind. Viele sehen Industrie oder ein raues ästhetisches Klima als Krücke, für mich handelt es sich um das Zepter unserer Positionierung.

regioactive.de: Demnach willst du in diese Richtung Akzente setzen?

Fabian Burstein: Ja, wir wollen keine der Metropolen der Region imitieren. Es geht auch nicht um kulturelle Stadtbehübschung. Wir wollen etwas bewegen, das ganz stark auf der offenen Working-Class-Identität von Ludwigshafen aufbaut. Ich denke, wir werden mit der Unaufgeregtheit der Stadt sehr gut umgehen können.

regioactive.de: Wie fiel das bisherige Feedback aus?

Fabian Burstein: Die erste Amtshandlung war ja die Organisation von Enjoy Jazz im Herbst. Da sind wir mit klaren Positionierungen herangegangen, was uns die Arbeit sehr erleichtert hat. Dadurch haben wir dank Rainer Kerns Expertise ein sehr starkes Programm für Ludwigshafen zusammenstellen können und dementsprechend positiv war auch das Feedback. Das gilt nicht nur für Größen wie Dave Holland und Jack DeJohnette. Unser Programm ist für mich eine Leistungsschau des Jazz, wie er sich in Zukunft gestalten wird.

regioactive.de: Du möchtest dich auch für die regionale Musikszene engagieren und hast dazu die Konzertreihe "Deltahelden" entwickelt. Wie kam es zu dieser Idee?

Fabian Burstein: Es ging um das ewige Thema, dass es hier in der Rhein-Neckar-Region zu wenige Auftrittsmöglichkeiten für regionale Acts gibt. Das betrifft nicht nur die Nachwuchsbands, sondern auch die arrivierte Musikszene. Wir versuchen das mit den Deltahelden zu ändern, indem wir in regelmäßigem Abstand regionale Künstler in das Kulturzentrum dasHaus nach Ludwigshafen einladen.

regioactive.de: Deltahelden soll die lokale Musikszene fördern, indem man ihr einen Auftrittsort bietet?

Fabian Burstein: Richtig. Ihr seht ja selbst bei Backstage PRO, wie groß der Bedarf dafür ist. Wir haben mehr als 200 Bewerbungen für jedes der ausgeschriebenen Konzerte. Das Schöne ist aber die Mischung aus etablierten Künstlern und jungen Bands bei Deltahelden. Wir wollten nicht den nächsten Newcomer-Contest schaffen, sondern eine Reihe für unsere musikalischen Helden.

regioactive.de: Wie definiert ihr den Begriff "Held" in diesem Zusammenhang?

Fabian Burstein: Das ist unterschiedlich. Für den einen ist ein Held jemand, der schon immer da war, für den anderen sind es zwei charismatische Jungs wie Cucuc. Die schreiben drei Songs und das reicht, dass ihnen die Elektronikszene in Süddeutschland nachrennt.

regioactive.de: Ihr habt vieles selbst ausgewählt, euch aber auch entschlossen, Bands über Backstage PRO zu suchen. Wieso?

Fabian Burstein: Egal um welche Musikrichtung es geht, Musiker beschweren sich, dass es gelernte Verbindungen gibt, die ausgespielt werden, wenn sich Chancen auftun. Uns im Kulturbüro der Stadt Ludwigshafen geht es um Objektivierung von Entscheidungen. Wir gehen sehr offen an die Sache heran und dazu gehört das Eingeständnis, dass man Dinge übersieht. Das muss man vermeiden und versuchen auch auf etwas zu stoßen, das man vorher nicht kannte.

regioactive.de: Die Auswahl an Bands ist durch die Popakademie und die Popförderung der Stadt Mannheim sehr groß.

Fabian Burstein: Genau. Aber gerade Ludwigshafen hatte mit Die Felsen eine der aufregendsten Deutschpop-Bands der letzten fünf Jahre. Tim Mayer hat außerdem ein neues Projekt und ihren ersten Delta Gig 2017 werden Gringo Mayer hier im Kulturzentrum dasHaus spielen. Auch daran sieht man den unterschiedlichen Heldenbegriff, denn als neue Band hat dieses Projekt noch nichts erreicht. Aufgrund der Qualität seiner vorherigen Band ist es für uns aber angebracht, Tim einen Deltahelden zu nennen.

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regioactive.de: Da in der regionalen Musikszene jeder jeden kennt, laufen viele Aktionen über Bekanntschaften ab. Ist das ein Punkt, den du kritisierst?

Fabian Burstein: Es ist ganz normal und das funktioniert in jeder Stadt so. Das möchte ich nicht werten, aber wir wollen uns in Ludwigshafen davon absetzen. Barbara Lahr beispielsweise haben wir kontaktiert, obwohl ich sie nie persönlich kennengelernt habe, aber als Künstlerin sehr schätze. Die Deltahelden sind frei von Seilschaften.

regioactive.de: Vor 10 bis 15 Jahren war das Kulturzentrum dasHaus noch eine Location, in der auch außerhalb von Festivals wie Enjoy Jazz größere und gute Konzerte stattfanden. Ich frage mich, ob das wegen der steigenden Gagen, die Ludwigshafen nicht bezahlen kann, stetig weniger geworden ist oder weil die Verantwortlichen vielleicht am Ende ihres Berufslebens standen. Wie möchtest du versuchen, neue Impulse zu setzen?

Fabian Burstein: Unser Team ist altersmäßig breit aufgestellt. Die jüngste Mitarbeiterin, die bei uns in Verantwortung steht, ist jetzt 28, der älteste ist Anfang 60. Diese Bandbreite ist programmatisch. Fakt ist, ich habe hier ein Haus vorgefunden, das in puncto Teamgeist, Organisation, Technik und Instandhaltung sehr gut aufgestellt ist. Wie mit der Nachhaltigkeit unserer Ausstattung umgegangen wurde, ist großartig. Wir waren dann sehr schnell mit Weichenstellungen, die das angesprochene Image korrigieren sollen.

regioactive.de: Welche Schritte habt ihr unternommen?

Fabian Burstein: Durch routinierte Mitarbeiter sind wir problemlos in das Popliterat-Segment hineingekommen. Wir haben Leute wie Max Goldt, Thomas Meinecke oder Axel Hacke, also große Namen, gebucht. Im Jazz-Bereich ist das ähnlich.

regioactive.de: Enjoy Jazz gab es ja immer, aber das normale Konzertprogramm ist sehr eingeschlafen.

Fabian Burstein: Wir sind optimistisch, dass wir im Frühjahr 2017 einige gute Bands präsentieren können. Wie andere Häuser werden wir bei Booking-Festivals vertreten sein und sind bereits in intensiven Gesprächen mit Agenturen über die Planungen 2017. Es ist bei Konzerten schwieriger als bei Darstellender Kunst oder literarischen Programmen. Aber auch Konzertagenturen sind gewillt, Ludwigshafen wieder stärker in ihre Überlegungen einzubeziehen.

regioactive.de: Könnte das Kulturzentrum dasHaus durch seine beiden Veranstaltungsräume mehr spannende Acts in die Rhein-Neckar-Region holen?

Fabian Burstein: Wir haben klare, strategische Pläne, wie wir unsere Räume einsetzen wollen, ohne jetzt im Detail zu verraten, wie sie aussehen. Aber es ist natürlich denkbar, gerade den Saal, in den 800 Leute passen, als Konzertlocation für den Pop- und Rockbereich stärker zu nutzen.

regioactive.de: Die Location ist auch sehr verkehrsgünstig gelegen, was ebenfalls ein Vorteil ist.

Fabian Burstein: Auch da bin ich optimistisch. Ich werde oft gefragt, wie die Mannheimer hierher kommen sollen. Nun, mit dem Fahrrad, mit der Straßenbahn, mit dem Auto.

regioactive.de: Da geht es wohl mehr um die Barriere im Kopf. Der gescheiterte Versuch von Ludwigshafen, eine Metropolstellung einzunehmen, ist bis heute das Problem der Stadt. Bieten sich jetzt neue Chancen, dass die Stadt sich neu erfindet oder steht sie unter enormem Druck?

Fabian Burstein: Ich sehe das nur positiv. Wir haben eine Ludwigshafener Konversion vor uns, auch wenn wir es nicht so aggressiv kommunizieren. Mit der Senkung der Hochstraße werden wir wunderbare Stadtgebiete gewinnen. Wir werden animieren und selbst Ideen beisteuern, wie man diese Konversion nutzen kann, um eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen.

regioactive.de: Ist das einer der Gründe, wieso du dich entschieden hast, in Ludwigshafen zu arbeiten und zu wirken?

Fabian Burstein: Ich werde häufig gefragt, wie man als Kulturschaffender aus Wien weggehen kann, um hierher zu kommen. Ich finde das nur schlüssig. Für mich ist es viel interessanter, sich Herausforderungen zu stellen, als sich in das gemachte Nest zu setzen. Darin liegt die wirkliche Leistung des Kulturschaffens und nicht darin, irgendwo hinzugehen, wo das Feld bestellt ist und man es nur noch abernten muss. Deshalb ist es für mich spannend und schön hier zu sein. Ich lebe ja auch in Ludwigshafen.

regioactive.de: Kann man sagen, dass es in Wien noch mehr veränderungsresistente Strukturen im Kulturleben gibt als in anderen Städten? Es macht den Eindruck, dass Wien sehr in sich ruht.

Fabian Burstein: Das ist eine schöne Beobachtung, es ruht in sich. Wo Wien unbestrittene Qualitäten hat, auch was Avantgarde betrifft, ist das Theater. Mir ist kein Ort untergekommen, wo so intensiv auf Weltniveau Theater gemacht wird. Ich muss aber eingestehen, dass die freie Szene im Delta der in Wien um nichts nachsteht. Damit spannende Dinge in einer Stadt entstehen, braucht man aber Akteure, wie sie heute nicht mehr nach Wien kommen. Ein tolles Beispiel ist Claus Peymann, der Wien auf eine substanzielle Art und Weise aufgemischt hat, die man sich als Außenstehender nicht vorstellen kann. Das war das Beste, was dieser Stadt passieren konnte und hat mich sehr geprägt, als ich jung war.

regioactive.de: Sind Provokation und Konfrontation auch Mittel für Ludwigshafen?

Fabian Burstein: Das muss so sein. Wo Kultur nicht konfrontativ ist, lässt sie einen wesentlichen Bestandteil ihrer Grundaufgabe weg. Auch wir werden darauf achten, dass wir nicht nur gefällig sind, sondern auch unbequem.

regioactive.de: Hast du den politischen Rückhalt hier als positiv empfunden?

Fabian Burstein: Sehr positiv. Ich befinde mich einer euphorischen Lage, weil im Dezernat und im Bereich Kultur eine sehr positive Stimmung herrscht. Damit meine ich aber nicht eine unkritische Stimmung. Ich muss Schritte, die wichtige Veränderungen bringen, genau argumentieren und das ist gut so. So entwickeln sich klare Vorstellungen, wie man die Stadt voranbringen will.

regioactive.de: Geht es darum die Kultur nicht als isolierte Szene, sondern als Teil der Stadtentwicklung zu begreifen?

Fabian Burstein: Genau. Wir wollen ein in alle Richtungen durchlässiges System schaffen.

regioactive.de: In der Vergangenheit hat sich der Eindruck aufgedrängt, dass die Resonanz der Ludwigshafener Bürger euphorischer hätte ausfallen können.

Fabian Burstein: Ich verstehe den Eindruck. Tatsächlich haben wir aber mit dem Ludwigshafener Kultursommer ein Festival, bei dem wir über neun Wochen beinahe jeden Abend eine Kulturveranstaltung haben, die aus der Bürgerschaft heraus entwickelt wurde. Das ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal der Ludwigshafener Zivilgesellschaft. Andere Metropolen müssten da Millionensummen hineinpumpen, um eine solche Bürgerbewegung in Gang zu setzen.

regioactive.de: Das ist also bereits ein Teil der Lösung?

Fabian Burstein: Ja, und auch ein Teil der kulturellen Historie. Ich muss hier nicht das Rad neu erfinden, um kulturelle Bürgerbeteiligung zu schaffen, die gibt es bereits. Man kann das schärfen, verbreitern und die Außenwirkung erhöhen. Aber da ist schon sehr viel Gutes passiert.

regioactive.de: Vielen Dank für das Interview!

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