Eric Carstensen (Strümpfe in Mannheim, 2014)

Eric Carstensen (Strümpfe in Mannheim, 2014) © Annika Breutmann

Dass die Strümpfe-Galerie ein einzigartiges Projekt ist, zeigt sich am kommenden Wochenende. Die etwas andere Galerie für Kunst bringt ihr erstes Sommerfest. Bei Musik von Schwefel (Kolk), über Sissip zu KK sings wird eventuell mit dem einen oder anderen weiteren Überraschungsgast zu rechnen sein. Kunst gibt es natürlich auch. Doch dass Kunst durchaus auch nebenbei volle Wirkung zeigen kann, beweist die Planung des Abends: Musik lauschen, die „beste Currywurst“ genießen und kickern – oder einfach den Abend bei einem Gläschen genießen und sich inspirieren lassen. Das ist wohl nur an einem Ort zu finden, an dem ein freier Geist wahrlich in allen Räume zu spüren ist.

Wir sprachen vor dem Sommerfest am 18. und 19. Juli mit Eric Carstensen, der 2009 zusammen mit Andreas Zidek im Jungbusch die Nachtgalerie Strümpfe gründete. 

"Musik, Kunst und Lebensgefühl"

regioactive.de: Am Freitag eröffnet euer erstes Sommerfest. Was wird die Besucher erwarten?

Eric Carstensen: Das Fest steht unter dem Motto Kunst, Kicker, Currywurst. Es werden Bilder aus unserem Fundus an regional und überregional bekannten Künstlern hängen. Aber das ist bei dieser Veranstaltung nicht der einzige Fokus. Für das Sommerfest kommt noch ein musikalisches Programm hinzu: Das sind vier Künstler, beziehungsweise Bands, die wir zeigen. Drei stehen schon fest. Der vierte wird voraussichtlich ein Überraschungsgast werden.

Am Freitag ist das vor allem die Release-Party von Schwefel. Der ja ein altbekannter Mannheimer Musiker ist und jetzt eine düstere, ja (überlegt) düster-melancholische Elektro-Platte mit dem Namen Kolk veröffentlicht hat. Und die wird am Freitag bei uns im Laden vorgestellt.

regioactive.de: Und wie passen düster-melancholische Stimmung und Kicker zusammen?

Eric Carstensen: Naja, es muss ja bei Kunst nicht immer lustig sein. Es kann ja durchaus auch mal 40 Minuten etwas nachdenklicher zugehen. Und wir haben ja an dem Tag auch noch Sissip. Sie ist zwar auch melancholisch, aber dann schon eher in die Pop-Richtung. Sissip ist eine sehr außergewöhnliche Musikerin, die ihre Instrumente, mit dem Studium von Jazz und Kontrabass, auch richtig gelernt hat. Sie hat eine ganz erstaunliche Art, frisch und unbekümmert als Singer-Songwriter aufzutreten.

"Wir machen die beste Currywurst"

regioactive.de: Was hat es mit der Currywurst auf sich?

Eric Carstensen: Currywurst gibt’s bei uns immer! Ich habe in Essen studiert und dann fährt man auch mal nach Bochum und da gibt’s die zweitbeste Currywurst.

regioactive.de: Und die beste hier?

Eric Carstensen: Natürlich (lacht)! Wir machen schon eine der besten Currywürste, die ich bisher selbst gegessen habe. Wir haben uns in Mannheim einen Metzger gesucht, der die Wurst so herstellt, wie wir uns das vorstellen. Dazu gibt’s eine von mir entworfene Currysoße. Und dazu noch ein Ciabatta von hier vom Italiener (Anmerk.: Jungbusch). Ja, und das zusammen schmeckt!

regioactive.de: Kommen da auch Leute nur wegen der Currywurst?

Eric Carstensen: Ja, das gibt’s auch.

"Keine White-Cube Kunst-Kultur"

regioactive.de: Ihr seid seit fünf Jahren mit Strümpfe aktiv. Jetzt werden am Wochenende auch einige Besucher zum ersten Mal bei euch vorbeischauen. Was macht das Projekt Strümpfe aus? Und was ist der Supper-Art-Club? Begegnungsstätte, Ausstellungsraum, Nachttreff?

Eric Carstensen: (lacht) Also wir nennen es Ort der Kommunikation. Wir mischen hier das zwanglose, zufällige Zusammentreffen mit Kunst. Es gibt auch mal Lesungen- oder Musikabende. Generell ist es das Prinzip von Strümpfe, einen Ort anzubieten, an dem man sich wohlfühlt! Und auch wenn man mit Kunst nichts zu tun hat, an die Kunst herangeführt wird. Wir haben zum Beispiel auch einen relativ hohen Anteil an Erstkäufern. Das können wir uns schon auf die Fahne schreiben. Dass Leute, die sonst nichts mit Kunst zu tun haben, bei einer Ausstellung ein Werk sehen und sagen, das muss ich jetzt haben!

Das Prinzip funktioniert auf Seiten der Künstler ganz ähnlich. Auch wenn es jetzt eigentlich alles Künstler sind, die schon einen Namen haben oder zumindest professionell als Künstler arbeiten, können sie Strümpfe auch als Experimentallabor sehen, zum Ausprobieren einer neuen Serie. Somit betreten auch die Künstler Neuland. Und das macht Strümpfe so spannend. Hier herrschen andere Voraussetzungen. Die Künstler sind es gewohnt einen White-Cube zu bespielen. Das gibt es hier nicht. Natürlich kommt dann schon auch mal die Frage, ob wir für eine Ausstellung das Sofa wegstellen können.

regioactive.de: Und das macht ihr nicht?

Eric Carstensen: Das machen wir aus Prinzip nicht. Wenn wir was umgestellt haben, dann mussten wir am Ende feststellen, dass wir uns nur im Kreis gedreht haben: Am Ende stand das Sofa wieder an seinem alten Platz. Erstaunlich ist, dass wenn die Werke dann mal hängen, es doch immer funktioniert. Und unsere Räumlichkeiten sind ja an sich sehr stark im Charakter. Der Künstler muss dann auch was aufhängen, was in dem Ambiente bestehen kann. Das ist in einem White-Cube natürlich einfacher. Hier gibt’s halt keinen Gegner außerhalb der weißen Wand. Ich meine, wenn ich jetzt hier alles mit Tageslicht ausstatten würde, dann würde es zum einen nicht mehr zum Raum passen und derjenige, der das Bild dann kauft, der hat ja auch zu Hause kein Tageslicht.

Im zweiten Teil: "Die neuen Gastronomie-Läden gehen im Jungbusch vollkommen an den Menschen vorbei"

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"Leben kann man von Strümpfe nicht"

regioactive.de: Bei all der Passion, die ihr in das Projekt legt, kann man davon auch leben?

Eric Carstensen: Nein! Es ist ein Auftrag, den wir uns selbst gestellt haben. Und wir bekommen eine städtische Unterstützung übers Kulturamt (Anmerk.: der Stadt Mannheim). So sind ein Teil der Miete und der Nebenkosten abgedeckt. Aber es ist halt auch nur ein Teil und den Rest versuchen wir dann über Getränkespenden reinzuholen. Das bedeutet natürlich auch, dass die Arbeit von Andreas und mir nie bezahlt ist. Aber was soll man tun? Jetzt haben wir’s angefangen, jetzt müssen wir’s halt machen.

regioactive.de: Obwohl es doch eigentlich super läuft für euch, oder? Ihr habt ein großes Publikum und stoßt auf viel Resonanz mit eurem Projekt.

Eric Carstensen: Ja, sicherlich. Wir haben ein tolles Publikum und eine tolle Resonanz. Wir haben allerdings auch nur sechs Mal im Monat geöffnet. Und davon läuft dann meist der erste Abend, der Eröffnungsabend, sehr gut. Über die Spenden finanziert man dann aber Getränke usw. für die nächsten Abende, an denen es ruhiger zugeht. Und daneben fallen natürlich auch andere Kosten an: Umbauten für die Ausstellungen usw. Hinzu kommt, dass wir ja auch nur einen Provisionsbetrag von 25 Prozent nehmen. Also so eine Galerie gibt es wahrscheinlich in Deutschland nicht noch einmal. Das ist dann quasi auch der Künstler-Support, den wir machen. Andreas und ich, wir haben aber auf der anderen Seite auch das Glück, dass wir mit unseren eigenen Sachen genug Geld verdienen. So können wir uns ein Projekt wie Strümpfe halt auch irgendwie leisten. Aber was wir bei Strümpfe machen ist nichts anderes als ein Ehrenamt.

"Die Stadt Mannheim unterstützt uns zum Glück. Aber es wäre auch wünschenswert, Gelder vom Land zu bekommen"

regioactive.de: Was macht Mannheim zu einem guten Standort für so ein Projekt und was eher nicht?

Eric Carstensen: Wir sind mit Strümpfe sicherlich ein Baustein in der Mannheimer Kunstszene. Und es hat sich in Mannheim viel getan in den letzten 15 Jahren. Wir werden auch was die Miete angeht von der Stadt unterstützt. Aber es muss auch geschaut werden, dass man diese Bausteine, die es in Mannheim gibt, und die sich daraus bildenden Netzwerke am Leben erhalten kann. Es ist klar, dass in einer Stadt wie Mannheim der Schwerpunkt Musik bereits da ist, aber auch ein Schwerpunkt bei Theater und Kunst liegen muss. Mit Zeitraumexit, Einraumhaus und KingKong ist für uns schon ein wichtiges Netzwerk entstanden, aber das muss natürlich auch noch präsenter und stärker werden. So dass man am Schluss vielleicht auch mal Gelder aus Stuttgart bekommen kann.

Es war ja auch eine große Leistung von Rolf Lauter (Anmerk.: ehemaliger Direktor der Kunsthalle Mannheim, später Kulturbeauftragter für Bildende Kunst der Stadt Mannheim), dass er als Erster eine inoffizielle Künstlerliste geschafften hat. Da waren dann 150 und mehr Künstler gelistet. Wenn man davor auf die Seite der Stadt Mannheim gegangen ist, da standen dann Leute, die sich Künstler nennen...

"Die neuen Gastronomie-Läden gehen an den Menschen vorbei"

regioactive.de: Seid ihr bewusst im Jungbusch mit Strümpfe oder könnt ihr euch auch vorstellen in ein anderes Viertel zu gehen?

Eric Carstensen: Nein. Jungbusch!

regioactive.de: Woher kommt diese deutliche Stellungnahme?

Eric Carstensen: Zum einen hatte ich mein erstes Atelier im Jungbusch. Das war das Hinterzimmer von Blau, damals noch Rheinfels. Dann habe ich noch in der Kneipe gearbeitet und (überlegt) irgendwie hat der Jungbusch halt was. Dass jetzt aber so viele Schickimicki-Läden in den Jungbusch gehen, sehe ich persönlich durchaus kritisch. Viele meinen, sie müssten jetzt im Jungbusch was eröffnen. Die ganzen Gastronomen haben ja meist schon was Erfolgreiches in der Innenstadt aufgebaut und kommen jetzt mit ähnlichen Konzepten in den Jungbusch.

regioactive.de: Und warum sind hier so Läden problematisch?

Eric Carstensen: Der Kontrast ist zu groß. Wenn drei Läden in einer Straße im Jungbusch eröffnen, dann ist das für die Leute, die hier wohnen, nicht ganz einfach. Der Jungbusch ist unter der Woche tot. Da ist nix mit Ausgehmeile. Da gibt’s dann eher die Probleme eines strukturschwachen Gebiets. Es gibt hier keinen Bäcker. Es gibt keine Apotheke. Es ist zwar ein eigener Stadtteil, aber diesem Stadtteil fehlt auch noch ganz viel an Struktur. Es gibt einen Italiener, da kann man einkaufen gehen und es gibt Imbisse, da kann man essen gehen. Und es gibt den Penny. Aber das war’s dann auch. Und ansonsten gibt es viele Migranten, die eingepfercht hier leben. Wo niemand genau weiß, wer vermietet das, wer kassiert da das Geld. Das sind Probleme, die interessieren die neuen Gastronomen hier im Viertel herzlich wenig.

Die wichtigen sozialen Probleme bekommen viele ja auch gar nicht mit. Die machen ihre Läden ja auch nur am Wochenende auf.

regioactive.de: Und wie sieht das bei dir aus?

Eric Carstensen: Ich bin halt jeden Tag hier. Ich habe hier meine Junkie- und Trinkerfreunde, die den ganzen Tag vornedran stehen. Ich lebe halt hier richtig. Manchmal gehe ich raus und sage, es ist zu laut oder so, oder schaue halt, dass klar ist, dass die Bierflaschen hier nicht rumstehen, oder die Spritzen rumliegen. Da versucht man halt so ein Arrangement zu finden, wie man das mit einem normalen Ton sagen kann. Und dann gibt’s da auch immer Situationen wo der ein oder andere dann anfängt zu reden. Job verloren, so ist es passiert und so was. So habe ich durchaus Kontakt.

Im dritten Teil: "Kickern macht vieles einfacher"

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"Einen autonomen Geist zu bewahren, ist wichtig"

regioactive.de: Du spielst ja auch in der Punk-Band Mondo Guzzi. Wie verbindet sich für dich Punk mit Kunst?

Eric Carstensen: Naja, wir nennen uns ja Supper-Art-Club. Club in dem Sinne, dass man sich zusammen trifft und was gemeinsam macht. Wir haben jetzt keine fest eingetragenen Mitglieder und sind auch kein klassischer Verein. Hier sind wir relativ autonom. Insofern sehen wir uns mit Strümpfe schon auch als Punk. Wobei die sich wohl nicht vom Kulturamt unterstützen lassen würden (lacht). Zumindest nicht die Jungen. Die Altpunks dann schon eher, die dann sagen, ja gut, das nehmen wir halt auch noch mit (schmunzelt).

regioactive.de: Wie wurde bei dir der Grundstein zum Künstler gelegt?

Eric Carstensen: Ich wusste eigentlich schon mit 14, dass ich Künstler werden will. Ich habe damals über meine Eltern einen Künstler aus Deidesheim kennen gelernt. Der war damals schon sehr alt und ist dann später mit, ich glaube, über 96 gestorben. Er war Bauhaus-Schüler, der noch mit Paul Klee studiert hat. Er war ein sehr guter Tusche-Zeichner. Bisschen Picasso-mäßige Züge, man hätte sagen können ein bisschen altbacken. Aber er war ja halt auch alt. Er hatte mal in Spanien eine Ausstellung, da ist er mit dem Auto hingefahren. Er hat sich einfach einen Anhänger geliehen und ist mit über 80 Jahren losgefahren. Die Unabhängigkeit, die er hatte, die hat mir imponiert. Klar, auch er war davon abhängig, dass jemand seine Bilder kauft, aber er blieb unabhängig im Geiste. Das fand ich sympathisch und das hat mich sicherlich auch irgendwo geprägt.

regioactive.de: Ist es als Künstler nicht auch schwierig unabhängig zu sein?

Eric Carstensen: Natürlich ist das schwierig. Es gibt immer auch Zeiten, in denen man mal nichts verkauft. Da darf man sich dann nicht zu schade sein, auch mal andere Jobs zu machen. Es wäre die schlimmste Vorstellung für mich, zum Amt zu gehen und sagen zu müssen, ich bin jetzt auf euch angewiesen. Ich war mir nie zu schade, auch andere Dinge zu machen. Ich habe auch während des Studiums Gurken gestopft bei Kühne.

"Kickern macht vieles einfacher"

regioacitve.de: Und gekickert wird auch?

Eric Carstensen: Ja, nicht umsonst steht in jedem Jugendzentrum ein Kicker. Die Leute mögen das. Die können dann auch bestimmte Aggressionen verarbeiten. Das ist gut. Und es mischen sich dann auch Künstler und Publikum. Das ist ein wesentlicher Grund, warum der Kicker hier steht. Natürlich auch weil ich selbst liebend gerne kicker. Aber es nimmt natürlich auch ein bisschen diese Ehrfurcht vor dem Künstler. Und auf der anderen Seite, dass der Künstler nicht nur über seine Arbeit definiert wird, sondern auch: ach guck, der spielt ja auch Kicker!

Es ist schon unser bestreben, dass die Hemmschwelle vor einem Künstler fällt. Und die Künstler andererseits auch einen Ort haben, an dem Kunst stattfindet, sie aber auch mal einen Abend haben, an dem sie vielleicht gar nicht über Kunst reden müssen.

Die Abläufe bei einer klassischen Vernissage sind ja auch immer die gleichen: Man geht hin, dann redet einer möglichst lange, die anderen stehen da und schielen zum Buffet und fragen sich, wann bekomme ich mal `nen Bier oder Wein oder Wasser, oder was zu essen? Irgendwann ist der fertig und dann stürzt man sich schnell drei Wein runter und versucht noch über Kunst zu reden. Bei uns ist der Künstler ja auch immer vor Ort. Aber Teil des Geschehens. Wenn man eine Frage hat, kann man ja jederzeit hingehen. Das ist viel informativer als das normale Geschnatter. Das hat man hier halt einfach nicht. Im Prinzip BlaBla-Verbot (lacht).

"Unser Auftrag ist noch lange nicht beendet"

regioactive.de: Was für Besucher erwartet ihr am Wochenende zum Sommerfest?

Eric Carstensen: Da wird sicherlich, wie bei uns üblich, ein sehr breites Publikum kommen. Zum einen natürlich unsere Strümpfe-Stammgäste, die mittlerweile schon einen fast familiären Bezug hierhin entwickelt haben. Das sind zum Teil Künstler, aber auch Nicht-Künstler. Daneben rechne ich mit einem hohen Anteil an Musikliebhabern. Und vielleicht auch einige, die das einfach mal interessiert, Strümpfe zu sehen.

Wir machen das zwar seit fünf Jahren, sind aber immer überrascht wie viele bei Ausstellungen hierher kommen und sagen, dass sie noch nie hier waren und die das dann total spannend finden. Da sehen wir, dass der Auftrag noch lange nicht beendet ist (lacht). Also, es kann noch weiter gehen! Es ist scheinbar noch Bedarf.  

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