Long Distance Calling (live in Hamburg, 2013) Fotostrecke starten

Long Distance Calling (live in Hamburg, 2013) © Zephira

Im Vorfeld des Hamburger Konzerts der Band Long Distance Calling am 2. März im Klubsen konnte unsere Fotografin Nina Schober den Bassisten Jan Hoffmann für ein Interview gewinnen. Aufgrund eines kleinen Kommunkationsproblems wusste niemand Bescheid, als wir mit unserem Interview-Wunsch vor der Tür standen. Aber das ließ sich ganz spontan regeln und Jan war für ein längeres Interview bereit.

regioactive.de: Großartig, dass du dir so spontan noch Zeit genommen hast!

Jan: Kein Problem. Heute ist es nicht stressig, gestern war es stressiger. Wir hatten eine Show in Münster, die wir selber veranstalteten. Da mussten wir uns mehr oder weniger um alles selbst kümmern.

regioactive.de: Die Show in Münster habt ihr selbst veranstaltet?

Jan: Ja, als lokaler Veranstalter. Das war aber einmalig, der Rest der Tour läuft über Agenten oder lokale Veranstalter.

"Wir sehen uns als atmosphärische Rockband"

regioactive.de: Eine ganz abgedroschene Frage zum Anfang, da es da draußen zwei oder drei Leute gibt, die euch immer noch nicht kennen: Wie würdest du euren Stil beschreiben?

Jan: Bisher haben wir uns immer als instrumentale Rockband bezeichnet. Das stimmt jetzt nicht mehr so ganz,  weil wir nun einen Sänger haben. Von außen wurden wir eher in die Post-Rock-Schiene eingeordnet. Das war uns aber egal, wir sehen uns als experimentelle Rockband. Sagen wir, am besten trifft wohl "atmosphärische Rockband" die Sache.

regioactive.de: Ihr wart anfangs eigentlich eher ein Spaßprojekt...

Jan: Genau, nämlich ein Nebenprojekt von Misery Speaks, einer Melodic-Deathmetal-Band aus Münster. Wir spielten alle in Hardcore- und Metal-Bands vor Long Distance Calling und hatten einfach mal Bock auf was anderes.

regioactive.de: Ihr kanntet euch vorher bereits?

Jan: Ja. Wir hatten alle Lust, musikalisch etwas anderes auszuprobieren. Das war aber überhaupt nicht als Band geplant. Wir hatten uns einfach ein paar mal zum gemeinsamen Jammen und Musikmachen getroffen, was sich dann verselbstständigte.

regioactive.de: Wie oft jammt oder "spaßprojektet" ihr jetzt noch pro Woche? Es ist ja längst kein Spaßprojekt mehr.

Jan: Mittlerweile ist es sogar ein Halbtagsjob, betrachtet man all die Sachen, um die man sich kümmern muss! Ansonsten proben wir sehr unterschiedlich. Es kommt da auf die Phase an. Im Rahmen der Vorproduktion vor den Studioaufnahmen sind es schon drei oder vier Proben in der Woche. Das ist dann aber schon recht viel. Ist die Platte fertig und die Tour steht an, proben wir davor zwei- oder dreimal irgendwie. Ansonsten, abgesehen von diesen Hochphasen, im Schnitt nur einmal pro Woche.

"Wir haben ohne Druck mit der nächsten Platte angefangen"

regioactive.de: Wo wir gerade bei Studioaufnahmen sind, wie sieht es denn da aus?

Jan: Wir haben ohne Druck und nur aus Spaß mit der nächsten Platte angefangen. Zwei halbe Songs stehen bereits und vielleicht schaffen wir es nach der Tour ein oder zwei Demos aufzunehmen. Wenn es die Zeit zulässt und man einmal 15 Minuten frei hat, probieren wir schon jetzt beim Soundcheck neue Sachen aus. Gestern hat der Soundcheck aber sehr sehr lange gedauert, weil es Probleme mit dem Keyboard gab, weswegen wir nichts machen konnten. Heute ging es dagegen sehr schnell, da konnten wir Sachen ausprobieren. Und wir haben ja noch 22 Tage Zeit.

regioactive.de: ... in denen viel passieren kann. Ihr musstet ja zwischendurch die Gitarre eines Supports reparieren...

Jan: Also langweilig wird einem nicht! *lacht*

regioactive.de: Ist euch auch schon mal so ein Gau passiert?

Jan: Bisher in der Tat noch nicht. In den Amps geht ab und zu mal eine Röhre kaputt, aber dafür haben wir ja einen Spezialisten: Dave (Jordan, Gitarrist der Band. Anm.d.Red.) repariert Amps und Gitarren hauptberuflich und kann daher auch ziemlich gut Amps und diesen Kram tunen. Auf der Tour von Katatonia konnte er denen erst einmal die ganzen Amps richtig einstellen! Er kennt sich einfach sehr gut aus, und da geht es um Frequenzen und Kleinigkeiten, die am Ende wirklich viel ausmachen.

Weiterlesen im 2. Teil ›

Teil 1  Teil 2  Teil 3  

Teil 1  Teil 2  Teil 3  

"Jeder macht etwas"

regioactive.de: Du bist dagegen eher so der Organisations-Typ.

Jan: Ja, was unser Equipment angeht, ist mir das total Wurst. An, Aus, fertig! *lacht*. Die Organisation ist mir dann schon wichtiger, das macht mir auch Spaß.

regioactive.de: Kümmerst nur du dich bei Long Distance Calling ums Organisatorische?

Jan: Nein, wir haben uns das aufgeteilt, jeder macht etwas. Flo (Füntmann, Gitarrist) kümmert sich komplett um das Merchandise und den Webshop. Dave ist dagegen der Techniktyp und wenn wir Demos aufnehmen, dann produzieren wir das bei ihm im Studio.

regioactive.de: Gehen wir mal etwas von euch weg und hin zum Geschäft. Was haltet ihr von Pay to Play, Bandbattle und all diesen Dingen?

Jan: Ich persönlich finde das grenzwertig. Ich kann aber verstehen, warum es das gibt. Für die Bands ist das natürlich auch eine gute Chance. Dass man das zwingend braucht, denke ich aber nicht. Es gibt sicher Ausnahmefälle, aber wenn eine Band richtig gut ist, klappt es auch ohne diese Sachen. Da bin ich mir ziemlich sicher.

"Von Anfang an auch sehr viel Glück gehabt"

regioactive.de: Ihr wart selbst lange eher ein Geheimtipp und auf einmal bekannt und erfolgreich. Wie kam das?

Jan: Ich habe keine Ahnung, uns hat das ja auch überrascht. Für eine Demo hatten wir vier Songs aufgenommen. Zum Spaß hatte ich die dann einfach mal an fünf Magazine geschickt, was dann bei der Visions und im Rock Hard direkt Demo des Monats wurde. Danach haben wir uns gesagt, dass wir noch fünf oder sechs Songs aufnehmen und daraus ein Album machen. Die Presse hat darauf ziemlich schnell "gezuckt", alles hat sich verselbstständigt... Und mit dem Touren hatten wir von Anfang an auch sehr viel Glück gehabt.

regioactive.de: ... als Support von Katatonia, Opeth, Anathema ... Wie seid ihr da rangekommen?

Jan: Oft waren es Kontakte oder stumpfes Anschreiben. Eigentlich eine Mischung aus beidem.

"Wir merkten, dass wir weitermachen wollten"

regioactive.de: Welche Tour war die beste?

Jan: Also, die anstrengendste und gleichzeitig die wichtigste Tour war sicherlich die mit Katatonia. Das waren fünfeinhalb anstrengende Wochen durch Europa, aber wir merken das heute noch auf den Shows, wo Leute mit Katatonia-Shirts auftauchen. Musikalisch hat das damals perfekt gepasst, sozusagen der Übergang von Kind zum Manne als Band. Finanziell war es dagegen ein großes Risiko. Wir durften als Support zwar mitspielen, mussten aber Hotel, Mietwagen und Sprit komplett selbst bezahlen. Das hat dann aber echt gut funktioniert, wir verdienten mit der Tour erstaunlicherweise sogar Geld. Das war der Zeitpunkt, an dem wir merkten, dass wir weitermachen wollten. Jetzt haben wir bereits das vierte Album innerhalb von sechs Jahren Long Distance Calling.

regioactive.de: Gibt es noch Kontakt zu den Leuten, mit denen ihr auf Tour wart?

Jan: Ja klar! Ich schreibe immer noch mit Drew Roulette, dem Bassisten von Dredg. Das war auch eine gute Tour für uns und eine andere als mit Katatonia. Wir haben immer sehr unterschiedliche Touren gespielt.

regioactive.de: Ihr habt auch nie klassische Postrocktouren gemacht.

Jan: Bis auf eine, ja. Ansonsten haben wir das von Anfang an vermieden. Das Genre ist sehr klein und man fährt sich schnell fest. Im Postrock kann man schnell "groß" werden, kommt dann aber nie wieder raus. Da spielten wir dann lieber Indie-, Rock-, und Metal-Touren, als aus genresicht eher naheliegende Sachen. Ich glaube, dass sich das auszahlt, wenn man immer wieder ein unterschiedliches Publikum hat. Daher haben wir auf der einen Seite Metalsachen gemacht mit Bands wie Anathema, Katatonia oder Opeth, auf der anderen Seite dann Tourneen mit Bands wie Dredg oder 65 Days of Static.

regioactive.de: Trotzdem habt ihr euren eigenen Stil aufgebaut, der sich mit dem neuen Album auch etwas ändert. Euer "größter Fan" lässt euch mit den Worten grüßen: "Die sollen bloß nicht anfangen zu Singen!"

Jan: *lacht* Zu spät!

‹ Zum 1. Teil Weiterlesen im 3. Teil ›

Teil 1  Teil 2  Teil 3  

Teil 1  Teil 2  Teil 3  

"Die Stimme ist nur ein zusätzliches Element"

regioactive.de: Gibt es eine Möglichkeit, ihn zu trösten?

Jan: Er soll sich einfach die Platte anhören! Das großteilige Feedback zu "The Flood Inside" ist bisher, dass das klingt, als hätten wir das schon immer so gemacht. Es sind ja auch immer noch lange Instrumentalteile da, die Stimme nur ein zusätzliches Element. Sozusagen ein weiteres Instrument, nicht mehr.

regioactive.de: Was inspiriert euren Sänger Marsen Fischer oder gab es da irgendwelche Vorgaben vom Rest der Band?

Jan: Also für die Texte haben wir ihm keine Vorgaben gemacht, abgesehen vom Albumtitel "The Flood inside". Hier geht es uns um das ganze Spektrum der Emotionen, die jeden Tag durch uns durchfließen. Marsen hat dann sehr persönliche Texte geschrieben, die gut zu diesem Titel passen. Und so haben wir das schon immer gemacht, auch bei den alten Alben: der Sänger bekam den Song ohne jegliche Vorgabe und konnte dann Text, Gesangslinien und auch den Titel selbst gestalten. Das setzt natürlich großes Vertrauen voraus, aber es ist auch spannend. Und bisher haben wir immer Glück gehabt und haben nie "Sch...." zurück gekriegt. *lacht*

regioactive.de: Ihr habt auch immer sehr gute Sänger an Bord!

Jan: Wir achten darauf, dass es auch Leute sind, die zum einen natürlich Profis sind und die wir zum anderen musikalisch auch selbst abfeiern. Alte Jugendhelden und solche Sachen. Es ist immer noch völlig surreal, dass wir auf der letzten Platte den Sänger von Anthrax hatten. Echt verrückt!

regioactive.de: Wie lange bastelt ihr an so einem Song?

Jan: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Songs, die sind in zwei Proben fertig. Dann gibt es wiederum Songs, die ein halbes Jahr brauchen. Da wird dann noch einmal alles umgeschmissen und umarrangiert, plötzlich kommt noch eine Kleinigkeit dazu oder das ganze Stück wird einen Monat auf Eis gelegt.

regioactive.de: Bei eurem ersten Album wart ihr nicht einmal vier Tage im Studio...

Jan: ... weil wir uns nicht mehr leisten konnten. *lacht*

regioactive.de: Das hat sich sicherlich geändert. Wie lange wart ihr jetzt im studio?

Jan: Drei Wochen. Davon haben wir aber "nur" eine woche lang aufgenommen, da wir soviel wie möglich live einspielen wollten. Eine weitere Woche haben komplett verballert für... keine Ahnung! Wir hatten zehn Gitarren dabei und fast zehn Amps und Boxen und mussten für jeden Part den perfekten Sound finden. Das hat gedauert. Die letzte Woche ging für das Mischen drauf.

"Man muss die perfekte Gitarre und den perfekten Amp finden"

regioactive.de: Heißt das, dass eure Songs mit dem Equipment wachsen?

Jan: Das sind nochmal die fünf bis zehn Prozent mehr, die es meiner Meinung nach ausmachen. Wenn du einen ganz warmen atmosphärischen Part hast, dann klingt das einfach nicht mit einem Metalsound. Da muss man die perfekte Gitarre und den perfekten Amp finden.

regioactive.de: Habt ihr das jetzt alles auch auf der Tour dabei, sozusagen im extra Amp- und Gitarrentransporter?

Jan: Nein, das kann man über Effektgeräte simulieren und live hört man den unterschied eh nicht so besonders. Auf nem Album aber, wenn du das mit Kopfhörern hörst, ist der Unterschied schon extrem. Ein 70er-Jahre-Part klingt mit einer echten Stratocaster und einem alten Amp aus der Zeit zehnmal geiler als mit einem heutigen Hightech-Amp. Die harten Parts klingen dann mit dem Hightech-Amp natürlich wiederum viel besser.

regioactive.de: Und Vinyl oder CD macht da auch nochmal einen Unterschied für euch und eure Fans?

Jan: Ja schon. Ich persönlich bin meistens zu faul für Vinyl, aber für uns als Band ist es sehr wichtig. Und unseren Fans auch: Wir verkaufen fast ein Drittel aller Alben auf Vinyl. Das ganze Artwork ist da auch schöner und der Sound wärmer. Wir haben auch die Vinylversion auch immer seperat mastern lassen. Bei der letzten Platte machte das der Typ aus Berlin, der sich auch für Rammstein darum kümmert.

regioactive.de: Wenn ihr da solche Soundperfektionisten seid, wie sieht es mit euren Instrumenten aus: Habt ihr das Spielen ganz klassisch gelernt?

Jan: Also ich bin komplett Autodidakt. Dave und Janosch (Rathmer, Schlagzeuger) sind dagegen mehr oder weniger klassisch ausgebildet. Unser Sänger Marsen ist ausgebildeter Pianist. Er kann aber eigentlich alles spielen, ob Gitarre, Keyboard oder Hammond-Orgel.

regioactive.de: Verändert das den Stil?

Jan: Nein, das ist relativ subtil. Es ist alles noch ein wenig lebendiger und dynamischer dadurch.

regioactive.de: Wir sind sehr gespannt und bedanken uns ganz herzlich für die Zeit, die du dir genommen hast!

Long Distance Calling – Konzerttermine

‹ Zum 2. Teil

Teil 1  Teil 2  Teil 3  

Alles zum Thema:

long distance calling