HIGH TECH ZIRKA 1990: VIELES VON DAMALS WIRKT HEUTE VÖLLIG VERALTET. DENNOCH WAREN DIE 90ER EIN WEGWEISENDES JAHRZEHNT, DAS BIS HEUTE NACHWIRKT

HIGH TECH ZIRKA 1990: VIELES VON DAMALS WIRKT HEUTE VÖLLIG VERALTET. DENNOCH WAREN DIE 90ER EIN WEGWEISENDES JAHRZEHNT, DAS BIS HEUTE NACHWIRKT © stock.adobe.com © katafree

Es mag auf manchen verstörend wirken, aber die 1990er sind mittlerweile schon seit einem Vierteljahrhundert passé. Ein Jahrzehnt, das so viel mehr war als bloß das letzte vor der großen Millenniums-Sause. Ein Jahrzehnt voller ikonischer Trends, Musik und Erlebnisse, die für diejenigen, die es miterlebten, bis teilweise heute in der Erinnerung verankert sind. Doch warum üben die 90s eine solche Bindungskraft aus – und wie waren sie für unsere Gegenwart prägend?

Die 90er – ein tatsächlich besonderes Jahrzehnt

Die 1990er waren definitiv kein Jahrzehnt wie jedes andere davor und danach. Daher müssen wir ein wenig ausholen, um das Besondere herauszuarbeiten:

Die Wissenschaft teilt Epochen nicht zwangsläufig entlang der Grenzen von Jahrzehnten und Jahrhunderten ein – also "runden Werten". Speziell für die 90s bedeutsam sprechen manche Experten daher vom sogenannten kurzen 20. Jahrhundert – das nicht deckungsgleich mit dem Zeitraum 1900 bis 1999 ist:

  • In den Jahren bis 1914 (Beginn des Ersten Weltkriegs) hatte sich kulturell und technisch wenig gegenüber den (späten) 1800ern geändert.
  •  Im Zeitraum 1989 bis 1991 endete mit dem Kalten Krieg die seit 1945 existierende "Weltordnung".

Das kurze 20. Jahrhundert umfasst also nur diese zirka 75 Jahre, statt 100 bei einer kalendarischen Einteilung.

Doch nicht nur das: Für verschiedene Wissenschaftler und viele Normalverbraucher sind die 1990er ebenfalls, insbesondere aus soziokultureller Sicht, ein "Spezialfall – und endeten nicht an Silvester 1999, sondern mit den Ereignissen des 11. September 2001.

Doch warum wird das so gesehen? In diesem Zeitraum von (grob) Herbst 1989 bis Herbst 2001 herrschte insbesondere in westlichen Nationen eine Phase von Stabilität, Frieden, relativem Wohlstand und Positivität. Eine nur schwierig zu beschreibende Mischung, die viel Gutes vorheriger Epochen weiterführte, aber ebenso schon auf Zukünftiges vorgriff. In diesem Klima konnte etwas gedeihen, das so zuvor und bis heute nicht mehr so vorkam – etwas in jeglicher Hinsicht Besonderes.

Natürlich, längst nicht für jeden waren die 90s wundervoll. Dazu muss nur in die damals wirklich noch "neuen" Bundesländer schauen. Besonders die erste Hälfte der Dekade war dort nach dem Zusammenbruch der DDR für viele Menschen alles andere als rosig.

Grob gesagt waren die 90er für viele ein Jahrzehnt, das zwar einerseits von vielen Veränderungen und raschen Entwicklungen geprägt war, aber andererseits diese Faktoren nicht bedrohlich wirkten, sondern vielmehr wie die Verheißung einer langen Phase von positiver Stabilität – nachdem speziell die 1980er unter dem Eindruck des Kalten Krieges für viele eher bedrohlich gewirkt hatten.

Ganz besonders merkt man das, wenn man sich die Kultur der 1990er genauer betrachtet.

Die 90er und ihre musikalischen Einflüsse

Grunge

Als die 1990er begannen, wirkten zuvor vorherrschende Musikrichtungen wie Synthie-dominierter 80s Pop oder hochkarätig produzierter Rock für viele nicht mehr ganz zeitgemäß. Eine der vielen (schon in den späten 80s begonnenen) Entwicklungen daraus war das Aufkommen eines rockigen Genres, das sich eher an Sound und Attitüde der späten 1970er orientierte – namentlich Hard Rock und (Hardcore-) Punk. Gewürzt um eine textlich düstere, musikalisch ungeschliffene, und insgesamt fast schon nihilistisch-fatalistische Note entstand daraus Grunge.

Obwohl diverse Bands in jenen "Wandeljahren" aufkamen, blieb Grunge anfänglich ein eher regionales Phänomen um die US-Stadt Seattle. 1991 jedoch lancierte die Band Nirvana ihr Album Nevermind. Die Gruppe um Frontmann Kurt Cobain war zwar nur eine von vielen innerhalb der Grunge-Gemeine. Dennoch schaffte sie es, das Genre in den globalen Mainstream zu katapultieren.

Aber so rasch der Grunge populär geworden war, so schnell ebbte er wieder ab. 1994 begann Kurt Cobain Selbstmord, 1996 spielten Alice in Chains bei MTV Unplugged – nach Ansicht vieler der offizielle "Todeszeitpunkt" des Grunge. Vielleicht aber war es auch die allgemein schwerblütige Attitude, die nicht mehr so recht in die Zeit passte. Gene Simmons, Frontmann der Rock-Giganten Kiss, fasste es 2011 rückblickend in einem Interview mit dem Metal Hammer Magazin folgendermaßen zusammen:

"Wir hatten das Gefühl, dass diese Seattle-Grunge-Bands all den Spaß im Rock’n’Roll getötet haben. Es gab keine Lichtshows mehr, keine coolen Klamotten, keine Effekte. Die Musiker zogen sich wie Penner an. Deshalb wurde auch der Hip Hop so groß. Da haben die Künstler wenigstens wieder über Bares und Bräute gesprochen und nicht darüber, wie beschissen das Leben ist."

Rap

Grunge war definitiv ein Phänomen der frühen 90s. Rap hingegen überspannte nicht nur das ganze Jahrzehnt, sondern war schon ein Erfolg, als die 90er begann. Allerdings darf man der Dekade attestieren, Rap weltweit zu seinem heutigen Status verholfen zu haben. Und, auf Deutschland bezogen, deutschsprachigen Rap überhaupt zu etablieren.

Einer der vielen Gründe dafür, warum man die 90s als "Rap-Jahrzehnt" bezeichnen darf, liegt darin, weil sich viele heutige Größen und Legenden der Szene in diesen Jahren entwickelten. Seien es Snoop DoggDr. Dre, der Wu Tang Clan und seine einzelnen Künstler oder die deutsche Rap-Elite zwischen Kool Savas und Samy Deluxe. Zudem wurde die Musik damals von einer Nische zum Soundtrack der Massen. Anders gesprochen:

  • Rap als erfolgreiches Genre würde wohl auch ohne die 90s existieren;
  • Rap als bis heute für den Mainstream so maßgebliche Musik hingegen wahrscheinlich nicht.

Übrigens lässt sich die Rap-Bedeutung der 90er nicht erzählen, ohne auf Crossover einzugehen. Insbesondere ab Mitte des Jahrzehnts entwickelte sich diese Kombination aus Sprechgesang und rockigen Gitarren-Riffs zu einer völlig eigenen Szene.

Techno

Die musikalische Geschichte der 90s lässt sich nicht schreiben, ohne von wummernden, zum Tanzen anregenden Elektro-Beats untermalt zu werden. Ein Grund dafür war die politische Wende. Sie gestattete im nunmehr wiedervereinten Berlin das Aufblühen einer sehr lebendigen Subkultur elektronischer Tanzmusik – die sich speziell im zuvor unzugänglichen Ostteil der Stadt in untergegangenen Fabriken und ähnlichen Orten festsetzte.

Allerdings wäre es falsch, den 90s-Techno als reines Berlin-Phänomen zu betrachten:

  1. Nachdem es bereits zuvor elektronische Musik gegeben hatte, erfuhr diese in den 90ern eine rasend schnelle Evolution in unterschiedlichste Sub-Genres zwischen Happy HardcoreTrance und Gabber.
  2. Techno war ein in der ganzen westlichen Welt sehr präsentes Phänomen; speziell in Europa.

Was allerdings stimmt, ist, dass Berlin hierbei durchaus eine Rolle als eine der wichtigsten Herzkammern dieser Musik spielte. Nicht zuletzt deshalb, weil hier ab 1989 im Jahresturnus mit der Loveparade die vielleicht wichtigste Veranstaltung der damaligen Techno-Welt abgehalten wurde. 

Damit wären drei besonders prägnante Musikstile dieses Jahrzehnts angesprochen. Viele weitere müssen aus Platzgründen unerwähnt bleiben. Denn die 1990er waren noch aus anderen Gründen so bedeutsam.

Die 90er und ihre filmischen Einflüsse

Auch in Sachen Film und Fernsehen ließe sich problemlos mehr als nur dieser Artikel füllen, wenn man sich auf die 90er fokussiert. Allerdings lässt sich der Einfluss des Jahrzehnts durchaus anhand einiger weniger Punkte festmachen:

  1. Die Entwicklung von Digitaltechnik gestattete es erstmals, wirklich fulminante und realistische visuelle Effekte zu integrieren. Das war bereits 1991 in Terminator 2 der Fall. Und es trug unter anderem 1997 dazu bei, dass Titanic ein solcher Welterfolg werden konnte.
  2. Viele Zuschauer waren durch den "Background" des Jahrzehnts mit seiner großen kulturellen Vielfalt offener. Das gab Film- und Serienmachern viel mehr Gestaltungsfreiheit, um Konzepte zu entwickeln, die zuvor keine Mainstream-Erfolgschancen gehabt hätten – etwa die damaligen Werke eines Quentin Tarantino. Besonders sorgte das für einen Erfolg der Independent-Szene mit ungewöhnlichen, komplexen, intelligenten Plots.
  3. Eine ausnehmend große Menge sehr talentierter junger Talente drängte auf den Markt – hinter und vor der Kamera.

Egal ob Romantic Comedy, die auf einem Literaturklassiker basierte (etwa 10 Dinge, die ich an dir hasse oder Clueless) oder düsteres SciFi-Drama à la Matrix und Starship Troopers: Die 90er waren im filmischen Sinn ziemlich mutig, sehr kreativ – und dadurch erfolgreich.

Die 90er und ihre technologischen Einflüsse

In vielerlei Hinsicht waren die 1990er deshalb ein so besonderes Jahrzehnt, weil in diesem Zeitraum Dinge heranreiften, die in den 1980ern angestoßen worden waren. In besonderem Maß gilt diese These für die 90s als technisches Jahrzehnt.

In den 80ern wurde digitalisierte Technik erstmalig in unterschiedlichsten Anwendungen marktreif und hielt in Haushalte Einzug. In den 90ern wurde daraus ein weltumspannender Mega-Erfolg. Dahinter stehen verschiedene Gründe und zeigten sich ebenso unterschiedliche Ausprägungen:

  1. Ab zirka 1990 begann die bis dahin dritte Phase der Globalisierung. Das sorgte unter anderem für eine stark expandierende Anzahl von Produkten in unterschiedlichsten Gruppen.
  2. Aufgrund der Etablierung von Digitaltechnik im Verlauf der 1980er nahmen nun viele Hersteller verstärkt Privatanwender als Zielgruppe ins Visier.
  3. Nachdem Computer ebenfalls schon in den vorherigen Jahren vernetzt worden waren, wurde 1993 das World Wide Web für die allgemeine Benutzung freigegeben – und dadurch eine viel einfacher zugängliche und gleichsam vielfältigere Vernetzung.

Erneut sorgte das alles für viel Mut und Akzeptanz – diesmal seitens der Hersteller und Käufer.

  • Tragbare CD-Spieler,
  • Mobiltelefone,
  • Heimcomputer,
  • Elektronik-Spielzeuge wie das Tamagotchi,
  • Betriebssysteme mit grafischer Benutzeroberfläche wie Windows 3.0, -95 oder -98,
  • Videospielekonsolen in stationärer und tragbarer Form,
  • Pager und

noch vieles mehr wurden im Verlauf der 1990er zu absoluten Welterfolgen. Das konnten sie deshalb werden, weil die Kosten nicht zuletzt aufgrund der einsetzenden Globalisierung deutlich gesunken waren.

Unter anderem in Deutschland stieg zudem ab der zweiten Hälfte des Jahrzehnts das reale Haushaltseinkommen an (nachdem es allerdings in den ersten Jahren ruckartig gesunken war). Das wiederum erlaubte es vielen, mehr Geld für "technische Spielereien" auszugeben.  

Die 90er und ihre politischen Einflüsse

Sehr vieles von dem, was die 1990er insgesamt zu einem so besonderen Jahrzehnt machte, fand seine Wurzeln in gesellschaftlichen bzw. soziokulturellen Merkmalen. Diese wiederum waren stark durch die Politik beeinflusst.

Dabei bestimmten drei Elemente besonders den Anfang des Jahrzehnts – darüber aber ebenso den weiteren Verlauf:

  1. Die gut 40 Jahre andauernde Ost-West-Konfrontation endete quasi auf einen Schlag. Im Sommer 1989 wurde der Eiserne Vorhang rissig, am 9. November öffnete die DDR ihre Grenze, am 3. Oktober 1990 wurden die beiden deutschen Teilstaaten wiedervereinigt, Ende 1991 löste sich die Sowjetunion auf. In zirka zwei Jahren wurde so die "Ordnung" fast eines halben Jahrhunderts auf den Kopf gestellt.
  2. Die zuvor beachtlichen Finanzmittel, die in West wie Ost in die Rüstung gesteckt worden waren, standen nunmehr friedlicheren Verwendungen offen.
  3. Da "der Westen" aus Sicht vieler den Kalten Krieg gewonnen hatte, wirkte dies auf viele als Bestätigung, wonach die damit einhergehenden Staats- und Gesellschaftsformen die überlegeneren seien.

Was die gesamtgesellschaftliche Stimmung anbelangt, so lässt es sich grob auf folgende Aussage herunterbrechen: Indem der Kalte Krieg endete, verschwand ebenso die zuvor gut 40 Jahre lang drohende Gefahr eines globalen Atomkriegs zwischen den Supermächten.

Der Wegfall einer so lange auf vielen Gemütern lastenden Gefahr wirkte nicht nur sprichwörtlich "sehr erleichternd". Demgegenüber wirkten andere Negativerscheinungen der Politik – etwa eine wirtschaftlich nicht sonderlich glänzende Lage – weit weniger gravierend.

Im Großen und Ganzen galt das ebenfalls für Deutschland. Allerdings nicht so ungeteilt. Dem Jubel der Wendejahre folgte rasch eine Ernüchterung: Der Wiederaufbau und die Integration der DDR in "west-deutsche Standards" waren extrem teuer; allein bis zum Ende des Jahrzehnts wurden die Kosten auf knapp eine Billion Euro beziffert.

Zudem sorgte der Wegfall des realsozialistischen Staats- und Gesellschaftssystems in den neuen Bundesländern für starke Verwerfungen. Für viele dort Lebende waren die 90er deshalb eher von Zukunftsangst und schlechter persönlicher Wirtschaftslage geprägt. Hinzu kamen schwerste Auswüchse von Fremdenfeindlichkeit. Sie prägten den Begriff der Baseballschlägerjahre.

Auch in gesamtdeutscher Betrachtung war die Wirtschaftslage nicht sonderlich positiv. Bis zum Ende der 90er stiegen die Arbeitslosenzahlen an und wurde die Bundesrepublik zum kranken Mann Europas erklärt. Aufgrund der direkt als Antwort darauf erfolgenden Lösungsansätze wie die Hartz-Gesetze wirkt die damalige politische Lage bis heute nach.

Weg von wirtschaftlicher Politik muss jedoch eines festgestellt werden: Für viele Menschen waren die 1990er ein Jahrzehnt der allgemeinen Positivität. Zusammen mit der Digitalisierung des Alltags schien es, als würde eine positive, fast schon SciFi-artige Zukunft beginnen. Dadurch wirkten alltägliche Probleme, von denen es in den 90s natürlich reichlich gab, für viele weniger beängstigend.

Dazu gehört nicht zuletzt das Standing der 90s als "Jahrzehnt der Menschenrechte". Schon im Mai 1990 erklärte beispielsweise die WHO, Homosexualität sei weder Krankheit noch Störung – ein Meilenstein. Nur wenige Monate später trat die UN-Kinderrechtskonvention in Kraft.

In den folgenden Jahren konzentrierten sich zudem viele westliche Regierungen darauf, anderen Ländern Hilfe bei der Demokratisierung zu geben, statt wie bislang Außenpolitik vornehmlich unter dem Eindruck des Ost-West-Konflikts zu betreiben – wodurch man in der Vergangenheit diverse Unrechtsregimes gestützt hatte.

Die 90er und ihre Einflüsse in Sachen Klima, Natur und Umwelt

Die 1980er waren das Jahrzehnt, in dem ein echtes Umweltbewusstsein von einer Randerscheinung zu einem breitgesellschaftlichen Phänomen wurde. Die 1990er waren in diesem Sinn ein "Jahrzehnt zwischen den Sorgen". Das lag an folgenden Dingen:

  1. Das mitteleuropäische Waldsterben, das in den 80ern viele bewegt hatte, verschwand in den 90ern rasch aus dem gesellschaftlichen Fokus. Hauptgrund waren Gesetze, welche die verantwortlichen Schadstoffemissionen massiv verringerten. Durch den Zusammenbruch des Ostblocks wurden zudem viele schädliche (Braunkohle-) Kraftwerke und ähnliche Anlagen stillgelegt.
  2. Das 1985 erstmals festgestellte Ozonloch wurde durch das rasche globale Verbot von FCKW-haltigen Chemikalien rasch eingebremst – selbst wenn man erst 2021 eine Verkleinerung des Lochs beobachten konnte.
  3. Die Klimaforschung konnte infolge verbesserter Computer und Berechnungsmodelle in den 90ern starke Fortschritte machen. Ebenso wurden verschiedene politische Entscheidungen gefällt. Allerdings war das Thema Klimawandel in diesem Jahrzehnt noch weit davon entfernt, breite Gesellschaftsschichten zu erfassen.

Kurzum: Für viele Menschen waren die 1990er auch auf dieser Ebene "sorgenfrei" bzw. sah man die drängendsten Probleme in den massiven Umweltschäden des ehemaligen Ostblocks. Warnende Stimmen bezüglich des Klimawandels gab es bereits zur Genüge. Jedoch konnte das Thema längst noch nicht so verfangen wie es das Waldsterben nur wenige Jahre zuvor tat – die Gründe dafür sind bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.

Die 90er und ihre modischen Einflüsse

Kein Artikel über die 90s wäre komplett, ohne das Thema Mode wenigstens anzuschneiden. Mit Absicht halten wir es jedoch etwas kurz. Einfach, weil die Modewelt sich zwischen 1990 und 1999 teilweise dramatisch wandelte.

Hatten beispielsweise Anfang des Jahrzehnts die Schulterpolster, speziell in der Damenmode, streckenweise fast schon unfreiwillig komische Ausmaße angenommen, so konnte ein Frauen-Oberteil nur neun Jahre später kaum genug Haut zeigen.

Zum Ausgleich für die dadurch meist bauch- und häufig schulterfreie Mode gab es ein Stockwerk tiefer jede Menge Stoff. Denn die zweite Hälfte der 90s war – stark beeinflusst durch Techno- und Rap-Fashion – von sehr weiten Schnitten dominiert. Wahlweise als nur unterm Knie weitgeschnittene Schlaghose oder in ihrer Gesamtheit "sackartigen" Baggy Pant.

Gibt es eine Aussage, auf die sich die so vielfältige Mode dieses Jahrzehnts herunterbrechen lässt? Vielleicht folgende:

Es war ein Jahrzehnt, in dem Designer gewillt waren, eine ganze Menge etablierte und zunehmend als steif empfundene Konventionen ersatzlos über Bord zu werfen. Ein Jahrzehnt, in dem modische Kreativität geradezu sprühte und in dem viele gewillt waren, Mode mit Musik, Kunst, Film und noch einigem mehr zu verschmelzen.

Wer mag, kann sich dazu die Modenschauen der Paris Fashion Week für die Herbst-/Winter-Kollektion 1995/-96 ansehen:

Was geblieben ist: Das Erbe der 90s heute

Dieser Text wurde im Frühjahr 2024 geschrieben. Ein Zeitpunkt also, an dem nur noch wenige Monate der 1990er nicht die "Vierteljahrhundertmarke" überschritten hatten. Aber ebenso ein Zeitpunkt, an dem in den Modekatalogen sowohl Schlaghosen als auch bauchfreie Tops ein Comeback feiern. Nicht nur angesichts dessen stellt sich die berechtigte Frage: Wie viel 90er ist in den heutigen 20ern noch vorhanden?

Nun, vieles von damals ist ähnlich weit in der Versenkung verschwunden wie Ganzkörper-Jeans-Outfits der späten 80er. Videotheken gehören dazu ebenso wie ausschließlich Musikvideo spielende Fernsehsender, Einwähl-Modems, Diskettenlaufwerke, Boy- und Girl-Groups oder extrem unterschiedliche, modisch leicht unterscheidbare Jugendkulturen.

Viele andere Elemente sind stattdessen so umfassend in unseren Alltag eingedrungen, dass wir sie gar nicht mehr als Besonderheit wahrnehmen – oder überhaupt Wurzeln in den 90s vermuten.

Das gilt insbesondere für alles, was sich unter Digitalisierung und Internet zusammenfassen lässt. Egal ob es das Handy ist, Social Media oder E-Commerce: Das alles sind definitiv ebenso Kinder der 1990er wie massive CGI-Effekte in Filmen und Serien.

Eines sollte man aber bei aller 90s-Nostalgie nicht ganz vergessen: So wie jedes andere Jahrzehnt, so konnten die 90er ebenfalls mit einer gutgefüllten Liste an Schattenseiten aufwarten. Egal, ob das nun gesellschaftliche Ungleichheit war, wirtschaftliche Schwierigkeiten, unkritisch in Film und Fernsehen genutzte Stereotype oder blinde Tech-Gläubigkeit.

Positiv waren die 90er in der Gesamtbetrachtung zweifelsohne. Allerdings darf man sich die berechtige Frage stellen, ob sie nicht manchmal schon ein wenig blauäugig positiv waren – und dazu noch unkritisch und manchmal regelrecht naiv.

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