Kolkhorst
Foto: Markus Wustmann

Kolkhorst Foto: Markus Wustmann

Das Label "Tapete Records" lud dieses Jahr wieder zum "Boot Boo Hook"-Festival nach Hannover ein. Der sympatische Kai-Uwe Kolkhorst ließ es sich auch nicht nehmen, spielte am ersten Festivaltag auf der Red Stage und überzog seinen Auftritt kurzerhand um 40 Minuten. Am folgenden Tag war er als Zuschauer unterwegs und nahm sich die Zeit, um regioactive.de einige Fragen zu beantworten. Getarnt mit Sonnenbrille und Kapuze plauderte er zum Beispiel darüber, warum er mit Festivals an sich eher wenig anfangen kann.

{image}Dein Auftritt liegt bereits hinter dir. Wie war es für dich, hier zu spielen?
Kolkhorst: Wundervoll war es für mich. Ich hatte sehr volles Haus. Ist auch kein Wunder, bei all diesen vielen Menschen auf dem Gelände. Und es war so, dass meine spezielle Hannoveraner Kolkhorst-Crowd anwesend war. Ich habe hier vor etwa 3 Jahren als Support von Rantanplan gespielt. Ich bin mit den Worten: "Wenn mir heute einer blöd kommt, dann gibt es gleich auf die Fresse!" auf die Bühne gegangen. Beim zweiten Mal habe ich das Voting auf D-Zentral gewonnen und habe dann als Ansage gemacht: "Hannover, ihr seid doch gar nicht so schlecht!" Und dieses Mal habe ich gesagt: "Hannover, ihr seid richtig geil!" So habe ich meine Dramaturgie sozusagen ausspielen können. War ganz toll!

Ist es denn nicht auch manchmal nervig, wenn man erst so spät spielt?

Kolkhorst: Wenn es noch später wird, dann ja! So um 24 Uhr ist eigentlich eine sehr gute Zeit, wo ich sagen kann: Ich brauche nicht mehr zu lange warten. Aber wenn es nach 1 Uhr sein sollte, kann man wieder etwas über dem Ziel drüber sein.

{image}Was magst du an Festivals?

Nicht viel. Ich mag Festivals eigentlich gar nicht so sehr. Dadurch, dass ich nicht trinke, bin ich dann diesen komischen Vibrations ausgesetzt. Das Feiern mag ich daran nicht so gerne. Das hört sich vielleicht komisch und etwas spießig an. Dieses Festival mag ich, weil es das Festival meines Labels ist, wo das erste Mal klar ist, dass unsere Sache erfolgreich ist. Das ist wirklich so, dass man sagen kann, dass wir tausende von Menschen erreichen, die mitten in Hannover zusammen kommen und zusammen zelebrieren, dass Menschen an Musik glauben. Das macht mir Spaß. Es ist fast so ein wenig hippiemäßig.

Setzen wir doch mal von vorne an: Berufswunsch in der Kindheit?

Das ist ja krass. Ich wollte zur Wasserschutzpolizei.

Wie bist du denn darauf gekommen?

Keine Ahnung! Wahrscheinlich lief darüber irgendwas im Fernsehen. Irgendetwas fand ich daran interessant.

Wie bist du denn dann zur Musik gekommen? Wann hast du dir gesagt: Ich möchte Musiker werden!

Das war tatsächlich recht früh. Ich habe so mit 15 angefangen Texte zu schreiben und 3 oder 4 Akkorde zusammenzustellen. Eine der ersten Teeniebands, die wir hatten, das war so ein wenig 1000Robota-mäßig, könnte man sagen. Es war sehr energetisch und nach vorne. Insgesamt hatte ich 11 Bands. Da habe ich mal nur Schlagzeug gespielt, mal auch nur Gitarre. Nach meiner Krankenpflegerausbildung wollte ich etwas für mich machen. Das machen, was ich möchte, nicht irgendwelche Sicherheitsaktionen. Dann habe ich meine erste Platte gemacht, die auch gleich bei Warner rauskam. Dadurch habe ich meinen Zivildienstfreund Gunther Buskies, der auch das Label hier leitet, kennengelernt und seitdem sind wir befreundet. Wir haben immer davon geträumt eigenständige Musik zu verbreiten. Deswegen ist das auch ein Lebenstraum, der hier gerade die ganze Zeit passiert.

{image}Ein Lebenstraum, sagst du. Was bedeutet Musik für dich?

Musik ist für mich die Möglichkeit, Dinge zu reflektieren, die ich ansonsten nur schwer in Worte fassen kann. Wo mir die Worte fehlen, da setze ich die Musik ein. Das ist die eine Sache. Super ist aber auch herauszufinden, was in mir vorgeht. Ich habe im zunehmenden Alter festgestellt, dass nicht nur der Drang zur Veröffentlichung die Sache am Leben hält, sondern einfach die Liebe dazu. Dass man viel Liebe dafür aufbringen kann. Das bedeutet mir Musik. Und dass ich es live mit Leuten teilen kann. Manchmal denke ich auch, ich hätte gar nicht in die Schule gehen brauchen, weil all das, was ich jetzt mache, davon hat mir dort keiner erzählt. Aber so ein paar Grundlagen sind schon nicht schlecht.

Was möchtest du gerne noch erreichen?

Es sind schon viele Dinge passiert, die ich mir gewünscht habe. Was möchte ich gerne noch erreichen? – eine schwierige Frage. Das was wir jetzt hier machen, das ist genau das, was ich immer erreichen wollte: Identität durch eigene Kreativität schaffen. Dann nicht gleich von irgendeinem Penner abgegriffen zu werden. Sondern das Label seit 6 Jahren gemeinsam zu haben, daran zu wachsen. Was ich mir privat vorstellen kann, das ist die Weiterführung meiner Beziehung. Meine Freundin ist da gar nicht so abgeneigt, weitere familiäre Schritte einzuleiten. Das sind die Sachen, die mich jetzt mit 37 nebenbei auch sehr beschäftigen. Es sind nicht unbedingt die Hallen, die ich füllen will. Es sind für mich persönlich noch andere Werte dazugekommen. Wenn ich mal frei habe, dann möchte ich meine Freizeit besser genießen. Manchmal ist man in einem Arbeitswahn drin und merkt gar nicht, dass man in den nächsten Wochen gar nichts hat. Es ist wichtig gut entspannen zu können. Diesen Ausgleich, die Balance.. Ich wünsche mir, dass ich die in Zukunft gut halten kann. Dass ich ins Nest tauchen und an die Front gehen kann. Ich möchte mich richtig schön ausdrücken können und damit die Leute erreichen. Das wünsche ich mir.

Wie bereitest du dich auf eine längere Tour vor?

Das glaubt mir kein Mensch, aber ich mache genau das, was ich schon auf der Tour machen würde: Ich schlafe wenig und 1-2 Tage vorher bin ich schon halb am feiern. Ich bereite mich eigentlich gar nicht vor. Es ist so, dass ich abends an das erste Lied denke, welches ich spielen will. Und von da an gucke ich immer, was als nächstes erforderlich ist. Wie ein DJ, der zusehen muss, wo er die Leute abholen kann. Das ist ein ständiger Prozess: Ich stelle mich für den Abend zur Verfügung und mache das, was gerade erforderlich ist. Ich habe kein direktes Programm, das ich den Leuten aufzwingen möchte. Die Songs sind so geschaffen, dass sie wirklich direkt aus dem Herzen kommen. Ich benötige keine große Vorbereitung, außer vielleicht mental. Ich mache aber auch Stretchübungen, damit ich beweglich bleiben kann.

Gibt es denn Städte oder Clubs, in denen du besonders gerne spielst?

Und wie! Zum Beispiel bin ich gerne in Halle. Wenn man da durch die Straßen geht, da lebt die Kolkhorst-Musik schon von alleine. In Bayern bin ich auch ganz viel. Dort werde ich erstaunlich gut aufgenommen. In der Schweiz bin ich gerne. Und natürlich auch in meiner Gegend, aus der ich ursprünglich komme. Es gibt in jeder Ecke eine tolle Stadt.

Es gibt aber bestimmt auch Locations, in denen du nicht so gerne auftrittst, oder?

Ja! Es gibt Städte und Clubs bei denen es völlig egal ist, wenn man dort 100 Mal spielt. Da wird nie etwas Gutes passieren. Ein gutes Beispiel ist leider Gießen. Da kann ich noch 400 Mal abrocken, da werden trotzdem nicht mehr als 20 Leute kommen. Wenn da so ein Vogel wie ich kommt, wissen die Leute damit manchmal nichts anzufangen. Das gibt es auch.

{image}Du hast schon viele Konzerte gespielt. Was waren deine Highlights?

Ich habe 2006 als Support für die Band Camouflage gespielt. 17 Termine in allen Hallen Deutschlands. Das war etwas, woran ich mich immer gerne erinnere. Das ist eine Sache, das hätte niemand von meinem Label gedacht, dass ich mit meinem Drumcomputer ganze Hallen berocken kann. Das hat so gut geklappt. Es war traumhaft! Oder auch das Reeperbahnfestival 2008. Da habe ich auf dem Spielbudenplatz gespielt. Er war komplett mit Menschen gefüllt. Aber auch die ganz kleinen Konzerte, wo vielleicht nur 50 Leute anwesend sind. In Emden habe ich mal vor 18 Leuten gespielt. Die haben alle auf den Tischen getanzt. Das war auch nicht schlecht. Man weiß vorher nie, was passiert. Das ist das aufregende daran.

Und wie sieht es mit den negativen Konzerterlebnissen aus?

Da gab es ein Konzert, da habe ich mich innerhalb von 2 Liedern sehr unglücklich bewegt. Ich habe mich mit einem Bein auf die Monitorbox gelehnt und wollte dann mit dem anderen Bein auf die andere Monitorbox gehen. Die ist dann aber weggerutscht und ich bin direkt auf das Steißbein gefallen und habe mir die Gitarre ins Gesicht gehauen. Meine Lippe ist aufgeplatzt. Das hörte sich dann alles wie Rage Against the Machine mit Udo Lindenberg-Verschnitt an. Das war ganz bitter, denn in dem ersten Song habe ich mich komplett zerstört. Aus der Nummer kam ich nicht mehr raus.

Aber du hast es durchgezogen?

Ja, das ist immer mein Motto. Besser, als dann aufzuhören.

Wie sieht das bei dir mit dem Schreiben der Texte aus? Bist du jemand, der sich dafür tagelang einsperrt?

Da gibt es alle Möglichkeiten. Es ist manchmal so, dass ich beides auf einmal habe. Wenn ich eine Textzeile habe, dann weiß ich genau, welcher Akkord und welche Melodie es sein wird. Das ist einfach so. Manchmal ist es aber auch so, dass ich einen super Musikhintergrund habe und sich darum langsam ein Text bildet. Ich singe auch so wie ich rede. Da kann man dann sagen: Okay, ich mag das nicht. Es bietet eine große Angriffsfläche, wenn man alleine irgendwo hingeht und sowas macht. Da muss man mit allem rechnen.

{image}Eine Jugendsünde?

Meine Piercings. Die haben dazu geführt, dass ich eine riesen Entzündung bekommen habe. War wohl irgendwie ein falscher Schmuck drin. Keine Tätowierungen, aber Hautprobleme habe ich mir zugefügt. Ich habe vor 7 Jahren aufgehört zu trinken. Das heißt, dass man früher mal getrunken haben muss. Ich habe dem Alkohol früher sehr viel Zeit und Kraft geschenkt. Es war schon mehr als eine Jugendsünde, weil es länger ging. Es war eine dauerhafte Jugendsünde. Ich sage auch immer: Die besoffensten sind heute meine Therapeuten. Denn das möchte ich nicht mehr durchmachen.

Wovon hast du keine Ahnung?

Das ist mal eine geile Frage. Von Autos habe ich zum Beispiel keine Ahnung. Ich habe keinen Führerschein, keinen Bezug dazu. Von BWL habe ich vorsätzlich keine Ahnung. Früher habe ich Handelsschule gemacht und habe die Bücher nach 2 Wochen verkauft. Es war völlig sinnlos, weil ich einfach nicht dahinter stand. Von Zahlen, Leichtathletik, Geräteturnen und großen Maschinen habe ich ebenfalls keine Ahnung. Alles was groß ist, ist nicht mein Ding.

Deine Macke?

Meine Macke? Meine Macke ist, dass ich zu viel rede, wenn ich mit Leuten zusammen bin. Ich bin ein ängstlicher Mensch. Ich habe oft Angst, dass mich alle plötzlich verlassen. Da fällt mir gerade was ein.. Ich habe meinen Labelchef beim Zivildienst durch eine Strafversetzung kennengelernt, weil mein Dienstfahrrad beschädigt wurde – ich war betrunken. Dann habe ich immer mal Gunther angerufen, als es mir sehr schlecht ging und habe ihn jede Woche gefragt, ob ich denn noch bei Tapete bin. Irgendwann hat er gesagt: "Was denkst du dir denn immer für einen Quatsch aus?" Es war wirklich manchmal so, dass ich zu Hause saß und darüber nachgedacht habe: Mögen mich die Leute? Ich bin doch immer so komisch. Ich hatte immer Komplexe, dass ich anderen vielleicht nicht genüge oder ich mich verändern muss. Das ist eine Macke von mir. Solange ich aber aus meinem Herzen heraus agiere, dann ist alles toll. Dem aber zu vertrauen, das kann ich manchmal nicht. Auf der Bühne kann ich das allerdings immer! Auch Ex-Freundinnen mussten das erleben, dass ich sie viel zu oft gefragt habe, ob sie mich verlassen! (lacht) Ich war teilweise ein nerviger Typ, glaube ich. Was habe ich noch für Macken? Ich hatte früher eine wilde Zeit, auch gewisse Angewohnheiten. Zum Beispiel überall krümeln, wenn ich mir eine Zigarette drehe. Man kann einen Mann aus dem Ghetto holen, aber nicht das Ghetto aus dem Mann! Ansonsten bin ich sehr umgänglich.

Welchen Luxus hast du dir zuletzt geleistet?

Das ist toll, dass du das fragst, denn Luxus definiere ich als etwas, das keiner braucht. Ich habe mal auf einem Festival gespielt und bin für 19 Euro mit dem Taxi nach Hause gefahren. Das war ein echter Luxus, denn sonst hätte ich zu Fuß gehen müssen, weil auch nichts anderes mehr fuhr. Und das ich mir heute diesen Tag gönne und hier bleibe. Ich gönne mir wenig Luxus, da hast du einen guten Punkt getroffen.

Wie sehen deine weiteren Pläne aus?

Ich möchte gerne weiter meine kleinen Platten machen und weiterhin auf Tour gehen. Ich habe im Moment eigentlich keine Überraschungen – oder vielleicht doch? Ich weiß es nicht! Es hört sich vielleicht etwas selbstverliebt an, aber ich bin mit dem, was gerade passiert, unglaublich glücklich!

Vielen Dank, dass du dir für unser Gespräch heute noch die Zeit genommen hast!

 

Im Netz: www.kai-uwe-kolkhorst.de

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