Glasvegas
Foto: Steve Gulick

Glasvegas Foto: Steve Gulick

Popmusik ist Musik des Hier und Jetzt. Wer kann schon sagen, ob ein bestimmtes Werk in 30 Jahren noch irgendjemanden interessiert? Alle Fragen nach Dauer und Bestand verlieren im Kontext eines Konzerts rapide an Bedeutung. Entweder man spürt den Augenblick und geht in ihm auf, oder man beobachtet das Geschehen mit gemischten Gefühlen. Die schottische Band Glasvegas begeisterte das Publikum im ausverkauften Karlstorbahnhof in Heidelberg mit ungestümer Energie und großen Gesten.

{image}Glasvegas sind nicht die erste Band, die Popsongs mit einem aus Gitarren bestehenden "wall of sound" versieht und sie werden nicht die letzte sein. Aber was spielt das für eine Rolle, solange es so hervorragend gelingt, wie bei ihrem Auftritt in Heidelberg? Die Band aus Glasgow hat sich im Verlauf des letzten Jahres mit einigen bemerkenswerten Singles einen Namen gemacht. Längst sind diese aufgrund ihrer geringen Auflage gesuchte Sammlerstücke, während Glasvegas unter Ägide ihres Labels Columbia ihre Lieder ein zweites Mal als Singles veröffentlichten. Die raue Energie der Indie-Singles konnten die Wiederveröffentlichungen nicht erreichen und auch das Anfang des Jahres verspätet in Deutschland erschienene Debütalbum wirkt so, als hätte Columbia den Sound der Band gezielt geglättet. Bedauerlich, denn wie ungestüm und wild Glasvegas immer noch sind, wurde bei ihrem Auftritt am vergangenen Samstag im ausverkauften Heidelberger Karlstorbahnhof deutlich.

Dort erwartet ein bemerkenswert gemischtes Publikum die Band. Man durfte damit rechnen, dass einige britische Hardcore-Fans das Wochenende nutzen würden, um ihrer Band auf den Kontinent zu folgen. Es überrascht jedoch, dass sowohl Teenager wie auch ergraute Musikenthusiasten über 50 in beträchtlicher Zahl dem Ruf der Band folgen. Trägt hier die ausführliche Berichterstattung in den Feuilletons Früchte? Oder überspringt die Musik von Glasvegas Altersgrenzen so mühelos wie Landesgrenzen?

{image}Glasvegas jedenfalls spielen ein Konzert, wie es nur eine junge Band vermag. In fünfundvierzig Minuten brennen sie die Lieder ihres Debütalbums wie Leuchtkerzen ab. Hier gibt es keinen behutsamen Aufbau – die Band startet mit dem ersten Ton von Geraldine voll durch. Während Leadsänger James Allan fast stoisch hinter dem Mikrophon steht und seine hymnischen Lieder singt, fegen Cousin Rab Allan und Paul Donoghue wie Derwische über die Bühne und erschaffen eine gewaltige Wand aus Gitarrengewitter.

Glasvegas wissen, dass sie das Publikum nicht mit 45 Minuten atemloser Musik überfordern können – gelegentlich drosseln sie daher auch das Tempo. Dennoch bleibt ihr Klang immer gewaltig. Sie sind eine Band der großen Gesten, der konsequenten Emphase. Gelegentlich entsteht im gitarrenumtosten Auge des Hurrikans eine unheimliche und wunderschöne Ruhe und Harmonie.

{image}Als die Band schließlich als Abschluss des Abends ihr Meisterwerk Daddy’s Gone spielt, herrscht eine perfekte Symbiose zwischen Band und Zuschauern. Angeführt von den britischen Fans singt das Publikum lauthals mit, bis die Band wieder das Kommando übernimmt. Nach dem Ende des Konzerts scheint sich James Allan kaum von seinem Publikum trennen zu können, bedankt sich, klopft auf sein Herz, um seine Liebe zu den Fans bekunden und winkt zum Abschied. Anders als The Jesus And Mary Chain, deren Einfluss auf die Band unbestreitbar ist, wollen Glasvegas die Zuschauer nicht verstören, sondern sich mit ihnen verbrüdern.

Wie lange Glasvegas es durchhalten werden, solche Konzerte zu geben, ob noch genug großartige Songs in ihren Köpfen schlummern – das alles wissen wir nicht. Aber wir stellen fest, dass sie am vergangenen Samstag alle Erwartungen erfüllen konnten – plus einiges mehr.

Setlist: Geraldine – Lonesome Swan – It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry – Polmont On My Mind – Flowers & Football Tops – Ice Cream Van – Go Square Go

Zugabe: S.A.D. Light – Daddy’s Gone

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