Tiger Lou

Tiger Lou © Tapete Records

Der Herbst ist da und schon rauschen uns die Alben wie Blätter in die Tür. Und was für welche! Tiger Lou legt mit "A Partial Print" eines der bisher besten Alben des Jahres vor, während sich Mental Tearing After 9 nach langen 10 Jahren endlich wieder auf einem Silberling verewigt sehen. Nadine Kraemer bezirzt mit sanfter Stimme, Dj Revolution dreht den Plattenteller heiß und Mardi Gras überzeugen einmal mehr voll und ganz mit ihrem einzigartigen Sound!

Tiger Lou – A Partial Print | Tapete Records

{image}Wer auf A Partial Print nach den schlichten, dafür umso eingängerigen Songs sucht, wie Sell Out auf dem Debüt Is My Head Still On? einer war, der wird diese Suche zwar erfolglos aufgeben müssen, aber von Tiger Lous neuer Platte dennoch alles andere als enttäuscht sein. Hier gibt es Neues zu hören, das auch aus dem Rahmen fällt, der üblicherweise für schwedische Indie- und Popbands gesteckt ist. War das zweite Album Loyal schon deutlich waveiger und, nach den Worten von Mastermind Rasmus Kellerman, sehr von The Cures Robert Smith inspiriert, dann ist das nun ja auch schon wieder drei Jahre her. Der Hang zum Melancholischen hat sich noch einen Zacken verstärkt und entsprechend sind die einzelnen Songs auch weniger leicht zugänglich geraten. Und dennoch packt das Album den Hörer ab den ersten Takten, in denen die mit ihrer Schräge an Sonic Youth erinnernden Gitarren darauf vorbereiten, was noch alles an großartigem Material auf dieser Scheibe zu finden ist: Druckvolle Grooves mit intelligenten Basslinien, filigrane mit wavigem Reverb versehene Gitarren, abwechslungsreiche Arrangements, elektronische Einsprengsel, schwelgerische Keyboardflächen und wunderbare Melodien, die möglichweise nicht sofort zum Mitsingen geeignet sind, aber süchtig machen und nicht zu leugnenden schwedischen Pop-Charakter haben. Der Gesang kommt eher sanft als kräftig, eher zurückhaltend als fordernd, hinterlistig ins Ohr gekrochen. Mit diesen Merkmalen ausgestattet erinnert Tiger Lou beinahe ein wenig an Radiohead oder Interpol (Odessa). Die langen Lieder (The Less You Have To Carry, A Partial Print) teilen die beste Eigenschaft mit dem ganzen Album: Hier ist Durchhören angesagt, dafür wird der Hörer belohnt, Schwachstellen gibt es einfach nicht. Ebenso gibt es keinen einzelnen Ausbrüche in Hit-Gefilde. Von der ersten Minute ist ein hohes Niveau gesetzt, das in keiner Folgeminute verlassen wird. Neben vielen träumerischen Passagen fodert die Musik auch immer wieder dazu auf, sich zu ihr zu bewegen, wie beim straight rockenden An Atlas Of Those Our Own oder dem attackierenden Chorus von Coalitions. A Partial Print ist einer der bisherigen Top-Kandidaten auf den Titel "Album des Jahres" und fordert vor allem zu einem Besuch der kommenden Tour auf. Alleine die Produktion der neuen Scheibe glich schon einer kleiner Tournee. Es begann im Oktober 2006 in Berlin und führte Kellermann schließlich bis nach L.A.. Da kann man nur sagen: Danke für die Mühe, danke für dieses Album!

VÖ: 31.10.2008
Wertung: +++++ (Markus Biedermann)

Mental Tearing After 9 – Your Beat Starts Missing A Heart | NKRC Records

{image}Diese Jungs tragen ihr Herz auf der Zunge und machen nicht davor halt, mögliche Kritikpunkte, die nichts mit der Musik als solcher zu tun haben, von vornherein zu kontern. "MTA9 ist eine wirklich sehr, sehr faule Band", erfährt man gleich als erstes, wenn man sich mit der neuen Platte beschäftigt. Der Eindruck könnte stimmen: Satte zehn Jahre hat man sich auf den Lorbeeren ausgeruht, nachdem der 1998 erschienene Erstling White Tiger Rodeo mit soviel Lob bedacht wurde, daß sich sogar ein kurzer Flirt mit einem großen Label andeutete. Im Bett landete man schließlich mit dem Indie-Label "NKRC Records", wo man zwar kleinere Brötchen backt, aber dafür die Geduld und Ruhe mitbringt, bei der sich die freundlich-aggressiven Rocker von MTA9 am Wohlsten fühlen. Und Wohlfühlen ist sicherlich auch das beste Stichwort, um Your Beat Starts Missing A Heart zu beschreiben. Die Gitarren regieren und für instrumentelle Überraschungen im MTA9-Kosmos sorgen die sparsam eingesetzten Fills von Klavier, Akkordeon, Trompete und Flügelhorn. Es ist ein geschlossenes, ein stimmiges Werk geworden, obwohl auch ältere Tracks wie Starclassic Moment ihren Weg darauf gefunden haben. Doch das war eine weise Entscheidung, denn nach wie vor sticht der Track hervor und lässt Indie-Liebhaber vor Freude mit den Ohren schlackern. Bei den anderen Songs geht es rauer zu, schließlich sind die Jungs ja Punk-Rock-Fans, erfährt man im ebenfalls großartigen Song Someone To Feel. Das passt zur Produktion, die selbst auch mit einem rauen, aber umso authentischeren Sound aufwartet. Irgendwie ist Your Beat Starts Missing A Heart klanglich eigentlich ein Vinyl-Album, das man aber getrost in jeglicher Form und Dosis empfehlen kann.

VÖ: 11.10.2008

Wertung: +++ (Markus Biedermann)

 

Nadine Kraemer Band – House of Cards | Fastball Music

{image}Es ist soweit: Mit House of Cards veröffentlicht die Nadine Kraemer Band ihr erstes, mit Spannung erwartetes Album. Auf diesem werden wir anfangs von arabischen Gitarrenklängen begrüßt, die in das Lied Come to me einleiten. Dieser kurzweilige Opener eröffnet das Acoustic-Pop-Album stilgerecht und bildet einen Einstieg zu den kommenden elf Songs, die allesamt von der Stimme Nadine Kraemers getragen werden. Gleich beim zweiten Lied Secret umgarnt sie uns, mit weiblich gehauchter Stimme: Die Sängerin hat kein Ausnahmeorgan, beweist aber mit einfühlsamer Interpretation, dem Einsatz leiser Passagen und einem warmen, verführerischen Stimmklang viel Gefühl. Im Laufe des Albums und im Zusammenspiel mit den Musikern entsteht so eine Stimmung, die bewusst keine Brüche hat. Die fehlende Dynamik und Gleichförmigkeit ist in diesem Fall also kein Negativum, sondern trägt zur Grundstimmung bei. Umso ärgerlich, dass auf I believe durch den halbgaren Einsatz verzerrter Gitarren diese Prämisse kurz und unkonsequent gebrochen wird. Irgendwie unbeholfen klingt dieser Versuch, ganz anders als Songs wie Why I Do, die gerade durch strenge Reduktion eine atmosphärische Dichte aufweist, wie sie sonst kaum in Popsongs zu hören ist. Zum Glück verfolgen die nachfolgenden Stücke wieder den roten Faden und brillieren durch ihr hohes Produktionsniveau. Die einzelnen Instrumente sind klar und sauber herausgearbeitet und doch verschmilzt der Gesamtklang der Gruppe zu einem einheitlichen Gefüge. Beachtet man dann noch das spielerische Vermögen der Band, könnte man fast in Versuchung geraten, von einem Topalbum zu sprechen, leider ist der tiefe Fall ins Mittelmaß aus anderem Grunde unausweichlich – die größte Schwachstelle des Albums sind ausgerechnet die Texte. Diese bewegen sich stets im gedanklichen Universum eines kleinen Mädchens, was an sich nicht verwerflich ist und natürlich einen gewissen Charme versprüht, aber Zeilen wie "all i touch threatens to break" oder "the ice is cold and let me freeze" verraten, ganz banal gesprochen, sprachliche Defizite. Ein A&R von Universal würde jetzt einen ganz schlimmen Satz fallen lassen: "Versucht's doch mal auf Deutsch, der Markt sucht das gerade."

VÖ: 07.11.08
Wertung: +++ (Julius Reich)

 

DJ Revolution – King Of The Decks | Duckdown

{image}Seit nunmehr 15 Jahren hat sich DJ Revolution ganz dem Handwerk des Turntablism verschrieben. Von Santa Monica in Kalifornien aus wurde er von allen ernstzunehmenden Größen des Rap-Games quer durch die Staaten "gefeaturet" und genießt durch seine hohen DJ-Fertigkeiten weltweite Anerkennung. Seit über acht Jahren legt er Seite an Seite mit dem famosen Bay Area-Duo Sway & King Tech in deren legendärerem HipHop-Radio-Programm "The Wake Up Show" auf. Im September erschien nun das lang erwartete neue Album von DJ Revolution, auf dem er sich selbst zum "King Of The Decks" krönt – und das völlig zu Recht. Neben einer erlesenen Aufstellung an bewährten Gastrappern wie KRS-One, Sean Price, Blaq Poet, Bumpy Knuckles und Defari finden sich mit Joell Ortiz und Termanology auch zwei der aufstrebendsten Newcomer des Business mit auf der Platte. Vor allem aber überzeugt Rev beim wichtigsten Betrachtungspunkt für ein DJ/Producer-Album: zu jedem Zeitpunkt ist seine Präsenz zu spüren. Wie ein Regisseur fungiert Revolution als DJ mit ausgefeilten Cuts und Scratches, ohne sich dabei in den Hintergrund drängen zu lassen. MC und DJ teilen sich stets das Spotlight – gemeinsam mit Plattenakrobaten wie QBert oder Spinbad verzichtet er bei bestimmten Tracks sogar komplett auf einen Vocal-Part und lässt allein die 1200 und 1210er sprechen. Highlights unter den 24 Stücken markieren zum Beispiel das schwungvolle The Big Top mit der Bostoner Spezialeinheit um Edo G oder das innovativ-arrangierte Ey mit Term und Ortiz. Eine besondere Note trägt auch Funky Piano, bei dem sich Revolution tief unten in der Jazz-Section seines Sample-Vinyls bedient hat und Grover Washington jr.’s Knucklehead gekonnt neu in Szene setzt. Insgesamt geht das Album steil nach vorne und überzeugt mit kraftvoll-pumpenden Beats. Optimales Aufputschmittel zum Herbstanfang!

VÖ: 30.09.08
Wertung: ++++ (Andreas Margara)

 

Mardi Gras.BB – My Private Hadron | Hazelwood

{image}Saxophone, Klarinetten, Trompeten, Hörner, Tiger-Orgel, eine Rhythmusgruppe und ein Fetter Dienstag. Klar! – Mardi Gras.BB. Die Mannheimer Jungs um den Doc veröffentlichen nach 7 Alben seit 1999 nun das 8. Album mit dem seltsamen Titel My Private Hadron. 11 Musiker, 11 Songs plus 4 Interludes und 40 Minuten Nuclear-Theremin-Shizo-Pop! Wie schon zu erwarten, zeigt es mal wieder wie man Jazz und Blues mit Pop und Rock und Bläser mit Rhythmusgruppe so einzigartig verbinden kann, ohne in eine Schublade gesteckt zu werden. Mardi Gras überzeugen wieder einmal voll und ganz mit ihrem einzigartigen Sound, ausgefallenen Arrangements und abwechslungsreichen Songs! Songs wie Child of Pop, If, The Bleeder oder Boogie Queen stechen besonders hervor und zeigen die rockigere Seite von Mardi Gras. Zum Album-Titel ist zu erklären: Hadronen sind sehr instabile, sphärische, zehn hoch minus dreizehn Zentimeter große Nuklearteilchen, die einer starken Wechselwirkung unterworfen sind. Den Rest lasst ihr euch besser selber auf ihrem Album erklären, welches sich bereits seit dem 26. September in den Ladentheken auf euch freut! Holt euch das Album, lernt die Songs auswendig und dann schleunigst ab auf eines der lohnenswerten Konzerte.

VÖ: 26.09.08
Wertung: +++++ (Philip Bölter)

 

 

So werten wir:

 

+

schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt

++

hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden

+++

das kann sich wirklich hören lassen

++++

ein TOP-Album

+++++

definitiv ein "must have"

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aufgelegt mardi gras.bb tiger lou