Metallica: "Death Magnetic"

Metallica: "Death Magnetic" © Unversal Music 2008

Welch ein Wirbel rund um Metallicas neuntes Studioalbum! Nach fünf Jahren kehren sie jetzt also mit ihrem Album "Death Magnetic" zurück. Es ist das neunte reguläre Studioalbum ihrer Karriere, das erste mit Robert Trujillo am Bass, das erste im "Leben nach dem Tod der Band" - so beschreibt es zumindest James Hetfield. Welchen Platz nimmt "Death Magnetic" in der langen Metallica-History ein?

{image}Produziert hat Rick Rubin, der seine Wurzeln Mitte der 80er Jahre mit Slayers Reign in Blood ausgeworfen hat. Und nun soll er Metallica laut Aussage der Band dazu ermutigt haben, sich an dieser Hochzeit des Metal zu orientieren. Metallica waren und sind in dem, was sie tun, durchaus immer kompromisslos. Kirk Hammett sagte bei der Pressekonferenz zum Release in Berlin, sie hätten tatsächlich versucht, sich in die 80er-Jahre zurück zu versetzen und wieder da anzuknüpfen, was sie auch damals getan, welche Filme sie sich angeschaut oder welche Musik sie gehört haben. Nun. Ihr eigener Blickwinkel auf sich selbst und die Welt hat sich aber stetig verändert.

Anfang der 80er standen Speed- und Thrash-Metal noch nicht wirklich hoch im Kurs. Doch Metallica gingen kompromisslos ihren Weg, der schon damals auch personelle Konsequenzen zeitigte. Im festen Glauben an sich selbst gelang es ihnen, sich den Weg nach oben zu ebnen und zu Pionieren, zu den ganz Großen des Genres zu avancieren. Der Höhepunkt war mit dem Über-Album Master of Puppets erreicht, ein Album, an dem damals maximal der Sound der Produktion bemängelt wurde. Ansonsten war es ein Meilenstein der Metal-Geschichte. Es muss nach dem Tod von Cliff Burton geschehen sein, dass sich der Blinkwinkel der Band zum ersten Mal heftig verschob. In der schweren Zeit wurden sie durch ihre damals schon massive Die-Hard-Fanbase und deren ungebrochenen Support aufgefangen. Mit dem Video "Cliff 'em All" (1987) setzten sie ihrem verstorbenen Bassisten ein Denkmal und gaben den Fans gleichzeitig zum ersten Mal mehr von sich selbst und ihrer Geschichte preis, als die reinen Alben-Veröffentlichungen, die schon immer nur im Abstand vieler Jahre kamen.

{image}Mit einem neuen Viersaiter und dem Album …and justice for all kam ein weiteres Stückchen Wandel bei Metallica. Einerseits blieb man musikalisch ziemlich eng am geschaffenen Stil, andererseits schielte man mit dem Video zu One bereits über den Tellerand hinaus auf eine breitere Käuferschicht am Musikmarkt. Versprochen gebrochen, denn ein kommerzielles Video hätte es laut allen vorangehenden Bekundungen der Band eigentlich niemals geben sollen. Doch diese Linie wurde konsequent fortgeführt: Nothing Else Matters vom schwarzen Album war alles andere als ein Fade to Black oder One, die bisherigen großen Balladen der Band. Es war im Gegenteil die endgültige, radiotaugliche Eintrittskarte in den Mainstream und ist heute der Wendepunkt, an dem sich die weitere Entwicklung der Band kurz beschreiben lässt: Die Authentizität der Band war angekratzt, die Fanbase begann sich in zwei Lager zu spalten. Einerseits in jene, die Metallica erst mit den jüngeren Alben für sich entdeckten und andererseits in die Die-Hards, die für sich eine Enttäuschung zu konstatieren hatten. Das veränderte umgekehrt auch das Selbstbild der Band, die im Kern doch eigentlich nach wie vor für "die Fans" produzierte. Doch woran jetzt noch orientieren? Load & Co. gerieten dementsprechend zu einer musikalischen Irrfahrt, welche die Band letztlich an den Rand des Zusammenbruchs führte.

Eine neue Art der Kompromisslosigkeit war an diesem Punkt gefordert. Erneut wurde die Einstellung radikal geändert, der Blickwinkel fiel zurück auf sich selbst. Diesen Seelenstrip kann jeder Interessierte in der erstklassigen Dokumentation "Some Kind of a Monster" sehen. Das Problem: Wer glaubt noch an die 100%ige Authentizität, nachdem er gesehen hat, wie der Schwermetaller James Hetfield sein Töchterchen beim Balletunterricht bewundert? Nachdem bekannt ist, welche hochdotierten Verträge man als neuer Bassist bekommt, welche Summen da im Raum stehen und diskutiert werden, bevor überhaupt der erste gemeinsame Song entstanden ist? Das gilt im Übrigen auch jetzt, wenn sich die Musiker bewusst und absichtlich in eine andere Zeit, zurück in die 80er versetzen, die mit ihrem heutigen Leben sicher nicht mehr alles gemein hat…

{image}Die Lösung zur "Monster"-Zeit, die zu dem Album St.Anger führte, sah letzten Endes folgendermaßen aus: "Es war so, dass wir ein Album machen wollten, das mehr nach einer Band klingt. Und dabei sollte niemand den anderen übertrumpfen oder irgendwie hervorstechen. Wozu auch solche Sachen wie Gitarrensoli oder andere Produktions-Geschichten zählten, die irgendwen ins Rampenlicht stellen könnten. Es sollte nicht das Individuum betont werden, sondern wir wollten uns als Band präsentieren. Wir wollten eng zusammenrücken und gemeinsam Musik kreieren" (Kirk Hammet im Interview mit Gitarre&Bass, August 2008). So konsequent und einleuchtend das aus dem Blickwinkel auf sich selbst heraus erscheint, als Rettungsanker, als neues Zusammenrücken und - finden, so sehr hatte dieser neue Selbstentwurf ein ganz dickes Hinkebein: Oft sind Bands eben doch auch vergleichbar mit der berühmten Kette, die nur so stark zu sein vermag, wie ihr schwächstes Glied. Der Verzicht auf Hammets Soli bei St.Anger führte zu einem schwachen Hammet. Ausgerechnet der Leadgitarrist als schwächstes Glied der Kette? Lars Ulrich, sowieso nicht der Welt bester Drummer, obendrauf mit einem verstümmelten Snare-Sound? Ein Irrweg. Aber auch in diesem blieben Metallica schließlich kompromisslos. Dies ist der einzige Umstand bei St.Anger, der dazu führte, dass Metallica wichtige Teile ihrer Fanbase zumindest wieder auf sich aufmerksam machen konnten. Kompromisslos und so offenherzig wie seit "Cliff 'em All" nicht mehr. Wenn's die Musik schon nicht tat, dann doch die Aufrichtigkeit dieser Phase – und damit einhergehend durchaus auch wieder ein gewisses Maß an Authentizität. Nicht eine solche, die das Bild von Heavy Metal Nerds nahe ihren Roots zeichnet, aber ein – in dieser Form vorgebacht – in sich stimmiges Bild.

{image}5 Jahre sind seitdem vergangen. Genug Zeit, sich weiter mit sich selbst zu beschäftigen, zum Beispiel den neuen Bassisten Robert Trujillo in die Band hineinwachsen zu lassen. Genug Zeit, sich mit dem Feedback auf St.Anger zu beschäftigen und offen zu werden z.B. für die Anregungungen eines anderen Produzenten. Genug Zeit für Rückbesinnung, den Blick schlussendlich von sich weg wieder hin zu den Fans zu wenden, die gespannter denn je auf den nächsten Schritt der Band warteten. Wieder kompromisslos die Fans zu bedienen wird zur neuen alten Formel: "Das Wichtigste sind nun mal die Fans, und was die Fans sich wünschen, liefern wir, wenn möglich" sagt Lars Ulrich im Interview auf spiegel.de. Das zurückgewonnene Plus dieser Band ist: Sie wissen ja letztlich doch ganz genau, was die Fans wollen. Und was diese nicht wollen: Sie wollen keine Metallica, bei denen die Einzelmusiker in ihren Stärken zurückstecken, um eine "Band" im engsten Sinne einer Musikerfreundschaft zu simulieren. Die Fans wollen Metallica mit jenem Sound, der den Metal nach vorne gebracht hat und der mit jenen herausstechenden Spezialitäten gespickt ist, wie den bis ins kleinste Detail ausgetüftelten Gitarrensoli von Hammet. Reichlich Umwege führten also zur Zieldefinition für Death Magnetic.

Wenn dann also alles an Zielen, an eigenem Anspruch für ein Album, an einen bestimmten Punkt, zu einer bestimmte Phase zurückverweist, was tut man dann, wenn man das Optimum herausholen will? Nun, für die Fans ist Metallica das Optimum, und so bedienen sich Metallica dann konsequenterweise eben auch intensiv bei sich selbst. Der Bezug ist weniger, was sie damals getan, welche Filme sie sich angeschaut oder welche Musik sie gehört haben, sondern vielmehr: Welche Musik und wie sie diese gespielt haben. Auf Death Magnetic bringt dies Vor- und Nachteile mit sich. Etliche Riffs, Sounds und Songstrukturen erinnern extrem an Vorlagen v.a. von den Alben Master of Puppets und …and justice for all, gewürzt und abgeschmeckt mit den mainstreamigeren Teilen des schwarzen Albums, teils gemixt und aneinandergereiht innerhalb eines Songs. Die Anleihen an Metallica führen zu den schwachen Momenten auf Death Magnetic, die anderen zu den starken.

{image}Mit den ersten Gitarrentönen des Openers That Was Just Your Life sind diese Assoziationen sofort da. Dieser Sound. Dazu ein Hetfield, der an den Vocals ganz eindeutig mit großem Selbstbewusstsein an die Rückbezüge herangeht und stilsicher die Rhythmusgitarre zockt. Rhythmischer und aggressiver kann man sich den Mittvierziger zumindest nicht mehr vorstellen. Lars Ulrich hämmert wie gewohnt den Beat, hat aber endlich wieder einen anständigen Sound verpasst bekommen und nach 4:53 Minuten ist es dann soweit: Das erste Solo von Kirk Hammet brettert durch die Boxen. Schnell, wild, ohne eine sofort haften bleibende Melodielinie – aber doch ganz eindeutig Hammet. Insgesamt eindeutig: Metallica. Keine Fragen offen wie noch bei St.Anger. Und in diesem Stile geht es genüsslich weiter. Gebrochenes Bretter-Riff bei The End of the Line, überhaupt ein wahrer Regenschauer an Riffs, anständige Breaks auch in Bridge und Chorus – ordentlich. Solo? Ja klar. Und die erste ruhige Passage noch dazu, darin die Zeile "The Slave becomes the master". Metallica zurück vom Sklaven ihrer selbst zum Master of Puppets, die Zügel wieder fest in der Hand, den Weg klar definiert. Natürlich ist auf Death Magnetic nicht alles Gold, was glänzt. Broken, Beat & Scarred, der dritte Song, ist zwar eine gute, aber keine überragende Nummer. The Day That Never Comes ist das schlechtere One oder Fade to Black, lebt aber davon, dass Trujillo diesen wie alle anderen Songs mit einem Gerüst trägt, das die Tracks an keiner Stelle schlechter als gut verkommen lässt. Viel besser geht es dann mit dem schnellen All Nightmare Long weiter, ein Lied, das sowohl vom Songwriting als auch von den Riffs her wirklich erfrischendes bietet und beweist, dass Metallica durchaus noch zu Komplexem in der Lage sind und Kirk Hammet das Gitarre spielen in seiner solofreien Zeit wirklich nicht verlernt hat. Cyanide, bei dem sich Trujillo und Ulrich offenbar daran erinnert haben, mal einen Part von Faith No More gejammt zu haben, erscheint in seiner Harmlosigkeit und bemüht wirkenden Melodiösität dagegen als Zugeständnis an Liebhaber der schwarzen- und der Load/Reload-Phase. Metallica setzen diesen Ausrutscher mit dem ruhigen The Unforgiven III fort und sorgen für reichlich Langeweile, womit die Schwächephase des Albums dann aber auch überwunden ist. Acht Minuten lang geht es nun mit The Judas Kiss in extrem groovige Gefilde, danach folgt ein zehnminüter midtempo-Ritt auf dem tieftönigen Wummerbassfundament und den Gitarrenlicks von Suicide & Redemption. Die Länge und Position des instrumentalen Tracks erinnert natürlich an Orion, und genau wie bei Master of Puppets auf diesen Song mit Damage Inc. dann ein krachender Uptempo-Abschluß folgt, geschieht es hier auf Death Magnetic auch mit My Apocalypse.

{image}Wer aufgrund solcher Umstände oder dem ein oder anderen irgendwie schonmal gehörten Riff an Death Magnetic kritisiert, das Album biete zu wenig Neues, nehme zu viel Elemente der 80er-Alben wieder auf, der hat diese Band, ihre Fans, und die Beziehung dieser zueinander nicht verstanden. Natürlich haben die Bay-Area-Musiker das Rad nicht neu erfunden. Aber: Someone demanded, they delivered. Und wenn es nur der Produzent mit seinen Ideen war, die er an die Band herangetragen hat. Ihm gebühren mit Recht all die lobenden Verweise auf ihn, aber gespielt haben Metallica, und sie klingen im Vergleich zum Vorgänger St.Anger einfach wieder mehr nach Metallica. Und genau das ist es doch, was von ihnen erwartet wurde. Und es ist die Kunst dieser Band, ihre Fans damit bei der Stange zu halten. Alle anderen Bands hätten ihre Base bei vergleichbaren Eskapaden (man nehme nur die Kontroverse vor einigen Jahren bzgl. Napster, die Schlagzeilen "Metallica verklagen Fans") längst verloren. Metallica haben ganz gewiss schon oft Scheiße gebaut. Aber sie lassen, wenn auch niemals sofort, doch immer eine Entschuldigung in Form einer Verbeugung vor ihren Fans folgen.

Unter dem Strich verbleiben mit That Was Just Your Life, The End Of The Line, All Nightmare Long und My Apocalypse vier herausragende Tracks in einer Qualität, die man von Metallica seit justice nicht mehr gehört hat. Death Magnetic ist deutlich besser als das schwarze Album und alles, was diesem folgte, andererseits aber sicher nicht ganz so gut wie das legendäre Master of Puppets oder eben auch …and justice for all. Saftige 4 von 5 Punkten haben sich Metallica damit aber auf jeden Fall verdient. Die Vorfreude auf eine ausgiebige Tour zum Album dürfte jedenfalls mit jedem Durchhören steigen.

Metallica – Death Magnetic | Universal

VÖ: 12.9.2008

Wertung: ++++ (Markus Biedermann)

So werten wir:

+

schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt

++

hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden

+++

das kann sich wirklich hören lassen

++++

ein TOP-Album

+++++

Hiermit wird Musikgeschichte geschrieben

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