Infaded

Infaded © Jana Massuthe

Top-Acts der Szene live in der Centralstation in Darmstadt: Das war das Programm-Versprechen am vergangenen Freitag, und es wurde zu hundert Prozent eingehalten. Eingebettet in einen Contest mit Jury- und Publikumsentscheid erlebte das Publikum vor allem eines: Ein starkes Konzert mit insgesamt 6 hervorragenden Bands.

{image}Es ist eine erstaunliche Veranstaltung, dieses Entega-Neukommer in Darmstadt. "Nur" mit Newcomern bestückt vermag es, die komplette Centralstation zu füllen. Zu verdanken ist das vor allem der Jahr aufs Jahr hervorragend zusammengestellten Bandauswahl, die auch vor Kontrapunkten in den Stilistiken nicht zurückschreckt. Dazu gesellt sich die souveräne Organisation der Darmstädter, von der Werbung bis zur Durchführung des Abends, ebenso wie die Unterstützung durch den namensgebenden Sponsor. Dieser ist auch maßgeblich für die zu vergebenden Geldpreise zuständig. Wie im Vorjahr wurde auch diesmal ein jeweils mit 500€ dotierter Jury- sowie ein Publikumspreis ausgelobt. Obendrauf ging es um den Sonderpreis: Einen Auftritt beim Darmstädter Schlossgrabenfest 2009, das schon seit längerem mit dem Mut überzeugt, starke Newcomer auf große Bühnen zu holen. Über den Publikumspreis hatte auch wirklich nur dieses durch eine Lautstärke-Messung des Applauses zu bestimmen, während sich die Jury zur Auswahl der Gewinnerband für die Sonder- und Jurypreise hinter die Kulissen zurückzog, um zu beraten. Beide, sowohl Publikum als auch Jury, erlebten den gesamten Abend über ein hervorragendes Konzert mit 6 Bands, die sich allesamt von ihrer starken Seite zeigten und niemanden enttäuschten. Die Preise verteilten sich am Ende auf At The Farewell Party und Sir Toby.

{image}Als Opener des Abends wurden Infaded aus Ober-Ramstadt gelost. Lange schon vor dem ersten Takt pressten sich die Gesichter der unglaublich großen Fanbase an die noch geschlossenen Türen der Centralstation. Türen auf, Reihen 1-30 voll, los ging's: Eingängige Refrains und ein druckvoller Sound sorgten von Beginn an für beste Stimmung. Irgendwo zwischen Green Day und Bad Religion findet sich diese Band stilistisch wieder, die mit einem Durchschnittsalter von geschätzten 17 Jahren für diese Show vollsten Respekt verdient. Klar, einige Schwächen gab es auch, so zum Beispiel beim mehrstimmigen Gesang, dessen gut gemeinten Absichten zu erkennen waren, an dem letztendlich aber noch einiges zu feilen ist. Egal. Druckvoller, launiger, ja besser hätte der Abend kaum beginnen können.

{image}Gesanglich und instrumental überaus versiert ging es danach mit Stephanie Neigel und ihrer Band weiter. Die allesamt hervorragenden Musiker an Mikro, Gitarre, Bass, Keys und Drums, überzeugten durch ihre souveräne Bühnenperformance und eingängige, poppige, soulige und funkige Sounds. Insbesondere Schlagzeug und Bass wissen exakt, was zu tun ist, um einen Song von einem Moment auf den nächsten aus seiner träumerischen Lethargie zu reißen und ihn in eine ansteckend druckvolle Nummer mit Hit-Potenzial zu verwandeln. Obendrauf gab es exzellentes Songwriting zu genießen – solch trickreich auskomponierte Schlüsse wie bei dieser Band hört man ansonsten leider allzu selten. Bei soviel Fokus auf die eigene musikalische Ausgereiftheit blieb dann aber zu einem gewissen Teil leider der Eindruck zurück, dass einige Passagen etwas akademisch heruntergespielt wirken, man könnte sie so durchaus auch auf einer Play-Along-CD wiederfinden. Für eine Live-Show ist das zu wenig durchgängige Emotion und Spontaneität, und dennoch bleibt zu sagen, dass diese Band das gesangliche und instrumentale Glanzlicht des Abends war.

{image}At The Farewell Party kamen spät, soundcheckten viel zu lange herum und verzögerten dadurch, sich bedächtig und mühsam in ihren Gig schleppend, den Programmablauf, sie laufen außerdem sekündlich Gefahr die vom Sänger durch die Luft gewirbelten Mikros zu schrotten oder sich damit mir-nix-dir-nix mal schnell die Zähne auszuschlagen, zudem spalten sie mit ihren Ansagen und einem Hang zum überheblichen Auftreten die Generationen zwischen Jung und Alt. Erstere voll dabei, letztere oftmals müde lächelnd. Sie polarisieren. Und damit haben sie sich geradewegs auf einen Erfolgsweg katapultiert, auf dem sie bis Ende des Jahres schon über einhundert Livegigs in ihrer History stehen haben werden. Natürlich kommt das auch musikalisch gesehen nicht von ungefähr: Starke Songs wie Togetherness, eine menschliche Energiemaschine an den Drums, die nahtlose Integration eines neuen Gitarristen, Action, Power und offenbare Spielfreude auf der Bühne  – das und vieles mehr hat gezeigt, dass ATFP durchaus zurecht auf dem aufsteigenden Ast wiederzufinden sind. Die Fanbase ist jung, aber beachtlich groß, euphorisch und sie steht wie eine unumstößliche Wand hinter der Band aus Frankfurt. So angelt man sich Publikumspreise, verdientermaßen.

{image}Nun kamen Stillway auf die Bühne der durch den ATFP-Gig wie elektrifiziert wirkenden Centralstation. Musikalisch solide, mit eingängigen Hooks und einer angenehm unaufdringlichen Show präsentierten sie ihre Songs, die man grob in den Bereich des Stadion-Rock einordnen kann. Einer sorgt dafür, dass sogar die Highlights ihrer Songs, nämlich die mit Effekten abwechslungsreich und spannungsvoll gestalteten ruhigeren Passagen, neben seiner Perfomance beinahe ein Schattendasein fristen. Er ist das große Plus der Band und der beste Mann seines Metiers an diesem Abend: Sänger Basti besticht durch Kraft und Dynamik in der Stimme, er trifft jeden noch so komplizierten Ton und zwischen den Songs hat er mit professionellen Ansagen alles im Griff. Was dieser Band vielleicht noch fehlt ist der Mut zu insgesamt mehr Expermentierfreude. Die Songs bewegen sich doch sehr auf den sicheren, deshalb aber leider auch etwas ausgetrampelten Pfaden ihres Genres. Da geht mehr, und man darf sich sicher darauf freuen, diese Darmstädter Band wachsen zu sehen.

{image}Der fünfte und letzte Act des Contest-Programmes waren Sir Toby aus Mainz. Hinter dem, was man verkürzt und ganz knapp einfach als Indie-Rock bezeichnen könnte, steckt einiges, das Lust auf mehr von dieser Band macht. Angefangen bei der einmaligen, gelegentlich eingestreuten rumpeligen Spielweise, über den sauberen, klaren, fein abgestimmten Bandsound bis hin zu krachigen Songs, die ohne übertriebene Arrangements auskommen – dafür aber auf den Punkt. Sie sind geprägt von der ausnahmslos guten und abwechslungsreichen Gitarrenarbeit, die immer wieder luftige Räume schafft, in denen kleine aber feine Leads in ihrer vollen Pracht aufblühen können. Der knallend wummerige Bass macht seine Arbeit perfekt, den musikalischen Raum trotzdem geschlossen zu halten und die Band druckvoll nach vorne zu führen. Und wenn's sich mal wirklich zuspitzen soll, dann schlagen Sir Toby mit mehrstimmigen Passagen zu und ein. Womit wir bei einem Schwachpunkt dieser Band wären: Gerade im direkten Vergleich zu Basti von Stillway oder der beinahe-Perfektion von Stephanie Neigel wird offenbar, dass Sir Tobys Sänger und Gitarrist Philipp noch an seinem Gesang arbeiten muss. Nichtsdestotrotz: Mit einer solch authentischen Band-Performance, soviel Spielfreude, soviel musikalisch kreativen Ideen und guten Songs, wie es Sir Toby bei diesem Konzert boten, so angelt man sich Jurypreise, verdientermaßen. Und den Sonderpreis gleich noch mit dazu.

{image}Während sich die Jury an dieser Stelle des Abends nun zur Beratung und Diskussion zurückzog, war es an den Beatshots, den Vorjahressiegern, das Publikum bis zur Verkündung der Gewinner bei Laune zu halten. Und das gelang ihnen mehr als nur überzeugend. Diese Band ist gereift. Sie hat starke Songs. Sie ist kreativ, sie ist innovativ. Hat eine charismatische Sängerin. Eine präzise Schlagzeugerin. Sie hat einen souveränen Bass und einen Gitarristen, der sich nicht nur bei seinen Akkorden etwas einfallen lässt, sondern vor allem auch mit seinen klanglichen Experimenten zu begeistern weiß. Solche Gitarrensounds schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel, und das gilt für die gesamte Performance dieser Band: Hier wird im Proberaum daran gearbeitet und auf der Bühne in ansteckendster Art und Weise zelebriert, wofür das Herz schlägt: Fantastische, "unerhöhrte" Musik. Die Beatshots gleichberechtigt auf der Bühne mit Indie-Größen wie Arcade Fire, Interpol oder einer beliebigen andere "großen" Band? Alles andere als unvorstellbar. Die "Zugabe"-Rufe des Publikums konnten trotz der vorangeschrittenen Uhrzeit weder die Band noch die Veranstalter ignorieren. Gott sei Dank.

Danach die Verkündung der Gewinnerbands. Einigen anderen Musikern stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, dass sie scheinbar leer ausgehen mussten. Verständlich, und es ist der Knackpunkt all dieser Contest-Veranstaltungen. Es gibt Gewinner und Verlierer – aber letztlich doch eigentlich nur auf dem Papier. Das Entega Neukommer wird allen Gästen als Spitzen-Konzert in Erinnerung bleiben, bei dem jede Band nur gewonnen hat, weil sie mit starken Auftritten überzeugten und für ein kurzweiliges Konzerterlebnis gesorgt haben. Man wird noch viel von ihnen hören, diesen Neukommern aus 2008.