Prof. Klaus Neumann-Braun

Prof. Klaus Neumann-Braun © Christian Hoffmann [www.musicandpress.de]

Im Rahmen der Sonderausstellung "Macht Musik" im Landesmuseum Mannheim fand ein Vortrag zum Thema "Glokale Entgrenzung - Zur Inszenierung von Gewalt und Sex im Musikvideo" statt, bei dem der Medienwissenschaftler Klaus Neumann-Braun interessante Erkenntnisse darlegte.

{image}"Der eine oder andere Schauer wird sich bei ihnen einstellen", warnt Professor Dr. Klaus Neumann-Braun zu Beginn. Ihm sei jedoch wichtig, keinen aufgeregten, sondern einen erhellenden Vortrag anhand ausgewählter Beispiele zu halten. "Ich möchte auf Aufklärung setzen", beteuert der Dozent. Zuerst müsse man den Begriff Gewalt genauer definieren: Es gibt zwei Ausprägungen von Gewalt, einmal die manifeste, körperliche Gewalt, im Fachterminus "Hard Violence" genannt. "Jemand bekommt den Schädel eingeschlagen", verdeutlicht Dr. Neumann-Braun. In Musikvideos komme physische Gewalt nur sehr selten vor, weshalb die Zensurdebatte innerhalb dieser Gattung, die Neumann-Braun als Kurzfilme ansieht und als "Filme in Espresso-Format" bezeichnet, stark abebbte. Daneben gibt es die "Inszenierung latenter Gewalt, die man erst auf den zweiten Blick wahrnimmt". Dazu führt der Dozent über seinen Laptop auf großer Leinwand den Videoclip zu Endgegner des HipHop-Künstlers Bushido vor: Ein martialisches Sondereinsatzkommando der Polizei stürmt eine Fabrikhalle, Türen werden gesprengt, also Gewalt gegen Sachen. Am Ende steigt ein explodierender Feuerball auf. Allerdings sichtlich verletzt wird niemand. "Trotzdem entsteht ein gewalttätiges Klima, Bushido gebärt sich als Retter der Entrechteten", analysiert Neumann-Braun, der diesen Videoclip als expressive Selbstinszenierung einstuft. "Bei einer guten Stereoanlage wird der Zuhörer auch taktil erreicht, nämlich durch die harten Bässe." Der Begriff "Glokal" ist eine Wortschöpfung aus global und lokal: Die HipHop-Kultur ist ein globales Phänomen, sie ist jedoch nur im Lokalen erfahrbar, beispielsweise durch örtliche Varianten in Berlin oder Frankfurt, die grundverschieden sind.

Latente Gewalt macht Neumann-Braun in dem Clip Bitter Sweet Symphony von The Verve aus. Sänger Richard Ashcroft marschiert mürrisch einen Bürgersteig entlang und rempelt Passanten an. Gewalt im Modus der Andeutung. "Er geht durch eine urbane Welt, die nicht schön ist, das Pflaster ist aufgerissen, fast alle Personen scheinen der Unterschicht zu entspringen", nimmt Neumann-Braun den Clip auseinander. Der Dozent erkennt eine kritisch-reflexive Intention dahinter: Leute, passt auf, was passiert mit uns in der Großstadt, sei die Kernaussage. Die "Bitter Sweet Symphony" ist somit die szenetypische Star-Körper-Inszenierung, der lyrische Einzelgänger des Britpop, mit dem sich viele identifizieren. Harte Kost ist der Clip Come To Daddy von Aphex Twin, in dem verstörende Bilder von kleinen Mädchen in Männergestalt und eine verzerrte Fratze zu sehen sind. Unsere eigene Welt ist uns fremd geworden heißt die Botschaft.

Ein Videoclip ist eine synästhetische Kunstform, die das Hören und Sehen, sowie das Zusammenspiel beider Komponenten, gleichzeitig beansprucht. Prof. Neumann-Braun unterscheidet zwischen Performance-, Narrations- und Konzept-Clip. "Ein Sänger steht auf der Bühne, auf der Straße oder im Studio", erklärt der Referent das Wesen des Performance-Clips. Für den Narrations-Clip wählt er folgende Definition: Eine Geschichte wird erzählt, doch keine ausgewachsene Story von epischer Breite, dafür ist die Zeit von rund drei bis fünf Minuten pro Musikvideo zu kurz. Unter einem Konzept-Clip ist ein künstlerisches Video zu verstehen, das zum Beispiel Farben oder Landschaften zeigt, die sich assoziativ aneinander reihen.

Eine hedonistische Partynacht, ausgelebt in Musikclubs, voller Drogenkonsum, Stripperinnen und Selbstzerstörung, dies hat der Clip Smack My Bitch Up von The Prodigy zum Inhalt. In diesem Filmchen geht die Gewalt ins Sexuelle über. "Manifeste weibliche Reize und Körperpräsentation stehen im Zentrum", so Neumann-Braun. Welche Folgen hat das für den Rezipienten? Professor Klaus Neumann-Braun hält die Veralltäglichung der Gewalt durch solche Clips für gefährlich. Es wird suggeriert, dass eine solche Grundhaltung angemessen ist ("Die größte Rekrutierung von Neonazis läuft über Musik"). Und am Schluss gibt es in Smack My Bitch Up sogar einen Rollentausch zwischen den Geschlechtern, als im Spiegel eine Frau auf dem Bett sitzend zu sehen ist und somit die Szene mit der Erwartung des Zuschauers bricht.

Literatur: 

  • "Coolhunters – Jugendkulturen zwischen Medien und Markt" (herausgegeben von Neumann-Braun, Klaus / Richard, Birgit; Suhrkamp 2006)

  • "Videoclips und Musikfernsehen" (Neumann-Braun, Klaus / Mikos, Lothar; Vistas 2006)

  • "Viva MTV! Reloaded – Popmusik in TV und Internet" (Schmidt, Axel / Neumann-Braun, Klaus / Autenrieth, Ulla Patricia; Nomos 2008, im Druck)

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