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Welch hoher Wertschätzung sich das Enjoy-Jazz-Festival inzwischen in der internationalen Jazzszene erfreut, lässt sich daran erkennen, dass der legendäre Altsaxophonist Lee Konitz sich dafür entschieden hat, seinen 80. Geburtstag in dessen Rahmen zu feiern. Das Publikum in der sehr gut gefüllten Alten Feuerwache wartete daher mit Spannung auf den Auftritt seines New Nonets, der allseits als etwas Besonderes angekündigt worden war.

Schon beim Konzert von Joe Lovano im letzten Jahr wurde deutlich, dass ein Nonett (oder mid-size-groups im Allgemeinen) eine willkommene Abwechslung vom small groups-Alltag der heutigen Jazzszene darstellen. Umso erfreulicher ist es, dass die Veranstalter von Enjoy Jazz immer wieder bemüht sind, diesen Gruppen zu ihrem Recht zu verhelfen. Lee Konitz gilt als eine der zentralen Figuren des Cool Jazz, einer Richtung des Jazz, die Distanz zum exstatischen, harten Sound des Be-Bop wahrte. Als er seine Karriere begann, galt der Altsaxophonist Charlie Parker, die zentrale Figur des frühen Be-Bops, als das Maß aller Dinge. Fast alle Altsaxophonisten versuchten seinen Sound zu imitieren. Nicht jedoch Konitz, der unter dem Einfluss von Lenny Tristano eine klarere, harmonischere, aber deshalb nicht weniger ausdrucksstarke Spielweise entwickelte.

Konitz jedoch allein auf den Cool Jazz zu reduzieren, würde ihm jedoch nicht gerecht werden, da er im Verlauf seiner langen Karriere sich stets neuen Formen und Ausdrucksweisen (namentlich der freien Improvisation) gegenüber aufgeschlossen gezeigt hat und dabei dennoch seinem unverwechselbaren Stil treu geblieben ist. Konitz ist eben kein Traditionalist, sondern ein Künstler, der stets nach einer angemessenen modernen Ausdrucksform für seine musikalischen Visionen gesucht und sie in den verschiedensten Kontexten gefunden hat. Seine Diskographie ist fast unüberschaubar und ein beredtes Zeugnis seines Erfindungsreichtums.

Bei Enjoy Jazz tritt Konitz, wie er es selbst scherzhaft bezeichnet, mit seinem "ten-piece-nonet" auf. Das Programm des Abends besteht mehrheitlich aus neuen Kompositionen von Konitz, für die Tenorsaxophonist Ohad Talmor Arrangements geschrieben hat. Stilistisch umfassen sie sowohl swingende uptempo-Stücke als auch sanfte Balladen. Ungewöhnlich am New Nonet, so auch der Name des Albums auf OmniTone, ist zunächst die Zusammensetzung. Es umfasst nicht weniger als zwei Bassklarinettisten (Oscar Noriega und Denis Lee), einen Cellisten (Greg Heffernan) sowie Trompeter Russ Johnson und Posaunist Jacob Garchik. Die Rhythmussektion besteht aus Bassist Matt Pavolka und Schlagzeuger Dan Weiss, Gitarrist Andre Fernandes hingegen übernimmt die Rolle eines Pianisten.

Ein so zusammengesetztes Ensemble bietet Komponist und Arrangeur die Möglichkeit, die ungewöhnlichen Palette der Klangfarben zur Geltung kommen zu lassen. Konitz und Talmor machen von diesen Optionen reichlich Gebrauch und schaffen es auf diese Weise, ein Konzerterlebnis zu gestalten, das durch seine Vielfalt und seinen Facettenreichtum besticht. Herausragend ist vor allem das atemberaubende Ensemblespiel. Die subtile Schönheit der Kompositionen entfaltet sich im glänzenden Zusammenspiel der jungen Musiker, die hervorragend ausbalanciert und aufeinander abgestimmt sind, was beispielsweise in der kollektiven Improvisation zum Ende des Klassiker Cherokee deutlich wird. Aus dem Ensemble treten die einzelnen Instrumentalisten hervor, die das Publikum mit ihren zielgerichteten und individuellen Soli begeistern. So erleben die Zuschauer ein Konzert wie aus einem Guss, das sich auf einem beeindruckend hohen Niveau bewegt.

Lee Konitz selbst ist weit davon entfernt, lediglich eine Nebenrolle zu übernehmen. Mit zunehmender Dauer des Konzertes wirkt Konitz trotz der Anstrengung verjüngt, gelöst und erfrischt. Seine humorvollen, bisweilen selbstironischen Bemerkungen tragen zusätzlich zu einer angenehmen Atmosphäre bei. Ebenso die Geburtstagsüberraschung der Organisatoren, die Wunderkerzen verteilten, welche die Alte Feuerwache stimmungsvoll erleuchteten, während das Publikum für Lee Konitz ein Geburtstagsständchen darbot. Der gelassene, unaufgeregte, aber immer spannungsvolle und ausdrucksstarke Ton seines Saxophonspiels verleiht dem Auftritt eine stilvolle Würde. Konitz ist kein Saxophonist, der atemlos von Höhepunkt zu Höhepunkt hetzt, sondern seine Soli mit Auslassungen und Pausen akzentuiert und sie dadurch besonders hervortreten lässt.

In der fast halbstündigen Blues-Improvisation erforscht Konitz in nicht weniger als vier Soli unterschiedliche Aspekte des Blues und bietet auch seinen Mitstreitern Gelegenheit, sich als Solisten auszuzeichnen. Mit der ersten Zugabe, Moon Beams von Miles Davis' legendärem Birth Of The Cool, auf dem er vor fast 60 Jahren in zentraler Rolle mitwirkte, blickt Konitz hingegen auf seine Anfänge zurück. Schließlich betritt der sichtlich zufriedene Altsaxophonist am Ende alleine die Bühne, hält die Zuschauer zum Summen an, improvisiert darüber einige Minuten und verleiht so dem Konzert einen würdigen Abschluss.

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