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Nick Talbot (Gravenhurst) © Warp Records

Durch Interviews beginne man, zu viel über sich selbst nachzudenken, meint Gravenhurst-Mastermind Nick Talbot. Da möchte man ja eigentlich gar nicht mehr weiterfragen! Oder vielleicht doch? Wir trafen Nick vor einem Soloauftritt in Berlin und sprachen mit ihm natürlich über das neue Album, das bereits in den Plattenläden dieser Welt auf uns wartet, die Band, aber auch über Inspirationen, deutsche Filme und groteske Begegnungen.

Hallo Nick. Vielen Dank für die Möglichkeit zu diesem Interview – du hast heute ja schon einige davon hinter dich gebracht.

Ja, ich hatte heute schon einige Interviews, aber auch interessante Fragen. Manchmal ist es gar nicht so einfach, darauf auch immer interessante Antworten zu finden. Schließlich will ich nicht immer dasselbe erzählen.

Am 7. September erschien euer neues Album The Western Lands. Bist du zufrieden mit dem Ergebnis?

Ja, ich bin sehr zufrieden mit dem Geschafften, zumal es ein hartes Stück Arbeit war. Wir haben mit den Aufnahmen schon vor zweieinhalb Jahren begonnen. Wir mussten viele Kompromisse bei der Songauswahl eingehen, um es auf 10 Lieder zu reduzieren. Wir haben die richtige Balance gesucht, da es einige Extreme auf der Platte gibt: Sehr laute und dann auch wieder leise Titel. Da gab es einige Diskussionen zwischen mir und Steve Beckett von Warp Records. Alles in allem wollte ich von Anfang an ein klassisches Album, mit einer Länge von ungefähr 45 Minuten und einer geraden Zahl an Songs, so dass es auf Vinyl passt und auf beiden Seiten die gleiche Anzahl an Tracks ist.

Nicht nur der musikalische Inhalt sollte ein eher klassisches Format transportieren, vielmehr auch die Aufmachung: das Cover sollte wirken wie ein traditionelles Jazzalbum. Mit diesem Album nutzte ich alle möglichen Konventionen, um dann dort meine Lieder hinein zu projezieren. Nicht, dass ich konventionell rüberkommen möchte, denn die Musik auf dem Album klingt nicht herkömmlich, aber warum ich es wollte - keine wirkliche Ahnung. Letztendlich bin ich echt glücklich mit dem Ergebnis! Alles auf dem Album klingt wie aus einem Guss, nichts sticht heraus, alles passt zusammen und ineinander.

Wie verliefen die Aufnahmen zu diesem, eurem fünften Album?

Es wurde über einen langen Zeitraum an vielen verschiedenen Orten aufgenommen. Andere Bands gehen direkt ins Studio, nachdem sie diverse Demobänder aufgenommen haben und produzieren dann ihre 14 Songs, um vor einem fertigen Album zu stehen. Ich dagegen arbeite am laufenden Band. Ich sammle ständig Eindrücke und Lieder, um letztlich zu sehen, welche Songs später am besten miteinander harmonieren. Während der Aufnahmen bin ich zudem 3 Mal umgezogen, habe diverse Tourneen hinter mich gebracht, bin total pleite gegangen, musste alle meine Gitarren verscherbeln, um mir neue zu leihen... - resümierend ist es schwer zu sagen, dass die Arbeiten an diesem Album in irgendeiner Art und Weise normal abgelaufen wären. Unser Drummer Dave Collingwood und ich haben uns schnell entschieden, nicht den professionellen Weg für die Aufnahmen zu wählen. So wechselten wir oft das Studio und spielten mit vielen unterschiedlichen Menschen zusammen.

Du bist der Kopf der Band. Wie gestaltet sich die Arbeit und bist du auch derjenige, der immer das letzte Wort haben muss?

Irgendwie schon. Ich bin der Schreiber, die Songs stammen alle aus meiner Feder, aber es besteht auch ein Art kreative Beziehung zwischen mir und Dave. Meine Solosessions sind ab und an von Einsamkeit gebeutelt, denn die anderen Jungs haben nach wie vor ihre Jobs, so dass ich als Musiker auch alleine auftreten muss. Trotzdem versuchen wir durch regelmäßiges Proben und Einüben der Stücke ein professionelles Band-Dasein zu leben.

Bei dem Albumtitel Western Lands  könnte man auch an The Great Western von James Dean Bradfield (Manic Street Preachers) denken. Gibt es da eine Verbindung?

Nee, kenne ich gar nicht. Du musst wissen, dass ich schon vor 3 oder 4 Jahren aufgehört habe, mich in der Musikpresse über andere Bands zu informieren. Ich will einfach nicht wissen, was andere so machen! Die britische Musikpresse ist nicht unbedingt freundlich, alles erscheint dir wie ein Wettbewerb. So vertraue ich stattdessen auf die Meinung und Empfehlung von Freunden. Das bringt mich auch bei meiner Arbeit wesentlich leichter weiter. Ich habe einfach keine Lust, ein Teil dieser Medienhetze zu sein. Ich möchte keinesfalls dazugehören und ständig was über mich in den Zeitungen lesen. In Deutschland sind die Journalisten ernsthaft an dir interessiert und geben sich Mühe - viel angenehmer!

Seid ihr bei den Arbeiten an der neuen Platte einer Art Weg oder zentraler Idee gefolgt?

Musikalisch gesehen ist es immer schwierig im Nachhinein einen Sinn auszumachen. Ich denke, vielen Musikern geht es so. Fällt mir echt schwer. Aber textlich gab es sicherlich einige Linien, welche sich durch die Platte zogen. In gewisser Weise geht es um den Fatalismus der Menschen und ihre ewigen apokalyptischen Gedanken, die sich  – auch religiös beeinflusst - um das Ende der Welt drehen. Den "Westen" verbindet man hingegen oft mit einem Blick nach vorne, mit Grenzen, die man immer weiter zieht. Und auch meine Arbeit soll vielmehr eine Vorwärtsbewegung und Offenheit darstellen, um nicht dem pessimistischen Denken der Mehrheit folgen zu müssen. Auch wenn einige Leute sagen, ich würde eher "dunkle" Musik machen: Ich sehe es anders und blicke meistens sehr optimistisch in die Zukunft.

Wo kommen deine Ideen und Inspirationen für neue Songs her?

Das ist beinahe unmöglich zu beantworten. Eine Frage mit offenem Ende, auf die man endlos antworten könnte. Aber kennst du Alan Moore? Er hat seit den 80ern viele gute und für mich inspirierende Comics geschrieben. Die Filme, die daraus entstanden sind - wie "V for Vendetta" - finde ich totalen Mist, aber seine Bücher sind faszinierend. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen.

Deine Lieder behandeln textlich viele unterschiedliche Themenkomplexe. Wie verbindest du Musik und Text?

Zum Beispiel She Dances, der zweite Song auf der Platte: hierzu hatte ich die Musik schon 1997 geschrieben und brauchte weitere 10 Jahre, um den passenden Text dazu zu finden bzw. zu schreiben. Manchmal schreibe ich 12 Songs im Jahr und dann wieder keinen einzigen … je nach Gemütslage. Ich schreibe nebenbei noch einiges anderes wie Blogs (policediversnotebook) oder viel über Politik. Aber mit Songtexten ist es so eine Sache. Man kann das gar nicht richtig beschreiben. Seit 11 oder mehr Jahren schreibe ich Musik und habe bisher nicht herausgefunden, wie ich es mache und ob ich es richtig oder falsch mache - es funktioniert einfach.

Worum geht es denn z.B. in der Single Trust?

Es ist ein Liebeslied - ein Lied über das Anlehnen an jemanden. Irgendwie der eindeutigste Song, den ich gemacht habe. Es geht auch um das Ende einer Beziehung und die Erkenntnis, dass man mit einem Menschen zusammen war, dessen Vergangenheit man in den seltensten Fällen richtig kennt. In diesem Lied versuche ich die Idee zu vermitteln, wie es wäre, wenn man Menschen aus eben dieser Vergangenheit des jeweils Anderen kennen lernen würde.

Wie seid ihr auf die Idee mit dem Mix aus schwarz-weiß und Animationen im Video zur Single Hollow Men gekommen?

Wir haben einen Regisseur beauftragt, der den Text nicht kannte - was gut war! Und das ist dabei herausgekommen. So achtete er nur auf die bekannte Melodie und formte daraus ein Video. Nimmt man die Texte für ein Video als hauptsächliche Grundlage und dann auch noch wörtlich, dann kommt oft so etwas wie ein verfilmtes Kinderbuch dabei raus, das einem erzählt, was in dem Song passiert. Aber das ist meiner Meinung nach nicht der Punkt, weshalb man ein Musikvideo macht. Da könnte man auch einfach den Text einblenden. Mir ist der Ansatz wie bei Hollow Men viel lieber. Es ist impressionistischer!

In dem Film "Ein Freund von mir" kann man zwei Songs von euch hören. Wie kam das zustande?

Sebastian Schipper, der das Drehbuch geschrieben hatte und Regie führte, fragte mich ursprünglich, ob ich die komplette Musik für seinen Film machen könnte. Allerdings war ich zu diesem Zeitpunkt arbeitsmäßig so eingespannt, dass ich es nicht schaffte. Stattdessen nahmen sie zwei Lieder. Eines von Fires In Distant Buildings und einen Song, den ich extra geschrieben hatte. Zudem war es eine schöne Erfahrung, einen Song zu produzieren, welcher alleine steht und nicht zwingend in ein Album passen musste.

Hast du einen deutschen Lieblingsfilm?

Ich mag die Horrorfilme von Jörg Buttgereit. Wenn ich nicht unbedingt an Musik denken möchte, schaue ich mir gerne doofe Filme an. Filme, die mich ablenken, egal welches Genre.

Warum habt ihr bisher so selten in Deutschland gespielt?

Eigentlich haben wir sehr viel in Europa gespielt. Allerdings kaum in England. Dafür aber in Frankreich, Deutschland, Belgien und recht viel in den USA. Aber diesen Oktober spielen wir drei Wochen lang in UK, und nach einer Woche Pause geht es noch einmal für drei Wochen durch Europa (deutsche Tourdates siehe unten; Anm. d. Red.). Das wird unsere bisher größte Tour.

Heute Abend wirst du noch einen Soloauftritt haben. Bist du schon aufgeregt?

Eigentlich habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht. Ich bin nur müde nach all den Interviews. Ich fürchte, ich werde verrückt! Interviews sind schon gut, aber z.B. bei einem Gig mit Animal Collective in Paris ist es mir erst kürzlich passiert, dass ich zu viele Interviews gegeben habe und letztlich musste ich auftreten und hatte nur noch 3 Minuten, um mich in Stimmung zu bringen. Normalerweise nehme ich mir eine Stunde vor einem Konzert, um noch etwas zu entspannen und mich vorzubereiten. Das war richtig ätzend. Durch Interviews beginnt man auch, zu viel über sich selbst nachzudenken. Gerade wenn man nach dem musikalischen Schaffensprozess gefragt wird – da mache ich mir so gut wie keine Gedanken und habe keine richtigen Antworten auf die Fragen. Die kommen dann eher spontan. Auch auf der Bühne will ich einfach abschalten und spielen, nur auf das Wichtigste achten müssen: Was macht meine linke Hand, greife ich richtig und so. Von allem anderen will ich frei sein und deshalb ist es schwierig, direkt aus einer Interview-Situation heraus abschalten zu können, um einfach mit der Musik loszulegen.

Letzte Frage also: Hast du schon was Eigenartiges erlebt seit du hier bist?

Tatsächlich, habe ich! Ich war in einer Bar namens 25 und dort habe ich eine Tasche voll Kokain auf dem Fußboden gefunden. Schon schräg, oder?!

Herzlichen Dank für das Interview, Nick!

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