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© shy guy at the show

Wieder haben wir eine Auswahl an wichtigen und interessanten Neuerscheinungen auf dem Tonträgermarkt für euch "aufgelegt", durchgehört und uns bis zu einer Bewertung vorgewagt. Diesmal mit einem durchwachsenen Album von Chris Connelly, einem deutlich besseren von Shy Guy at the Show und Top-Alben von Jai-Alai Savant und Scarabeusdream.

Chris Connelly – The Episodes | Label: Durtro Jnana

Chris Connelly besitzt durch sein Werk mit den industrial-rock Bands Ministry, Revolting Cocks und Fini Tribe einen gewissen Grad an Bekanntheit. Sein jüngstes Solowerk The Episodes erinnert allerdings eher an die avantgardistische Popmusik von Scott Walker. Die Musik auf The Episodes ist dicht, düster und intensiv: Über einem Klanggerüst aus repetitiven Rhythmen, die von vornehmlich akustischen Instrumenten (namentlich Gitarren, Bass, Schlagzeug und Percussion) geschaffen werden, entwickelt Connelly seine dunklen Visionen. Dabei folgt sein Gesang oft den rhythmischen Grundstrukturen der Musik, seine Phrasierung ist so regelmäßig und monoton wie ein Mantra. Seine Versuche durch Variierung von Stimmlage und Intensität ein Gegengewicht zu schaffen, resultieren häufig in allzu überbordendendem Ausdruck, da es ihm an musikalischer Ausdrucksfähigkeit und technischer Brillanz fehlt. Ein Beispiel dafür ist Mirror Lips, an dessen Ende sein Gesang zu einem unangenehmen exstatischen Geschrei herabsinkt.

Es ist vor allem die Monotonie von Musik und Gesang, die The Episodes zu einem äußerst anstrengenden Hörerlebnis macht. Der Einsatz eines Vibraphons auf einigen Liedern erweitert die ansonsten sehr beschränkte Klangpalette beträchtlich und hätte bei konsequenter Umsetzung diesem Werk viel von seiner Undurchdringlichkeit nehmen können. So verfügt das Album jedoch über nichts Einladendes, nichts Offenes, das einen Zugang zum Künstler ermöglichen könnte: Alles Menschliche bleibt unter dichten Schichten von düsteren Klangfarben verborgen. Es ist kaum zu glauben, dass Teile des Albums in einem Wald unter freiem Himmel eingespielt wurden, so klaustrophobisch ist die Atmosphäre, die es durchdringt. Die Texte der Lieder sind fast ebenso undurchdringlich wie die Musik: Sie wirken wie abstrakte Gemälde in düsteren Farben: Persönlichkeiten oder selbst Konturen lassen sich nur schwer ausmachen. Ihre schiere Länge – fünf der sechs Lieder sind länger als sieben Minuten – trägt dazu bei, dass das Album als einziger langer Track erscheint, unterbrochen nur von gelegentlicher Stille. Bei aller bewundernswerten Ambition, die Connelly auf diesem Solowerk offenbart, bleibt doch die Frage, wie viele Zuhörer dazu bereit sind, ihm auf seinem Weg zu folgen.

Wertung: ++ (Daniel Nagel)

Shy Guy At The Show - Affection | Label: Eigenvertrieb

„Ich bin nicht Carsten, Sebastian, Boris, David, Jonas oder Sebastian, denn ich bin shy guy at the show.”  Das ist auf der Homepage der Band zu lesen und offenbart dem Hörer von Affection (the sequence of events) einen ersten Schlüssel für alle zwölf Songs. Denn als Protagonist des Albums erscheint eben jener shy guy at the show, der Welt nicht abgewandt, sondern leidend an ihr. Das bedeutet 12 Songs voller Leidensdruck, wie ihn Ian Curtis nicht schöner hätte sezieren können. Von Dance with me, der eskapistischen Tanzaufforderung, dem ein oder anderen fatalistischen Augenzwinkern in Rejection, bis hin zum achtminütigen Sweet Disintegration. Das Ergebnis ist und bleibt das gleiche - nämlich ernüchternd. Und dahinter klingt das alles unausweichlich nach Kerzenwachs auf Büchern, den Ruinen der eigenen Existenz und nicht zuletzt wieder Joy Division. Affection benennt im Englischen sowohl Zuneigung als auch Liebe. Doch nicht an der Liebe scheitert der Antiheld dieses Albums, sondern an der Welt, an der sie zerbrechen muss. A Butterfly in December muss ohne Fazit auskommen und spiegelt doch ein gelungenes Album wieder: "Like a butterfly in december, like a flower in the snow, like a mother in the hospital, like a shy guy at the show."

Wertung: +++ (Henning Köhler)

The Jai-Alai Savant - Flight of the Bass Delegate | Label: City Slang

Zunächst bleibt festzuhalten, dass Ralph Darden ja mal sowas von prädestiniert ist für die nächste "NME Cool List", seitdem dort auch sogenannte Randgruppen zugelassen sind. Genau dafür qualifizieren ihn mindestens Songs wie Scarlett Johansson Why Don’t You Love Me? oder selbst postulierte Parallelen zwischen ihm und Superman. Auch in seiner Band The Jai-Alai Savant spricht er frisch heraus, nimmt nie ein Blatt vor den Mund. Alles klar also? Nicht im geringsten. Denn die ersten Durchläufe von Flight of the Bass Delegate hinterlassen zunächst eher völlige Verwirrung. Da wird soviel unter einen Hut gebracht, soviel vermischt und wieder ausgespuckt, da braucht es seine Zeit bis all die Referenzen (The Police, The Clash, Fugazi, Bad Brains) durchschaut sind und das sich über und über echauffierende Gekeife Dardens bändigen lässt. In diesem Hexenkessel aus Post-Punk, Dub, Indie, Reggae und letztlich unwiderstehlichem Groove, reichen sich Wahnsinn und die pure Spielfreude die Hand. Irgendwo in der unbedingten politischen Dimension dieser Musik, die mal das sonnige Gemüt anspricht, dann wieder in der schönsten Rage stattfindet, kollidieren Posaunen mit Hardcore und die komplette Karibik mit Chicago. "I'd like to think of us as much more as the sum of our influences" sagt Darden und behält schließlich recht. Denn: Das Aufdröseln der Summe der einzelnen Teile führt in die Sackgasse. Das, was alles zusammenhält und die Hörerin/den Hörer nicht aufgeben lässt, bis die ungewohnten Charakterstika dieser Musik abgetastet sind, das macht The Jai-Alai Savant aus. 

Wertung: ++++ (Henning Köhler)

The Scarabeusdream - Sample your heartbeat to stay alive | Label: Wire Globe Recordings

{image}Rasseln und ein alt klingender, zerhackter und mit Hall geladener Elektroklavier-Sound, gleich gefolgt von einem schreienden Gesang: das ist die Begrüßung des Hörers von The Scarabeusdream bei Break In June. Indische Klänge laden einen danach zum Wegfliegen ein, werden aber bald wieder von dem Klavier abgelöst, das über das ganze Album einen harmonischen Faden spannt. Und werden abgelöst von einem mehrspurigen Gesang, der den Zuhörer in diese musikalisch vielfältige Welt einweisen möchte. Oft wird der Sound absichtlich auf "dreckig" geschraubt. Und jedes Instrument kommt dabei an die Reihe: in erster Linie die Stimme, aber sogar das Schlagzeug, das teilweise extrem trocken abgemischt wurde. Elektro-Beats und Synthie-Sounds tauchen urplötzlich auf, voller Pop und Metal-Depression und bei Strollerstore wird der musikalische Raum von einem Gesang erfüllt, der dem Hörer von sogenannter Weltmusik bekannt ist. Gefühle und Leere, Klassik und Minimalistik, Hardcore und Weltmusik, Lounge und Breakbeat bilden das Universum dieser fantastischen Platte, die jedem, der sich zum Beispiel schon mit Trail of Dead, The Mars Volta, White Stripes und The Blood Brothers positiv auseinandergesetzt hat, gefallen wird.  Wenn das Klavier auf eine klassische und ruhige Reise verführt, sollte man auf brutalste Wechsel gefasst sein: progressiv und psychadelisch sind The Scarabeusdream. Dies bedeutet auch: experimentierfreudig bis hin zu dem krönenden Abschluss des Albums, Everything’s Gone. Der Name dieser Platte ist Programm. Bernd Supper und Hannes Moser haben ihren ganzen Herzschmerz in dieses Album gesteckt. Ihr Lebenselixier ist die Musik - das hört man, das spürt man. Über die österreichische, aus zwei Mann bestehende und multi-talentierte Kombo (Aufnahme, Mixdown und CD-Artwork gehen auch auf ihre Kappe) erfährt man im Web leider etwas wenig. Die Art der Live-Performance zeigt nur so manches Video: zwei Musiker stehen sich auf einer Bühne gegenüber - der eine am Schlagzeug, der andere am Synthie - und versprühen große Leidenschaft für ihre Musik. Unser Live-Tipp für die Progressive-Fans: The Scarabeusdream am 30. August im Mobilat, Heilbronn (zu unserem Review: hier entlang)!

Wertung: ++++ (Anne-Laure Fontaine-Kuhn)

So werten wir:

 

+
schnell auf ebay damit, bevor es jemand merkt
++
hier mangelt es an so einigen Ecken und Enden
+++
das kann sich wirklich hören lassen
++++
ein TOP-Album
+++++
das hier kann dir die große Liebe ersetzen

 

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