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Blumfeld (live in Hamburg, 2014) © Falk Simon

Seit einer Woche läuft die definitiv letzte Tournee der Hamburger Band Blumfeld, die im Januar mit dem Satz "ein Kreis schließt sich" das Ende ihrer sechzehnjährigen Bandgeschichte verkündeten und damit die eingefleischten Fans schockten. Diese Tour ist es also, die von den Gründungsmitgliedern Jochen Distelmeyer und Andre Rattay gewählte Art zu verschwinden.

Ein ausverkaufter Karlstorbahnhof in Heidelberg – wie an den meisten Spielstätten dieser Tour – macht den Musikern seine Aufwartung. Leises Munkeln unter den Besuchern deutet auf den Charakter der Veranstaltung hin: "Hoffentlich spielen sie noch einmal Graue Wolken"; "Verstärrrrker".

Allerspätestens seit Blumfeld wissen wir: Die Götter sind korrupt, das Leben ist nicht fair ("Tics") – und so kann sicherlich nicht jeder Wunsch an diesem Abend seine Erfüllung finden. Dennoch hat die Band eine beachtliche Setlist im Gepäck und beginnt ihr etwas über zwei Stunden andauerndes Konzert mit "Draußen auf Kaution".

Fragen über Fragen

Vereinzelte "wieso" und "warum"-Rufe zwischen den Songs sind der verzweifelte Versuch, einen eindeutigen und knallharten Grund für die Bandauflösung von Distelmeyer in Erfahrung zu bringen.

Jener scheint auf dieser Tour zwar durchaus etwas sentimental aufgelegt zu sein, animiert sein Publikum aber durchweg zum mitsingen ("Apfelmann"), mitklatschen und mehrmaligem Abfeiern seiner Mitmusiker; all dies in einem Maße, das man von Blumfeld-Konzerten bisher so nicht gewohnt war.

Das "warum" kontert er hingegen lapidar mit Sätzen wie "du bist auch toll", "Fragen über Fragen" oder "man muss auch loslassen können" und ist damit eigentlich nur konsequent: Blumfeld kamen ungefragt und gehen ungefragt ("Eintragung ins Nichts"), auch ohne, dass die Welt zugrunde geht, doch steckt verborgen in den Zeilen eben diesen Songs eventuell die eingeforderte Antwort:

wir kommen ungefragt und gehen ungefragt

der Schmerz sagt ich, die Tränen werden hart

und der Körper zeigt Schwäche

Ich steh' im Bad und sehe rot

die Spatzen pfeifen von den Dächern

ich glaub der Hahn ist tot

ich schlag die Zeitung auf und werde zum Rächer

Man muss den Tatsachen ins Auge sehen

O.K., das reicht - wir werden nicht bestehen

 

Eintragung ins Nichts - das sind wir

unbemerkt und schon vergessen

Eintragung ins Nichts - verrat mir

wer sollte uns vermissen

die Welt in der wir leben wird zu Grunde gehen

und ich hab nichts mehr zu verlieren

nur mein Glück und das sagt wir

 

Die letzte Zeile erfährt auf dieser Tour eine unmissverständliche Wandlung. Jochen Distelmeyer singt nun:

und ich hab nichts mehr zu verlieren

nur mein Glück und das seid ihr

Womit er seine über lange Jahre und alle Kontroversen hinweg treuen Fans im Sinne hat. Seine Ansage "ihr ward ein tolles Publikum" bezieht sich somit wohl auf alle, die den Diskursen getrotzt oder daran mit Freude teilgenommen haben, angefangen vom Textbedeutungs-Rätselraten in den Jahren der ersten beiden Alben, über die Diskussion zu Heimat und Popmusik bis hin zu der Frage, warum der Apfelmann mit dem Zaunpfahl winkt.

Eine hervorragende Liveband

Eben an jene, die sich nun auf der Abschiedstour einfinden und eines schon lange wussten: nämlich dass Blumfeld auch schlicht und ergreifend eine hervorragende Liveband sind. Für diesen Umstand zeichnet sich vor allen anderen besonders einer verantwortlich: Der Mitbegründer von Blumfeld und Schlagzeuger Andre Rattay. Er hält solide und mit perfektem Timing das zusammen, was die Texte erst zum Tragen bringt: Die Musik, die Songs.

Über alle Jahre war er der sture Fels, der sich von nichts irritieren lies, selbst damals nicht, als Jochen Distelmeyer auf dem Weg hin zur Veröffentlichung des ersten in Richtung Pop driftenden Albums Old Nobody seine Gesangsübungen live vor Publikum praktizierte und abgeschmackte Coversionen wie z.B. von Killer darbot.

Dass die Hamburger trotz solcher Absonderlichkeiten ihre Live-Qualitäten zu keinem Zeitpunkt einbüßten, ist der Verdienst von Rattay. Die Songs kontinuierlich weiterzuentwickeln, auch und gerade die Live-Versionen, das ist andererseits natürlich das Ergebnis der ausgesprochenen Experimentierfreude von Distelmeyer und seinem Hang dazu, seine musikalischen Quellen offenzulegen.

Kein anderer Song steht dafür so exemplarisch wie das auf jedem Konzert vehement eingeforderte "Verstärker", das erst nach mehreren Versionen seine aktuelle Form mit dem eingebauten Versatzstück von Prefab Sprouts Klassiker "Electric Guitars" fand. Selbst der wie so oft enttäuschende Sound des Heidelberger Karlstorbahnhofs kann der Stimmung im Publikum keine Abstriche abringen.

Why, oh Why

Also "warum"? Kamen sie zu früh, die Liebeslieder an Obst und Tiere (Liebeslieder)? Ging es nur noch in die falsche Richtung ("Zeittotschläger")? Oder scheiterte die Band letztendlich an der Diktatur der Angepassten? Nur eines steht fest: Politisch mundtot ist Distelmeyer noch nicht. Den letztgenannten Song, in dem es unter anderem heißt

Ihr habt immer nur weggesehen

es wird immer so weitergehen

versetzt er in der dazugehörigen Ansage mit einem deutlichen Seitenhieb gegen den amtierenden Innenminister Wolfgang Schäuble: "total Gaga" seien dessen extrem weitgehenden, angedachten Maßnahmen zur inneren Sicherheit und noch dazu von Schäubles eigenen Ängsten getrieben. Man mag nur ein lautes "ja" anfügen und den Song als Mahnung und deutliches Statement verstehen.

Also willkommen zurück in der Wirklichkeit. Es fragt sich: War das etwa schon alles (Ich – wie es wirklich war)? Diese Art von Verschwinden – durchaus eine gute und überzeugende? Zurück dahin, wo Jochen Distelmeyer eigentlich herkommt? Und wo ist das? Was wird kommen nach Blumfeld?

Viele Fragen, die selbst die alten Blumfeld-Texte im Lichte des Abschieds neu stellen. Lied von weit weg, auf CD, Vinyl und MP3, so bleibt ihr mir nah, denke ich mir.

Weder unbemerkt noch bereits vergessen.

Und nach dem Konzert, das Distelmeyer zu den letzten Takten von "Die Welt ist schön" mit den Zeilen aus Cole Porters Jazz-Ballade "Everytime We Say Goodbye" abschließt, bleibt nur eine Frage übrig: "Kommt ihr mit in den Alltag?"

Everytime we say goodbye, I die a little,

Everytime we say goodbye, I wonder why a little,

Why the gods above me, who must be in the know.

Think so little of me, they allow you to go.

When you're near, theres such an air of spring about it,

I can hear a lark somewhere, begin to sing about it,

Theres no love song finer, but how strange the change from major to Minor,

Everytime we say goodbye.

Setliste

Draußen auf Kaution | Mein System kennt keine Grenzen | 2 oder 3 Dinge die ich von dir weiß | Weil es Liebe ist  | Ich – wie es wirklich war | Tics| Der Apfelmann | Wir sind frei | Eintragung ins Nichts | In der Wirklichkeit | Der Sturm | Sonntag | Diktatur der Angepassten | So lebe ich

Tausend Tränen tief | Viel zu früh und immer wieder Liebeslieder | Penismonolog | Zeittotschläger | Graue Wolken | Kommst du mit in den Alltag |

Verstärker

April | Die Welt ist schön

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