Kings of Convenience (live beim Primavera Sound 2012)

Kings of Convenience (live beim Primavera Sound 2012) © Eric Pamies

Am frühen Samstagabend, vor den letzten Konzerten im Parc del Forum, wehte neben den Plastikbechern vom Vortag auch eine gewisse Katerstimmung mit über das Festivalgelände. Dass auf dem Primavera Sound die Bühnen noch bis in die frühen Morgenstunden von DJs mit Weltformat bespielt werden, fordert eben seinen Tribut. Zusätzlich zog der bis dato wolkenlose Himmel etwas zu und die Sonne warf lediglich ein trübes Licht durch den dünnen Wolkenschleier. Da das erste Highlight des Abends noch bis um halb neun auf sich warten ließ, bot sich die Gelegenheit, etwas über das fast leere Festivalgelände zu schlendern und ein paar Eindrücke zu sammeln.

Teil 1 hier lesen | Teil 2 hier lesen

{image}Dabei stolperte man, wie so oft auf dem Primavera, über Konzerte von kleineren, unbekannten Bands, die meistens als nette Abwechslung, manchmal aber auch als positive Überraschung daherkamen. So auch die Show der Katalanen Anímic, die den ersten Slot des Samstag Abends auf der Pitchfork-Bühne zugestanden bekommen hatten. Mit einer Mischung aus Folk und Postrock, die von sanft bis drängend-intensiv wirkt, liefterte die Band den perfekten Soundtrack für Wetter, Stimmung und Uhrzeit.

Die dank Animíc gewonnene Harmonie mit dem eigenen Seinszustand und der Umwelt wurde dann aber jäh durch Lisabö aufgerissen, die mit drei Gitarren, zwei Drumsets und einem Bass die akustische Strapazierfähigkeit der Besucher auf die Probe stellten. Zu Beginn wirkte der noisige Post-Hardcore noch erfrischend und innovativ, aber nach den ersten beiden Songs wurde die Strukturlosigkeit der Tracks zum Muster, da es denn Basken nicht gelang, die Splitter der Stücke zu einem Ganzen zusammenzufügen und so einen Spannungsbogen aufzubauen.

Um die reizüberfluteten Nerven wieder etwas herunterzukühlen bot sich dann mit den Kings Of Convenience die ideale Möglichkeit, bei einer Zigarette und einem Bier der Abenddämmerung beim Hereinbreichen zuzuschauen. Die erste Hälfte des Sets absolvierten die beiden Norweger alleine und dank des minimalistischen Easy-Listening-Indies, sowie den freizügig konsumierten Suchtmitteln, konnte sich das Nervenskelett etwas erholen. Als sich das Duo dann mit drei weiteren Musikern zur ausgewachsenen Band entwickelte, zog auch die Geschwindigkeit des Konzerts ein wenig an, so dass sich so mancher Besucher gar zum Tanzen verleitet sah.

{image}Sich ganz ihrer Verpflichtung als Hype-o-meter bewusst, traten die Massen dann den langen Weg zur Mini-Stage an, um gemeinsam Teil des Phänomens Beach House zu werden. Der einzige einleuchtende Grund, warum die Band aus Baltimore sich solch eines Erfolg erfreuen kann, liegt wahrscheinlich darin, dass sie einfach niemandem auf den Schlips treten. Viel glatter und kantenloser kann man Popmusik vermutlich nicht planen, ergehen sich doch selbst die Lyrics in großspurigen Metaphern, die sich in bedeutungsschwangerer Ambivalenz verlieren. In diesem Fall ergänzte die charakterlose Mini-Bühne das auf ihr dargebotene perfekt und so kreierten sich etwa 70 Minuten vollkommene Leere.

Kontrastprogramm zum Kontrastlosen sollte aber sofort folgen und so begab man sich auf den langen Weg zurück zur Vice-Bühne. Dort hatte Ex-Black Flag und Circle Jerks-Frontmann Keith Morris mit seiner Punk-Rock-Supergroup OFF! gerade begonnen, das Publikum und die Welt im Allgemeinen anzuschreien. Neben Hardcoresongs nach dem gewohnten Punkrezept erfuhr man nebenbei noch, dass die Absage von Sleep am Tag zuvor durch die Erkrankung eines Bandmtglieds an einem Aneurysma begründet war. Abgesehen von dieser bestürzenden Nachricht war die Darbietung der Band aber eher uninteressant, machten die Herren ihren Job zwar gut, wirkte die Sache an sich aber doch eher abgedroschen.

{image}Die nächsten Schritte führten unweigerlich auf einen Scheideweg zu. Auf der ATP-Bühne spielten die legendären Shellac einen ihrer mittlerweile nicht weniger legendären Primavera-Auftritte; die Band aus Chicago gehört bereits seit Jahren zum festen Line-Up des Festivals. Auf der Adidas-Stage dagegen, die eine Bühne für kleine internationale Acts mit Newcomerpotential bot, standen mit Mutiny On The Bounty vier Fast-Frischlinge aus Luxemburg vor dem Primaverapublikum. Was also tun, der Neugier und dem Newcomer eine Chance geben oder mit Shellac das sichere Ding wählen? Mut siegte, und man lies die ersten Akkorde von Steve Albini rechts liegen und bog statt dessen nach links zur Adidas-Bühne ab.

Obwohl diese Entscheidung beinahe an Gottesfrevel grenzte, wurde sie dennoch mit einem Konzert belohnt, das für das verpasste Pflichtevent mehr als entschädigte. Die vier Luxemburger hauten die Songs ihrer beiden Alben in die kleine Gruppe, die sich vom übrigen Festivalprogramm hatte ablenken lassen und nun vor der Bühne versammelt stand. Musikalisch verbindet das Quartett frickeligen Noise-Pop mit Post-Hardcore zu einer tanzbaren und vor allem lauten Synthese aus tightem Drumming und präzisem Tremolo-Picking. Auch wenn die benachbarte ATP-Stage ihren Schatten auf die Adidas-Bühne warf und so anschaulich das Verhältnis zwischen den beiden spielenden Acts verdeutlichte, ließen Mutiny On The Bounty kaum einen der Anwesenden seine Entscheidung bereuen.

Da das Set der Luxemburger doch kürzer war, als das der übrigen Bands, konnte man durch einen schnellen Sprint nach nebenan noch Zeuge der letzten Songs auf der ATP-Bühne werden. Wie man schon auf dem Weg dorthin vernehmen konnte, tickte das Uhrwerk Shellac weiterhin mit einer Präzision, die jedes Schweizer Chronometer mit existentialistischen Selbstzweifeln in den Suizid treiben würde. Am Ende des Sets demontierten Albini und Weston dann das Herz des Uhrwerks und trugen Stück für Stück Todd Trainers Drumset von der Bühne. Falls irgendwer seine innere Uhr wieder in Takt bringen möchte, in knappen zwölf Monaten dürfte sich hierzu am gleichen Ort wieder die Möglichkeit bieten.

{image}Während die Massen nun in Richtung des Hipsterphänomens The Weeknd strömten, freuten sich die Metalfans auf die nächste Show der diesjährigen Reunion-Gala. Die beiden Masterminds Broadrick und Green hatten sich wieder in Minimalbesetzung zusammengetan und mit Unterstützung einer Drummachine hämmerte der Industrialmetal von Godflesh zum ersten Mal seit über zehn Jahren durch die iberische Nacht. Der Soundtrack der Götterdämmerung wurde noch mit entsprechend verstörenden Videoprojektionen visualisiert, was für zahlreiche Gemüter dann doch zu viel wurde, so dass nach der Häflte der Show auch nur noch die Hälfte des Publikums anwesend war.

Ein weiterer Grund für das fluchtartige Verhalten der Headbanger könnte auch der bevorstehende Auftritt des französischen Produzentenduos Justice gewesen sein, vorausgesetzt hier bestand eine Interessenüberschneidung. Auf der San Miguel-Bühne empfingen die Besucher zwei gewaltige Wände von Marshall-Boxen, die zu beiden Seiten der Soundracks platziert waren. Hinter dem gewaltigen, weißen Kreuz sorgten die zahlreichen LEDs der sonst unsichtbaren Hardware für einen netten Effekt, wenn die übrige mehrere Millionen Watt Lightshow gerade Pause hatte. Leider hinkte das Set der visuellen Unterstützung etwas hinterher, beendeten die Franzosen ihre Arbeit doch bereits nach einer knappen Stunde. Hinzu kamen noch zwei theatralische Pausen, in denen die Protagonisten es nicht für nötig hielten, die Massen mit Beats zu bespaßen, sondern wie versteinert auf der Bühne verharrten.

Eines der letzten Highlights bevor die DJs wieder die Bühnen enterten, um die Massen zum Bleiben zu bewegen, waren Neon Indian, die Band um Alan Palomo. Dieser sorgt bereit seit frühen Teenagerjahren unter den Pseudonymen VEGA und Ghosthustler für Furore, aber seit seine ersten LP als Neon Indian vor drei Jahren erschien, avancierte er zum Liebling von Pitchfork, Rolling Stone und dergleichen. Wer es allerdings schafft, morgens um drei Uhr ein Festivalpublikum, dem schon drei Tage in den Knochen stecken, so zum Tanzen zu bringen, der hat den Hype um seine Person mehr als verdient. Die cheesy-kitschigen, aber auch unglaublich groovigen Synthiesounds forderten nochmal alles von der doch beachtlichen Menge, die sich vor der Ray Ban-Stage versammelt hatte. Die entspannt ausgelassene Stimmung ließ eine gewisse Erleichterung durchscheinen, dass der Festivalstress bald ein Ende finden würde.

{image}Nach drei Tagen Konzerten in der wunderbaren Umgebung des Parc del Forum war wieder einmal klar, warum das Primavera Sound auch weiterhin seinen Ruf als eines der besten und abwechslungsreichsten Großevents Europas ausbaut. Neben den großen nordamerikanischen und britischen Festivals ist das Primavera einer der Brennpunkte der seit nunmehr drei Jahren andauernden Reunion-Welle.

Aber auch wenn die Macher sich damit ein unschlagbares Alleinstellungsmerkmal sichern, hat das Festival im Vergleich zu den letzten Jahren etwas von seiner ganz besonderen Magie eingebüßt. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit kam es bei zahlreichen Konzerten immer wieder zu Momenten, in denen die Konzertroutine gesprengt wurde und sich Künstler und Publikum plötzlich mit an Fassungslosigkeit grenzender Begeisterung gegenüberstanden. Ob die erste Show der Slegh Bells, das legendäre The Mae Shi oder das Holy Fuck-Konzert, der Portishead-Gig im Auditorium, der Monotonix-Wahnsinn oder die mehr als einstündige Zugabe von Sonic Youth, stets entwickelte sich ein Moment, der in seiner Intensität das ganze Festival gleich einem Leuchtfeuer erhellte.

Dieses Jahr vermisste man solche Augenblicke leider und es lässt sich nur hoffen, dass diese einmalige Tradition in den kommenden Jahren nicht vollkommen verschwindet.