Steven Wilson mit Band in der Alten Feuerwache. Fotostrecke starten

Steven Wilson mit Band in der Alten Feuerwache. © Daniel Nagel

Steven Wilson begeisterte sein überwiegend männliches Publikum in der Alten Feuerwache in Mannheim mit einem Konzert, das alle Charakteristika des ProgRock voll auslebte. Dass Wilsons epische, komplexe Kompositionen vollauf zu überzeugen wussten, lag an seiner herausragenden Band, die seine Musik mit Leidenschaft und Leichtigkeit zu präsentieren wusste und Langeweile gar nicht aufkommen ließ. So war der zweistündige Auftritt ein erfreulich kurzweiliges Erlebnis.

Schätzen sie ausladende, epische Rockmusik, mit langen Instrumentalpassagen, Tempo- und Rhythmus-Wechseln, häufigen Variationen der Dynamik und entrücktem Gesang? Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie ein Mann sind. Seit den Anfängen Ende der 1960er Jahre wird ProgRock vornehmlich von Menschen mit Y-Chromosom gemacht und gehört. Diese These bestätigte sich beim Konzert von Steven Wilson in der Alten Feuerwache in Mannheim. Mindestens 3/4 des Publikums besteht aus Männern und die anwesenden Frauen sind mit ihrem Partner gekommen, weil man in einer Beziehung eben auch mal Kompromisse eingehen muss.

Selbst als skeptische Begleitung mag man anschließend überrascht gewesen sein, wie kurzweilig der Auftritt von Steven Wilson gerät. Verantwortlich dafür ist in erster Linie Wilsons exzellente Band, bestehend aus Marco Minnemann (Schlagzeug), Nick Beggs (Bass, Gesang), Adam Holzman (Keyboards), Gitarrist Niko Tsonev und Theo Travis, der Flöte, Saxophone und Klarinette spielt. Sie erzeugt einen dichten, mitreißenden Bandsound, der die komplexen, schweren Kompositionen von Steven Wilson mit überraschender Leichtigkeit darbietet. Wilson selbst singt, spielt Gitarre, Keyboards und den wild über die Bühne wirbelnden Zeremonienmeister. Seine Gesten sind als Ausdrucksform fast genauso wichtig wie sein Gesang, er zeigt, reckt die Hand zur Decke, spielt Air-Keyboards, akzentuiert das Schlagzeug und lebt seine musikalische Leidenschaft mit vollem Einsatz aus.

Diese Leidenschaft heißt ProgRock der 1970er Jahre und ganz besonders King Crimson. Man kann viele Elemente der Musik von Robert Fripp & Co. in Steven Wilsons Kompositionen wiederfinden, namentlich die verschachtelten Strukturen, die abrupten Wandlungen von Rhythmik, Dynamik und Tempo – einschließlich der Brüche. Es passt, dass Wilsons Stücke ebenfalls im Stil von King Crimson gehalten sind: es handelt sich nicht wirklich um Songs im klassischen Sinn, sondern um Kompositionen, bestehend aus einzelnen, durchaus unterschiedlichen Teilen, die sich nur in der Gesamtschau verbinden.

Musikalisch kann und will Steven Wilson seine Verbundenheit zu Heavy Metal nicht ganz verleugnen, aber diese Momente zeichnen sich durch eine für Metal ungewöhnliche maßvolle Zurückhaltung aus. Wilson will seine Zuhörer nicht akustisch in Grund und Boden bomben, sondern sorgt dafür, dass selbst die lauten Ausbrüche sich in den Gesamtcharakter der Stücke einfügen.

Dazu gibt es Momente, die an Yes oder an Van der Graaf Generator erinnern, aber auch an Radiohead, sozusagen die moderne Fortführung des Prog mit anderen Mitteln. Was bei Steven Wilson vollständig fehlt – und das ist angesichts seiner Liebe für Jethro Tull durchaus bemerkenswert – sind Folk-Elemente. Auch Theo Travis' Flöte baut weniger auf Ian Andersons Spiel auf, sondern auf den Bläsern von King Crimson oder Van der Graaf Generator. Die auf Wilsons Studioalbum Grace For Drowning häufig zu erkennenden Rückgriffe auf den Fusion-Jazz der 1970er zeigen sich am ehesten in manchen Keyboard-Passagen, spielen aber im Gesamtklang eine untergeordnete Rolle.

So bildete das zweistündige Konzert eigentlich eine konzeptuelle Einheit. Geformt aus Wilsons letztem Soloalbum (acht Stücke), vier Songs von Insurgentes und einer neuen, natürlich epischen Komposition (Luminol) ergab sich ein dramaturgisch außerordentlich unterhaltsamer Abend, der trotz aller Komplexität und Vielfalt immer erfreulich zugänglich blieb. Dass Wilson, wenn er wollte, noch mehr Popelemente in seine Musik einbauen könnte, deutete er nur in Deform To Form A Star an, dem eingängigsten Song des Abends. Das Publikum, die versammelten Prog-Nerds der Region zwischen 16 und 61, wird das nicht wollen. Sie möchten Steven Wilson weiterhin als Zeremonienmeister des ProgRock erleben.

Setlist

No Twilight Within The Courts Of The Sun | Index | Deform To Form A Star | Sectarian | Postcard | Remainder The Black Dog | Harmony Korine | Abandoner | Like Dust I Have Cleared From My Eye | Luminol | No Part Of Me | Raider II || Get All You Deserve

Alles zu den Themen:

steven wilson porcupine tree blackfield