Nicht nur Tori Amos, auch das Publikum zeigte beim Konzert in der Alten Oper Frankfurt vollsten Einsatz. Ganz ohne Nostalgie, dafür mit viel Blitzlichteinsatz.
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Nicht nur Tori Amos, auch das Publikum zeigte beim Konzert in der Alten Oper Frankfurt vollsten Einsatz. Ganz ohne Nostalgie, dafür mit viel Blitzlichteinsatz. Foto: Deutsche Grammophon © Victor de Mello

Nicht nur Tori Amos, auch das Publikum zeigte beim Konzert in der Alten Oper Frankfurt vollsten Einsatz. Ganz ohne Nostalgie, dafür mit viel Blitzlichteinsatz.

{image}An Tori Amos' aktuellem Album Night of the Hunters scheiden sich die Kritiker. Eine Seite lobt die ungewöhnliche Zusammenarbeit mit dem Label Deutsche Grammophon, das sich ansonsten der klassischen Musik widmet. Amos' Experiment, Variationen klassischer Stücke von Bach, Debussy oder Mussorgski in ein Konzeptalbum einzubringen, ist in den Augen dieser Kritiker gelungen. Andere wiederum vergleichen das Album schnell mit frühen Aufnahmen wie ihrem Debüt Little Earthquakes von 1992. Diese Kritiker bemängeln, dass das neue Werk zu geplant klinge und nicht das Zeug habe, ähnlich wie Amos' Debüt zum Klassiker zu avancieren. Zwischen den Zeilen hört man leise das Fanherz des Kritikers winseln, das unbedingt ein paar schöne Songs im damaligen Stil zu Beginn der 90er hören will. Um deutlich zu machen, wie lange das zurückliegt, hier ein paar Nummer-1-Hits aus 1992: Salt’N’Pepa mit Let's Talk About Sex, SNAP! mit Rhythm Is a Dancer oder Dr. Alban mit It's My Life. Wahrscheinlich hätten diese Kritiker damals auch David Bowie gefragt, warum er nicht ein zweites The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars aufnimmt (erschienen 1972), anstatt sich dieser neumodischen und geplant klingenden "elektronischen Musik" zu widmen.

{image}Diese Lächerlichkeiten der deutschen Musikpresse, die ansonsten jedem noch so langweiligen Hype hinterherrennt (*hust* The Drums *hust*) vergisst man beim Konzert in der Alten Oper in Frankfurt ziemlich schnell. Nicht zuletzt dank Mark Hole, der Einmann-Vorband von Tori Amos am Keyboard. Er entspannt das Publikum mit ruhigen Songs und witzigen Zwischeneinlagen. Seine Stimme erinnerte oft an die von Kings of Leon-Sänger Caleb Followill, seine Songs nicht selten an die immer aufgeregt klingende Regina Spektor. In diesen Momenten sind sie auch nicht spannend. Wenn Hole aber sein Stimmvolumen auspackt und eher ruhige Töne anschlägt, gewinnt er den ganzen Saal für sich. So wie beim Song Virtue, der bestechend einfach gestrickt ist, aber die fast 2.500 Zuschauer im großen Saal zum Schweigen bringt. Am Schluss seines Sets buchstabiert Hole noch ausführlich seinen Namen, damit ihn auch jeder richtig schreiben kann: "'Hole, like the hole in the ground or the hole in your butt". Vielleicht wollen nach dem Konzert auch deshalb viele Frauen eine signierte CD von ihm haben.

{image}Nachdem Mark Hole sein Keyboard eingepackt hat, dauert es nicht lang, bis das Licht ausgeht und die Begleitmusiker von Tori Amos auf die Bühne kommen: das polnische Streichquartett Apollon Musagète. Die Vier Musiker an zwei Violinen, einer Viola und einem Cello nahmen zuvor bereits an den Albumaufnahmen Ende Juni in Cornwall teil. Als Amos nach ihnen im langen Abendkleid auf die Bühne kommt, steht das Publikum fast geschlossen von den Stühlen auf und begrüßt sie stürmisch. Ihr aufwendiges Kleid ist der genaue Gegensatz zur sparsamen Bühnendeko. Nur ein paar Stoffvorhänge und ein einsamer kleiner Kronleuchter hängen über den Musikern, die Augen der Zuschauer können sich auf das Bösendorfer Klavier konzentrieren – Tori Amos' Markenzeichen.

{image}Wie sich gleich zeigen wird, steht das Bösendorfer zurecht im Zentrum. Eine kurze Pause folgt, in der sich alle ein letztes Mal ordnen, und los geht es mit Shattering Sea, dem ersten Titel auf dem neuen Album Night of the Hunters. Tori Amos hatte sich hierfür das Stück La chanson de la folle au bord de la mer von Charles-Valentin Alkan aus dem Jahr 1846 als Vorlage ausgesucht. Wie im Original steht auch bei Shattering Sea das Bedrohliche im Vordergrund, in der Alten Oper wirkt Amos' Gesang jedoch noch aufgeregter als auf dem Album.

{image}Die Mobiltelefone und Videokameras kommen an diesem Abend nicht zur Ruhe. Jede noch so kleine Bewegung der Musikerin muss festgehalten werden. Setzt sie sich in den ersten Minuten auf ihrem Klavierhocker nur einen Milimeter um, wütet ein Blitzlichtgewitter im Saal. Das stört zwar kurz, hört dann aber irgendwann auch auf. Einige Zuschauer wollen es aber genau wissen und nehmen ganze Songs mit ihrer Videokamera auf. Während sie mit ihrem pixeligen Bild jede noch so kleine Bewegung von Amos nachgehen, explodieren die vier Musiker des Apollon Musagète-Quartetts förmlich. Für die bemitleidenswerten selbst ernannten Kameramänner ist das unsichtbar. Sie sehen nicht, wie Piotr Skweres sein Cello malträtiert oder Paweł Zalejski sich bei jedem neuen Einsatz seiner Violine freut und wie ein Schuljunge grinst. Im Hintergrund strahlt derweil die Bühnenbeleuchtung in unwirklichen Farben wie ein Stern, dessen Licht sich in der Atmosphäre bricht. Das zentrale Bösendorfer will währenddessen nicht mehr nur optisch im Vordergrund stehen. Seine tiefen Töne gehen in Mark und Bein über, schlimmer als jeder Dubstep-Bass. Der Kameramann bekommt davon nichts mit, ein paar Stunden später dürfen sich dafür die Facebook-Freunde über ein weiteres Tori Amos-Video in gruselig schlechter Qualität freuen.

{image}Tori Amos verzichtet an diesem Abend darauf, ihr Night of the Hunters ausführlich vorzustellen. Mit Shattering Sea, Fearlessness, Star Whisperer und Your Ghost werden in dem fast zweistündigem Set nur vier Songs aus dem neuen Werk gespielt. Viel mehr handelt es sich um ein Wunschkonzert für die Fans. Sie konnten im Voraus Songwünsche äußern, die Tori jetzt umsetzt. So ist jedes Konzert auf der "Night of the Hunters"-Tournee anders, abgesehen von einigen festen Songs, die immer wieder gespielt werden. Da von jedem Konzert auch die Setliste auf der Webseite veröffentlicht wird, kann der interessierte Leser schnell die Interessen der Fans in anderen Orten herausfinden. So mochten die schweizer Fans beim Konzert zwei Tage zuvor in Luzern The Power of Orange Knickers vom genialen Album The Beekeeper hören. In Frankfurt dagegen fragte Tori Amos "Can you patch my jeans Peggy Ann?": Die Fans hatten sich den Titel Jamaica Inn gewünscht. Beide Konzerte kamen dagegen in den Genuss von großartigen Way Down vom Album Boys for Pele, dass zwar auch live wie im Original kaum länger als eine Minute ist, sich aber in dieser kurzen Zeit tief in die Seele frisst: "Let's go / the way down".

{image}Amos' Cover von Imagine, John Lennons tausendmal gecoverter Klassiker, überzeugt dann leider weniger. Sie trägt ihn für ein Stück, dass dermaßen totgespielt ist, zu leblos vor. Hier muss man sich mehr einfallen lassen. Eine Schwäche im ansonsten großartigen Konzert, und spätestens als kurz darauf Baker Baker gespielt wird, hat man eh alles vergessen. Das Album Under the Pink, aus dem der Song stammt, war Amos' Zweitwerk und erschien 1994. Im Original hört man ganz leise Streicher im Hintergrund, und auch in Frankfurt hilft ihr das Apollon Musagète-Quartet und spielt die sanften Untertöne des Songs. Und wie im Original steht der letzte Klavierton vollkommen allein im Raum.

{image}Das Quartett stellt daraufhin in der ersten Zugabe ein eigenes Stück mit dem Titel A Multitude Of Shades vor. Der Song macht seinem Namen alle Ehre und vereint verschiedene Tempi und Stile miteinander. Wer hier versucht mitzuklatschen, kommt schnell ins Straucheln. In der zweiten Zugabe wird Amos' Precious Things genauso begeistert aufgenommen, wie in der Liveaufnahme auf dem Album To Venus and Back. Schon vorher war eine große Menschenmenge zum Bühnenrand gestürmt. Ein festes Ritual, das mittlerweile bei jedem Tori Amos-Konzert stattfindet. Der Rest des Publikums steht und tanzt zwischen den Stuhlreihen, der ruhigere Konzertabend hat sich in ein kleines Happening verwandelt. Big Wheel vom doch durchwachsenen Album American Doll Posse wird der Abschluss des Abends. Das Quartett verwandelt seine Streicher zu Schlaginstrumenten und gibt den Beat vor, Tori Amos spielt und singt dazu die magischen Zeilen: "I am a M-I-L-F / don't you forget", was das halbe Publikum lauthals mitsingt. Spätestens hier wird klar: Auch fast 20 Jahre nach ihrem Debüt begeistert Tori Amos, und das nicht aufgrund von Nostalgie nach dem Motto: "Sie kann es immer noch wie damals".

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