Tim Neuhaus & The Cabinet (live in der Garage Saarbrücken, 2011)

Tim Neuhaus & The Cabinet (live in der Garage Saarbrücken, 2011) © Daniel Batschak

Zum zehnten Mal fand in diesem Jahr das Appletree Garden Festival statt, das sich mittlerweile zu einem aufstrebenden Indie-Festival gemausert hat. Zwar suchte man vergeblich die Obstbäume, die der idyllisch klingende Name verspricht, doch die musikalische Ernte, die man am Ende eingefahren hat, konnte sich sehen und vor allem hören lassen.

{image}Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist das Appletree Garden Festival in diesem Jahr im Vorfeld ausverkauft. 3500 Menschen haben sich nicht von den schlechten Wetteraussichten abschrecken lassen, haben Gummistiefel, Regenjacke und warme Pullover eingepackt und sich nach Diepholz in Niedersachsen begeben. Dieses kleine Örtchen zwischen Osnabrück und Bremen ist nun schon seit mehreren Jahren Schauplatz des Festivals, das im sogenannten Bürgerpark stattfindet. Es ist auch kein Wunder, dass das Festival ausverkauft ist, denn das Line-Up lässt jedes Indie-Herz höher schlagen und der äußerst günstige Eintrittspreis (zw. 26 und 36 Euro) reißt kein besonders großes Loch in die Kasse. Positiv überrascht auch, dass trotz des niedrigen Preises und der bekannten Namen im Programm das Festival mit sehr wenig und unaufdringlichem Sponsoring auskommt. Aufblasbare pinke "Winke-Hände" oder orangefarbene Hüte sind nicht zu sehen. Ein Pluspunkt, der vor allem der Atmosphäre auf dem Gelände zugutekommt.

{image}Die beiden Festivalbühnen sind in einem kleinen Wald platziert, was für eine gemütliche Stimmung sorgt. Mit zwei Tagen und Nächten ist das Appletree Garden Festival mittlerweile ungewohnt kurz, was wiederum aber auch sehr angenehm sein kann. Auch die Organisation ist hervorzuheben, die nicht aus einer großen Booking-Agentur besteht, sondern vom eigens gegründeten Verein zur Förderung der Jugendkultur in Diepholz e.V. (VFJKD e.V.) geleitet wird. All diese kleinen Besonderheiten haben dem Festival eine treue Fanschar beschert, die gerne und immer wieder kommt.

{image}Der Spielplan ist in diesem Jahr mit jeder Menge guter Namen der Indie-Szene prall gefüllt. Die Veranstalter haben ein straffes Programm entworfen, das abwechselnd auf der Hauptbühne und der sogenannten Waldbühne stattfindet. So ergibt sich an den beiden Festivaltagen ein ständiges hin und her der Menge zwischen den beiden Bühnen. Das ist natürlich effizient, gibt einem aber manchmal auch ein wenig das Gefühl vom Festivalbesuch als Akkordarbeit. Schade ist auch, dass es wenige Informationen zum Programm des Festivals gibt. Zwar wurde ein Flyer verteilt, auf dem die Running-Order zu finden ist, detailliertere Informationen über die einzelnen Bands, die vielleicht nicht ganz so bekannt sind, gab es aber nur im Vorfeld auf der Website des Festivals. Ansonsten läuft die Organisation aber reibungslos ab und nirgendwo gibt es langes Warten oder gar Gedränge, außer vielleicht am Handbrot-Stand.

{image}Kurz vor Beginn des Festivals mussten die geplanten Mainstage-Eröffner Champions leider krankheitsbedingt absagen. Somit gibt es für manche der ersten Besucher eine kleine Überraschung, als am späten Freitagnachmittag die niederländische Band Moss die ersten Besucher vor der Hauptbühne begrüßt. Es folgen abwechselnd auf Waldbühne und Mainstage die soundverliebte One-Woman-Band Tellavision, die jungen Schweden von Bye Bye Bicycle, die tanzbaren Indie-Pop liefern, und die Amsterdamer Band Go Back To The Zoo. Es scheint, als haben Beat!Beat!Beat! aus dem gar nicht so weit entfernten Viersen gleich eine Menge Fans mitgebracht, die sie gebührend feiern. Bei der dritten holländischen Band an diesem Tag, The Black Atlantic, geht es dann erstmal wieder etwas ruhiger und nachdenklicher zu. Im Anschluss folgt auf der Hauptbühne die erste Band, die schon den ein oder anderen Radio-Hit vorweisen kann: Bombay Bicycle Club.

{image}Das erste richtige Hightlight des Tages folgt aber anschließend auf der Waldbühne: Die Dänen von When Saints Go Machine schaffen eine gelungene Mischung aus Fever Ray und Anthony and the Johnsons und bringen das Publikum vor der kleineren Bühne zum kollektiven Ausrasten. Trotz ihres avantgardistischen Sounds wirken die vier Kopenhagener angenehm bescheiden und fast ein wenig schüchtern. Besonders ihr Hit Kelly wird vom Publikum begeistert gefeiert. Sie haben es sich verdient.

Weiter geht es danach mit dem letzten Act des Abends und gleichzeitig einem der Headliner des Festivals, den britischen Elektropoppern von Metronomy. Deren Auftritt ist ebenfalls äußerst gelungen und die vielen Fans, die vor allem wegen dieser Band angereist sind, kommen voll auf ihre Kosten. Nach einem gut einstündigen Konzert entlassen sie das Publikum dann in die erste Nacht, die für viele noch lange nicht zu Ende ist, denn ein gutes Festival lässt bei seinen Besuchern auch nachts keine Langeweile zu. So wurden zwei DJ-Teams engagiert, die die Gäste über Nacht auf und vor der Waldbühne mit allerlei Techno-, House- und Elektrobeats versorgen.

{image}Der Samstag beginnt mit windigem Regenwetter, was vor allem den Nachteulen entgegen kommt, denn so müssen sie nicht aufgrund praller Sonne fluchtartig Zelt und Schlafsack verlassen. Ein verregnetes Festival kann eben durchaus Vorteile haben. Aber auch sonst zeigt sich Petrus eher gnädig und lässt sogar hin und wieder am Nachmittag die Sonne durch die Wolken schlüpfen, sodass letztendlich sogar für diesjährige Juli-Verhältnisse eine positive Wetterbilanz gezogen werden kann. Den musikalischen Anfang macht am Samstagnachmittag der Wahlberliner Tim Neuhaus, der sich vor seiner Solokarriere schon als Schlagzeuger von Clueso und des Show-Spektakels Blue Men Group betätigte. Nun steht er aber mit Gitarre am Mikrofon und erfreut das Publikum mit seinen folkigen Popsongs. Der nächste Act auf der Mainstage ist die isländische Band Who Knew, deren Sänger sich mit sympathisch schlechtem Deutsch und unermüdlichem Dauerlauf auf der Stelle vor dem Mikrofon schnell einen Platz in den Herzen Besucher reserviert.

{image}Weiter geht es danach auf der Waldbühne mit den Isbells, die wieder eher etwas ruhiger und folkiger daherkommen, bevor dann eine weitere isländische Band ein nächstes Festival-Highlight auf der Hauptbühne präsentiert: Retro Stefson. Diese sehr junge und bunte Truppe aus Europas nordwestlichem Zipfel präsentiert einen erfrischenden Sound mit afrikanischem Einschlag, der keinen Gummistiefel stillstehen lässt. Plötzlich sind die Regenschauer egal und das Publikum lässt sich gerne von der Band zur kollektiven Gymnastik animieren. Vom Jubeln noch ganz heiser kann man dann beim leisen Auftritt der Australierin Kat Frankie den Herzschlag wieder auf Normaltempo drosseln. Bei ihr ist nicht das Tanzbein sondern Gehör gefragt, das sie auch bei einem kleinen aber begeisterten Publikum findet. Wer doch lieber tanzen will kommt dann bei Bodi Bill wieder auf seine Kosten. Die Berliner kommen durchweg sympathisch daher und lassen minimalistische Elektroklänge mit Gesang vermischt auf das Publikum los. Auch die Kostüme des Sängers sind durchaus unterhaltsam, vor allem wenn er als Stein verkleidet auf der Bühne steht und sich erkundigt, wer im Publikum denn Steine mag und sammelt.

{image}Noch ein bisschen mehr Avantgarde bringen die Future Islands dann auf die Waldbühne. Der Sänger kratzt bei seiner Performance nah am Wahnsinn und verursacht ein wenig Kopfschmerzen im Publikum wenn er mal manisch flüstert, mal glockenhell ins Mikrofon singt. Letztendlich ist aber auch dies ein Auftritt, der im Gedächtnis bleibt. Als nächstes darf man dem aktuellen Bandprojekt Junip des Schweden José Gonzalez lauschen und sich dann dem Hamburger Geschwisterduo Hundreds zuwenden. Auch die wissen ihr Publikum mit schönen Texten und teils tanzbaren, teils sphärischen Elektrosounds zu verzaubern. Schließlich brüllen noch die beiden Schweden von Johnossi als zweiter Headliner ins Mikro. Auch wenn die beiden vielleicht nicht ganz zum sonstigen Programm des Festivals passen, so freuen sich doch viele, dass auch einmal handgemachter Rock einen Platz im Festivalprogramm gefunden hat.

Auch die zweite Nacht darf zu den Platten zweier DJ-Teams durchgetanzt werden, bevor viele dann am Sonntagvormittag wieder die Heimreise antreten. So geht ein zum Glück relativ wenig verregnetes Festival zu Ende, das besonders durch seine Überschaubarkeit und gute Musikauswahl punkten kann.